Sven Gradert

Andran und Sanara


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und was sie zu hören bekam als Brehm den Raum betrat. Wie Filou plötzlich zu Boden sprang, woraufhin der Rosendiener sie entdeckte, zu Boden warf und trat. Dann ging sie zu Mai und setzte sich neben sie. Behutsam legte Sanara ihre Hand auf Mais Schulter, wodurch diese aus ihren Gedanken gerissen wurde. Mai legte nun ihrerseits eine Hand auf die Sanaras und lächelte sie an. Die stolze Kriegszauberin hatte rot geränderte Augen, die noch immer feucht waren.

      „Mai stürmte plötzlich in den Raum!“ fuhr Sanara fort: „Als ich sah das Meister Brehm ihr schaden wollte und noch weitere Männer hereinstürmten da... da habe ich meinen Willen wirken lassen.“

      „Mit beachtlichen Erfolg!“ stellte Vitras trocken fest wobei er seinen Blick von den toten Rosendienerin zur zerstörten Balkontür schweifen ließ.

      Mai streichelte Sanara jetzt über ihren Kopf:

      „Du hast genau richtig gehandelt!“

      Vitras setzte sich auf den Stuhl hinter den Schreibtisch und versuchte, Sanaras Schilderungen zunächst zu verarbeiten. Dabei fiel ihm auf, dass die Tischplatte ungewöhnlich dick war. Er ließ seine Hände unter der Platte am Rand entlang gleiten und entdeckte einen Druckknopf. Als er ihn betätigte, ertönte ein kaum wahrnehmbares Klicken und die Oberseite der Tischplatte ließ sich ein Stück nach vorn schieben. In dem Geheimfach befanden sich jede Menge Dokumente über die Rosendiener, Listen ihrer Mitglieder aber auch Nachrichten aus Kushtur. Vitras wurde bleich vor Zorn, als er daran dachte, was Brehm mit seinem Verrat bisher angerichtet hatte – vor allem aber was er noch hätte anrichten können.

      „Warum wollten mich Meister Brehm und seine Gefolgsleute entführen, sobald die Kämpfe beginnen?“ Sanaras Frage schnitt wie ein scharfes Messer durch die momentane Stille des Zimmers:

      „Und was hat das mit dem Zwilling zu tun?“ fügte sie noch fragend hinterher. Der Wind, der durch die zerstörte Balkontür blies, ließ das Feuer einiger Fackeln hin und her tanzen. Mai erhob sich, stellte sich hinter Sanara und legte ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. Dann nickte sie Vitras zu. Der Augenblick, vor dem sich der Kriegszauberer so lange gefürchtet hatte war gekommen. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte, obwohl er diesen Moment der eines Tages kommen musste, tausendfach in seinen Gedanken durchgegangen war. Also platzte er einfach mit dem heraus, von dem er annahm, dass es Sanara am meisten beschäftigte:

      „Du hast einen Bruder Sanara. Genauer gesagt... einen Zwillingsbruder!“

      Seine Enkeltochter setzte einen ungläubigen Gesichtsausdruck auf und blickte ihren Großvater an, als wäre er eines dieser sagenumwobenen Einhörner. Alles was sie bisher über ihre Familie zu wissen glaubte war, dass ihre Eltern früh verstarben und sie deswegen bei ihrem Großvater lebte.

      „Aber... aber wieso hast du mir das nie erzählt? Ist er noch am Leben? Geht es ihm gut?“ fragte sie aufgeregt. Dabei löste sie sich von Mai und trat an den Schreibtisch heran.

      „Ich weiß es nicht mein Kind! Bei den Göttern, ich wünschte, ich wüsste wie es ihm geht und wo genau er sich aufhält. Was ich dir sagen kann, ist dass er sich in der Obhut einer herzensguten Frau befindet. Ihr Name ist Elze, und sie war eure Hebamme.“

      Dann begann Vitras ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Von der Prophezeiung, vom Schwarzen Wald in dem ihre Mutter lebte und der Gefahr, in der sich Sanara und ihr Bruder nach ihrer Geburt befanden. Es brach ihm fast das Herz ihr von Mornas Tod zu erzählen und dass ihr leiblicher Vater einen Großteil der Schuld daran trug.

      „Dann ist mein Vater gar nicht tot!“ brachte sie hervor: „Mein Vater lebt!“

      „Dein Vater ist kein guter Mensch Sanara,“ sagte Vitras mit einem traurigen Klang in seiner Stimme: „Zudem ist er ausgesprochen gefährlich!“

      „So wie dieser Harun Ar Sabah?“

      „In gewisser Weise, vielleicht.“ antwortete ihr Vitras: „Dein Vater ist kein Kriegszauberer, nicht einmal ein Magier. Soweit ich weiß glaubt er nicht einmal an die Magie. Aber er ist der Herrscher des größten und mächtigsten Reiches der bekannten Welt... und das führt er mit eiserner Hand. Er und seine Vorfahren haben mit ihren Eroberungskriegen unendlich viel Leid über die Menschen gebracht. Nur aus reiner Machtgier. Wenn ich dabei an deine Mutter denke... nein Sanara, er ist kein Harun Ar Sabah, aber er ist bösartig und gefährlich!“

      „Ich denke, du solltest jetzt doch auf dein Zimmer gehen und zumindest versuchen etwas Schlaf zu finden.“ schaltete sich Mai jetzt ein.

      „Begleitest du mich Mai?“

      „Aber selbstverständlich!“ antwortete sie ihr.

      Vitras erhob sich, ging um den Schreibtisch herum und schloss Sanara fest in die Arme. Dankbar registrierte er, dass sie die Umarmung auf die gleiche Weise erwiderte, wie sie es immer tat. Dann neigte er sich zu ihr herunter und küsste ihre Stirn.

      „Gute Nacht Großvater!“

      Sanara drehte sich um und verließ mit Mai die Gemächer des toten Brehm. Der Kriegszauberer blickte den beiden noch eine Weile hinterher. Er war unendlich dankbar dafür, dass Sanara jemanden wie Mai gefunden hatte. Ihm war schmerzlich bewusst, dass dieser Abend tiefe Spuren bei den beiden hinterlassen hatte. Wie tief sie sich jedoch wirklich bei Mai eingegraben hatten, konnte er nicht erahnen.

      Vitras ging wieder zum Schreibtisch, um noch einmal all die Papiere die sich im Geheimfach befanden, anzusehen, als General Kurz in dem verwüsteten Raum erschien. Der General schaute sich ungläubig um:

      „Was ist hier tatsächlich geschehen?“ fragte Kurz, als er die beiden Leichen sah, die noch immer auf dem Boden lagen:

      „Mir wurde berichtet, Meister Brehm hätte sich vom Balkon gestürzt.“

      „Dann wollen wir es bei dieser Version besser belassen. Fürs erste zumindest. Die wahren Umstände würden nur zu wilden Spekulationen, vielleicht sogar Panik führen.“

      Dann berichtete Vitras dem General von Brehms Verrat und was sich hier abgespielt hatte. Kurz machte große Augen und schien sichtlich erschüttert. Vitras reichte ihm daraufhin eine der Listen, auf der sämtliche Mitglieder des Rosenbundes aufgeführt waren:

      „Ihr müsst diese Leute umgehend verhaften lassen, ausnahmslos. Wir können es uns nicht erlauben, dass Haruns Spione die gesamte Verteidigung der Stadt sabotieren. Kurz überflog die Liste und sog scharf die Luft ein:

      „Hier stehen einhundert zwanzig Namen. Einige davon sind sehr einflussreiche Bürger Dirans.“

      „Dann fangt ihr besser sofort damit an!“ stellte Vitras unmissverständlich klar.

      Das enorme Getöse unzähliger Fanfaren, die Warnsignale von sich gaben, riss die beiden Männer aus ihrem Gespräch. Vitras stürzte sofort auf den Balkon, von dem aus man eine hervorragende Aussicht, über einen Großteil der Stadt hatte.

      Weit außerhalb der Stadtmauern, tanzten tausende von Lichtern in der Dunkelheit. Nachdem der Klang der Fanfaren verstummte, erklang aus der Ferne das dumpfe Dröhnen der Kriegstrommeln Kushturs.

      „Sie sind da!“ flüsterte General kurz nachdem er dem Kriegszauberer auf den Balkon gefolgt war:

      „Sie sind da!“ wiederholte er. Beim Anblick des Lichtermeeres das immer größer wurde, wich ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht.

      ***

      Noch bevor die Morgendämmerung einsetzte, befand sich der Kriegszauberer auf der Stadtmauer und spähte angestrengt zu den zahllosen Lagerfeuern der feindlichen Armee. Als es allmählich zu dämmern begann, und die Verteidiger Dirans nach und nach mehr ausmachen konnten, vernahm Vitras das ungläubige Murmeln der Soldaten, die entlang der Wehrgänge postiert waren. Das Gelände rund um die Stadt bestand aus einer weiten flachen Ebene. Nur hier und da tauchten weit von den Stadtmauern entfernt, vereinzelte kleinere Hügel auf. Zwischen diesen Hügeln sammelten sich die Truppen Kushturs und schlugen ihre Zelte auf.

      General Kurz, der direkt neben dem Kriegszauberer stand, zeigte in eine bestimmte Richtung:

      „Erkennt