Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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      Wieder Nicken.

      „Also gut. Beschlossene Sache. Wir gehen nach Süden. Wo waren wir hier nicht schon überall. Nirgends wurden wir geduldet. Und wenn wir glaubten, einmal eine vernünftige Bleibe gefunden zu haben, entpuppte sich die Geschichte als eine einzige große Lüge.“

      Der Stiefel ließ die Mütze weiterplappern und lief geradeaus auf ein kleines Wäldchen zu. Dort angekommen blieb er stehen und bedeutete der Mütze abzusteigen, weil er müde war.

      „Hast ja recht“, meinte sie. „Legen wir uns schlafen. Der Tag war aufregend genug.“

      Der Stiefel schnarchte schon, als sie noch murmelte:

      „Mal sehen, ob der Süden wirklich besser ist“

      „Auf geht’s“, rief die Mütze, als sie den Stiefel endlich wach hatte und aufgesessen war.

      „Was kostet die Welt? Richtung Süden!“

      Der Stiefel drehte sich einmal ratlos im Kreise.

      „Bist du ungebildet“, schüttelte die Mütze den Bommel.

      „Im Osten geht die Sonne auf

      im Süden steigt sie hoch hinauf,

      im Westen will sie untergehn,

      im Norden ist sie nie zu sehn.

      Alles klar?

      Na dann los.“

      Der Stiefel drehte sich so, dass er die Sonne zur Linken hatte und stiefelte los.

      „Halt stopp“, rief die Mütze und hoppelte auf ihm herum, „du läufst geradewegs nach Norden. Die Sonne muss rechts von dir stehen. Rechts ist dort, wo deine Spitze am kürzesten ist.“

      Der Stiefel brummte unwillig über die Besserwisserei der Mütze und machte einen großen Bogen, bis schließlich die Sonne rechts von ihm stand. Er schritt kräftig aus und sie kamen schnell voran. Die Sonne stieg und brannte auf Leder und Wolle. Die Mütze fühlte sich unwohl, denn je wärmer es wurde, desto mehr juckte es sie in den Fäden. Mehl und Salzpartikel scheuerten in ihren zarten Fasern.

      Ein Dorf, dessen Kirchturm verführerisch in der Sonne glitzerte, umwanderten sie noch am Vormittag. Die Mütze hatte den Bommel noch voll von Dörfern, die ihren Kirchturm verführerisch in die Sonne streckten, und auch der Stiefel hatte keine große Lust, schon wieder in die Hände eines habgierigen, unachtsamen Menschen zu geraten, der ihn misshandelte oder achtlos in einen dunklen Schuppen stellte. Das Dorf, in dem der Bäcker wohnte, hatte auch ganz friedlich und freundlich seinen Kirchturm in die Luft gereckt. Damals dachte die Mütze, der glänzende Turm blinzelte ihr zu. Sie hatte ein „Komm ins Dorf, hier ist es schön“ herausgelesen. Schön war das Dorf ja, aber nicht für eine alleinstehende Mütze mit einem Stiefel, die auf der Suche nach Arbeit und Wohnung sind.

      Dabei hatte die Mütze gleich eine vierfache Last zu tragen. Zu der einfachen Last kam, dass sie zweitens eine freischaffende Mütze war, sich also nicht alles gefallen lassen durfte, sie drittens nicht kostenlos arbeiten konnte, denn auch eine Mütze muss leben, und sie viertens einen Angestellten - unterbringen musste, den Stiefel nämlich.

      Sie konnte und wollte den Stiefel nicht einfach stehen lassen, das ließ ihr mützliches Gewissen nicht zu. Sie empfand dem Stiefel gegenüber eine Verpflichtung. Er war ihr zum liebsten Stiefel der Welt geworden. Sie hing an ihm, wenngleich er furchtbar unselbstständig war. Ohne sie hätte er sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt. Wie sollte er auch. Er saß normalerweise an der niedersten Stelle des Menschen, dem Fuß, und wurde sein Leben lang getreten. Ihm wurde sozusagen mit der Geburt die Persönlichkeit gebrochen.

      „Wie soll sich da ein Stiefel frei entwickeln können?“, dachte die Mütze und bedauerte ihn. Der eingeschlagene Weg erwies sich als äußerst schwierig. Sie mussten Zäune und Tümpel umwandern, Böschungen überklettern und sich durch dichtes, hohes Schilf arbeiten, welches ihr manchmal derbe an der Wolle riss. Gegen Mittag erreichten sie einen breiten Fluss, an dessen Ufer sich ein etwa zehn Meter breiter Grasstreifen hinzog. Er war durchsetzt mit matschigen, braunen Lachen und wurde von meterhohem im Winde rauschendem Schilf abgeschirmt. Hier und da lagen kopfgroße oder größere Findlinge herum, die in der Mittagshitze einen willkommenen Schatten spendeten.

      Als sie dem Fluss näher kamen, konnte die Mütze das Ufer nicht schnell genug erreichen. Sie musste einem dringenden mützlichen Bedürfnis nachgehen.

      Nachdem sie das letzte Schilfrohr hinter sich gelassen hatten sprang sie in hohem Bogen vom Stiefel und rollte mit einem lauten AAAHHHH ins Wasser.

      Sie stöhnte erleichtert auf, als sich ihre Fäden voll Wasser sogen.

      „Endlich waschen“, keuchte sie.

      Mehl und Salz lösten sich und das Wasser spülte einen Teil davon fort.

      „Komm Stiefel, walk mich“, rief sie.

      Der Stiefel zögerte. Er hielt nichts von Wasser. Ihm war ein trockener Lappen und Schuhwichse wesentlich lieber. Aber das verstand die Mütze nicht, sie wusste nichts vom Wohlergehen des Leders, und dass es von Wasser spröde wurde. Sprödes Leder braucht Fett und Fett hatte der Stiefel, seit er die Schusterei verlassen hatte, nicht mehr gesehen. Deshalb war er alles andere als begeistert, als die Mütze nach ihm rief.

      „Nun mach schon Stiefel, walk mich“, rief sie ungeduldig.

      Langsam tapselte der Stiefel vor und stellte behutsam die Spitze ins Wasser

      „Herrjemine“, meckerte die Mütze und rollte etwas näher ans Ufer.

      Der Stiefel verstand Herrjemine. Herrjemine hatte ihn auch der Schneider geschimpft, wenn er sich gegen seinen stinkenden Fuß gewunden hatte. Leicht gekränkt, dass die Mütze den gleichen Ausdruck gebrauchte, tapselte er etwas weiter ins Wasser. Er hob die Stiefelspitze an und wartete, bis sie sich unter ihn geschlängelt hatte.

      „Jetzt walken!“

      So fest er konnte; trampelte er auf die Mütze und prompt bildete sich eine weißgraue, schmutzige Mehlwolke im Wasser.

      „Aaahhh guuut“, blubberte die Mütze, „weiter.“

      Der Stiefel war von der Begeisterung der Mütze keineswegs begeistert. Er trat kräftig zu, um das Mützenwaschen so schnell wie möglich hinter sich zu bringen und wieder aufs Trockene zu kommen. Besorgt dachte er an sein ohnehin schon sprödes Leder. Nach der Wäsche streckten sich beide im Gras aus und ließen sich von der Sonne trocknen.

      Schon nach kurzer Zeit kullerte die Mütze vergnügt, wie frisch gewaschen, auf den Stiefel und rief:

      „Auf geht’s Stiefel, was kostet die Welt. Steh auf, wir wollen nach Süden.“

      Der Stiefel brummelte etwas ins Leder, drehte sich ungehalten um und begrub die Mütze unter sich.

      „Herrjemine“, röchelte die Mütze, die von seiner heftigen Bewegung überrascht worden war.

      „Was soll der Quatsch?“

      Ziemlich missgelaunt, dass sie schon wieder herrjemine zu ihm gesagt hatte, hob er den Schaft und schwor sich:

      „Wenn sie noch einmal herrjemine zu mir sagt, gehe ich keinen Schritt mehr.“

      Zwei Minuten später schnarchte er, dass sich die Wellen auf dem Fluss kräuselten.

      „Was soll’s“, dachte die Mütze, rollte ein Stück von dem Schnarchwunder fort und döste vor sich hin. Am Nachmittag, nachdem sie sich zum siebenundzwanzigsten Mal unruhig von einer Seite auf die andere gewälzt hatte, wurde es ihr zu dumm und sie weckte den Stiefel. Wie üblich brummte er, als sie ihn wachrüttelte. Welcher Stiefel würde nicht brummen, wenn er mitten aus einem Traum von einem wunderschönen, zartrosa Stiefelettchen gerissen würde?

      „Wach auf, wir gehen nach Süden.“

      „Hmm. Mein Leder ist noch nass, die Sohle lahm und in der prallen Sonne lässt’s sich schlecht laufen.“

      „Du