Gerd Grimm

Die gestiefelte Mütze


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Schlaf, streckte er das Leder, dass es in den Nähten knarrte. Nervös sprang die Mütze auf.

      „Auf geht’s Stiefel, was kostet die Welt. Nach Süden“

      Zögernd tapselte der Stiefel einige Schritte vor.

      „Was ist los? Warum bleibst du stehen?“

      Der Stiefel sagte nichts, brummte nicht, bewegte sich aber auch nicht. Genau vor seiner Sohle lag der Fluss und er weigerte sich, noch einmal sein Leder in das Wasser zu setzen.

      „Na los, geh schon weiter, was soll der Quatsch?“

      Der Stiefel schüttelte den Schaft.

      „Herrjemine“, rief die Mütze ungeduldig.

      „Schon wieder herrjemine. Wenn sie das noch einmal sagt, weiß ich nicht, was ich tue.“

      Hopsend und wackelnd rief die Mütze noch einmal:

      „Herrjemine, jetzt geh endl…“

      Der Stiefel bockte und die Mütze flog in hohem Bogen ins Gras.

      „Nein“, grollte der Stiefel mit bitterböser Stimme.

      Verdutzt rappelte die Mütze sich auf, schüttelte ein paar Grashälmchen aus ihrem Gewebe und sagte, mehr zu sich als zu ihm:

      „Der spinnt!“

      Thimotheus Politikus

      Der Stiefel wollte sich tief gekränkt ins Gras fallen lassen um sein unterbrochenes Schläfchen fortzusetzen, als hinter ihnen ein lautes „Nein!“ erscholl.

      Die beiden drehten sich um. Das Schilf raschelte und die Halme schlugen unruhig mit den Köpfen zusammen. Dann teilte sich das Schilf und zum Vorschein kam - eine Maus. Eine ganz gewöhnliche graue Maus.

      Oder doch nicht?

      Die Maus richtete sich auf und schritt hinterpfötig, höchst würdevoll, auf die beiden zu.

      „Hallo Freunde“, rief sie und hob die rechte Vorderpfote zum Gruß. „Gibt’s Probleme?“

      Mütze und Stiefel starrten ihr fassungslos entgegen und fragten sich, was das wohl für ein seltsames Mäuschen war, das würdevoll hinterpfötig durch die Gegend lief und sie mit einer Frage begrüßte, statt sich erst einmal vorzustellen.

      Während die Maus näher kam, fielen ihnen noch mehr Merkwürdigkeiten auf. Ihr Fell war von verschiedenartig grauer Färbung und sie hatte es zu einer Art Frack wachsen lassen. Selbst die langen Halshaare waren ordentlich zu einer Fliege gekämmt.

      Überhaupt machte die Maus einen außerordentlich wichtigen Eindruck mit ihrem Frack, der Fliege und dem würdevollen Gang. Irgendwie schien sie ganz und gar nicht in diese Gegend zu passen, so weit abseits von aller Kultur. Die Mütze tippte, dass sie eine Art Großstadt- oder Theatermaus war, die sich hierher verlaufen hatte.

      „Tagchen Leute“, sprach die Maus weiter, als sie nahe genug herangekommen war.

      „Ich bin Tom die Maus,

      zog einst in die Welt hinaus

      um zu sehn das Reichstagshaus

      wo man lebt in Saus und Braus

      und will jetzt wieder geh’n nach Haus.

      Aus!“

      Nachdem die Maus ihr Sprüchlein aufgesagt hatte, stellte sie sich vor die Mütze und streckte ihr zur Begrüßung die Pfote entgegen. Die Pfote war fein manikürt, die Krällchen blank gewienert und exakt in der Farbe der Fliege gehalten.

      „Tag“, erwiderte die Mütze kühl. Der Stiefel brummte gar nichts.

      Von der abweisenden Stimme ungerührt, ergriff die Maus einen Mützenfaden und schüttelte ihn ausgiebig.

      „Freut mich außerordentlich, Sie kennen gelernt zu haben. Thimotheus mein Name. Thimotheus Politikus. Freunde nennen mich kurz Tom. Mit wem habe ich meinerseits das Vergnügen?"

      „Das ist Stiefel und ich bin die Mütze“, stellte die Mütze sich und den Stiefel vor, indem sie mit dem Bommel auf den Stiefel und sich selbst deutete.

      „Ich wäre dir allerdings dankbar, wenn du meinen Faden wieder losließest.“

      Thimotheus Politikus oder kurz Tom ließ den Faden los.

      „Warum so ruppig? In dieser Einöde freut man sich über jedes friedliche Wesen, das man trifft, sei es Hase, Igel oder Mütze. Wo soll es denn hingehen, wenn man fragen darf?“

      „Nach Süden.“

      „Hmm. Der Süden ist weit und groß. Irgend ein bestimmtes Ziel?“

      Die Mütze ging nicht auf Tom’s Frage ein, sondern fragte zurück:

      „Warum so neugierig? Du siehst uns, stürzt auf uns los, redest wie ein Wasserfall und jetzt quetschst du uns über unser Ziel aus. Du scheinst mir ein recht merkwürdiger Geselle zu sein.“

      „Merkwürdig? Was bitte schön ist an mir merkwürdig?“

      Die Mütze musterte Tom bedächtig von oben bis unten.

      „Na ja“, meinte sie schließlich, „bis vor einiger Zeit wohnte ich bei einem Schneider. Täglich gingen hunderte von Mäusen dort ein und aus. Aber nie habe ich unter all den Mäusen eine mit Frack gesehen.“

      „Also erstens ist das ein Smoking, ein wohlgezüchteter Fellsmoking, ein absolutes Einzelstück und zweitens gibt es für alles immer ein erstes Mal“, konterte Tom sofort.

      „Smoking oder Frack, wo liegt da der Unterschied!“

      „Also der Unterschied ist folgender... „ setzte Tom an, aber die Mütze fiel ihm ins Wort.

      „Unwichtig. Auf das Wesentliche kommt es an.“

      „Was zum Beispiel ist wesentlich?“

      „Wesentlich wäre zum Beispiel, wieso du reden kannst? Auch habe ich unter den aberhunderten Mäusen des Schneiders keine einzige ein Wort sagen hören. Das Äußerste, was sie herausbrachten, war ein spitzes Quietschen, wenn man ihnen auf den Schwanz trat.“

      „Die Frage sei zurückgegeben“, konterte Tom, „wieso redest du?“

      „Bei Mützen ist das normal“, erwiderte die Mütze, schließlich leben wir für den Kopf der Menschen.“

      „Siehst du“, sprach Tom, „und bei mir ist das auch normal. Ich lebte lange Zeit Wange an Wange mit einem Politiker.“

      Die Mütze nickte verständnisvoll.

      „Ihr wollt also nach Süden“, sprach Tom weiter.

      „Unfreiwillig wurde ich vorhin Zeuge einer kleinen Meinungsverschiedenheit zwischen dir und dem Stiefel.“

      „Der Stiefel bockt“ murmelte die Mütze und warf ihm einen bohrenden Seitenblick zu. „Keine Ahnung was er hat.“

      Tom schritt zum Stiefel und betrachtete ihn eingehend von oben bis unten. Besonders sorgfältig untersuchte er die Beuge, wo der Vorderfuß in den Schaft überging. Er tastete das Leder ab, zupfte da und dort und steckte schließlich eines seiner manikürten Krällchen in eine tiefe Falte. Der Stiefel machte einen Satz zurück, als er so empfindlich in die Falte gebohrt wurde.

      „Er wollte nicht ins Wasser?“, fragte Tom über die Schulter.

      Die Mütze nickte mit dem Bommel.

      „Hat er etwas gesagt?“

      Bommelschütteln.

      „Ganz klar, er schämt sich!“

      Fädenrunzeln.

      Neugierig hoppelte die Mütze näher. Noch einmal steckte Tom eines seiner manikürten Krällchen in eine tiefe Falte, und wieder machte der Stiefel einen Satz.

      „Klarer