Claus Beese

Bin ich Segler, oder was?


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schon eine DODI?‹, fragte sie.

      ›Eine ganz kleine, noch kleiner als die Kleine die du schon kennst.‹, schwindelte ich. Der Liebe Gott würde mir die Flunkerei verzeihen, es war ja immerhin eine Weihnachtsgeschichte, die ich der kleinen Mücke erzählen wollte.

      ›Und dann, Papa? Was passierte dann?‹

      ›Dann bin ich wohl von der Bank geplumpst, denn als ich wach wurde, saß ich auf dem Fußboden des Schiffes und um mich herum war es schon ganz dunkel geworden. Ich hatte ja am Nachmittag noch kein Licht gebraucht, und so musste ich mich in der Dunkelheit behutsam von Bord tasten. Vorsichtig kletterte ich am Boot herab und stand etwas später auf dem Hallenboden zwischen den Schiffen. Doch was war das? Plötzlich war ein leises Wispern in der Halle, als flüsterten tausend Stimmen miteinander. Ich blieb still stehen, wagte es nicht, mich zu rühren. Und das Flüstern wurde lauter und bald konnte ich einige Worte verstehen.

      ›Holland! So, so meine Beste! In Holland waren sie ganz. Ist das nicht ein bisschen weit für so ein kleines Schiff?‹

      ›Wieso kleines Schiff? Sie sind man knapp zwei Meter länger als ich, Gnädigste, und dafür ist ihre Taille etwas voller als bei mir. Wo sind sie denn gewesen?‹

      ›Unverschämtheit! Ich bin ja auch ein Dickschiff. Und ein seegängiges Segelschiff dazu. Ich brauche nicht durch die Kanäle nach Holland zu fahren. Ich kann richtig auf die See hinaus. Bis nach Helgoland, wenn es sein muss!‹

      ›Wenn es sein muss! Habt ihr das gehört? Wenn es sein muss! Hahaha! Sie sind wohl nur in der Wesermündung rumgekreuzt, wie? Immer um Rote Sand herum, was?‹

      ›Darf ich auch mal was sagen?‹, meldete sich eine ganz kleine Jolle zu Wort, und als alle anderen erstaunt schwiegen, räusperte sie sich und sprudelte dann hervor: ›Also ich war an der Ostsee und bin bis zum Kieler Leuchtturm gesegelt. Ist das nicht toll?‹

      ›Toll? Was ist daran toll?‹, wollte ein nobler Kajütkreuzer wissen. ›Die paar Seemeilen reiße ich vorm Frühstück ab. Du hättest ruhig die paar Meilen bis Dänemark auch noch machen können, Feigling!‹

      ›Vielleicht wachse ich ja noch, und dann fahre ich mit dir um die Wette, du Snob! Dann hast du aber nichts zu lachen! Versprochen!‹, schnaubte die Jolle empört.

      ›Pst! Seid mal ruhig! Habt ihr das auch gehört? Da ist doch was!‹

      Ich hielt die Luft an und wagte nicht mich zu bewegen. Was würde geschehen, wenn sie mich bemerkten? Es war jetzt so still, dass man hätte hören können, wie eine Feder zu Boden fällt. Da kam plötzlich ein leises Seufzen von ganz hinten aus der letzten Ecke der Halle. Dort lag ein ziemlich altes Schiff, dessen Leib nicht aus modernem Kunststoff, sondern aus altem, verbeultem Stahl bestand. Die Masten waren nicht aus hochwertigem Aluminium, sondern aus Holz und schon an einigen Stellen abgesplittert und rau. Alles in allem, und darüber war sich die Schar der Boote einig, mehr ein Fall für die Abwrackwerft als für den Segelsport.

      ›Ich sage euch, ihr wisst nichts!‹, seufzte der alte Segler und ließ gehörig seine Spanten knacken. ›Kieler Leuchtturm, Rote Sand, Helgoland! Ganz schön, das alles! Aber habt ihr schon mal das glasklare Wasser der Karibik gesehen? Gefühlt, wie Delphine unter euch dahinflitzen und mit ihren Flossen eure Bäuche kitzeln? Habt ihr unter euch noch in zwanzig Metern Tiefe die majestätischen Rochen gesehen, wie sie durch das Wasser schweben? Habt ihr schon mal, weit draußen auf dem Atlantik, in sternenklarer Nacht dem Gesang der Wale gelauscht? Nein? Dann wisst ihr nichts!‹

      ›Frido!‹, flüsterte die kleine Jolle. ›Hast du schon einmal das Kreuz des Südens gesehen?‹

      Wieder seufzte der alte, rostige Kasten in seiner Ecke.

      ›Das habe ich, weiß Gott! Das habe ich!‹

      ›Und?‹, wollte die kleine Jolle aufgeregt wissen. ›Wie sieht es aus?‹

      ›Diamanten! Leuchtende, funkelnde Diamanten auf einem blauschwarzen Samtkissen! Warte, ich werde es dir zeigen!‹

      An der Hallendecke erschien plötzlich ein leuchtender Nebelfleck, das Dach schien zur Seite zu gleiten und gewährte den Blick hinauf zu den Sternen. Doch es waren nicht die Sterne, die man von hier aus sieht. Es waren die Sterne, die über dem Äquator stehen, und sie leuchteten in einer Pracht, dass ich geblendet die Augen schloss. Ein Sternbild kam ganz nah heran und ein Raunen und Flüstern ging durch die Halle.

      Das Kreuz des Südens, Inbegriff aller Sehnsüchte der Menschheit. Traum aller Seefahrer und vielleicht auch aller Schiffe.

      ›Und jetzt zeige ich euch noch etwas! Etwas ganz Tolles!‹, knirschte der rostige FRIDO. Und der Sternenhimmel wechselte sein Bild. Ein einzelner, leuchtend heller Stern schwebte heran. Der Polarstern! Gleißend hell strahlte sein Licht in die Dunkelheit der Halle hinein, um nach einer Weile ganz langsam zu verblassen.

      Es war wieder dunkel in der riesigen, kalten Lagerhalle, in der die Boote vom Sommer träumten, und ich tastete mich durch die Finsternis zur Tür. Was für ein Abend!‹

       Claudia wickelte sich aufgeregt aus der Decke, die ich uns, während ich die Geschichte erzählte, umgeschlungen hatte. Ihre Wangen glühten.

      ›Und was ist aus FRIDO geworden? Hier liegt doch gar kein Schiff, das so aussieht!‹

      ›FRIDO und sein Kapitän sind im nächsten Jahr ausgelaufen. Man sagt, sie wollten über den Atlantik nach Mittelamerika. Niemand hat sie je wiedergesehen oder von Ihnen gehört.‹, sagte ich, während wir aus dem Schiff krabbelten und von Bord kletterten. Draußen empfing uns eine weiße Winterlandschaft, und am frostklaren Himmel stand ein gleißend heller Stern, der sein Licht in voller Pracht durch die Dunkelheit erstrahlen ließ.«

       »Ach, und deshalb wart ihr zu spät zuhause?«, flüsterte meine Lieblingsgattin. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«

      »Erstens hast du mich nicht zu Wort kommen lassen, und zweitens will ich Geschichten nicht gerne zwei- und dreimal erzählen. Und nun hast du sie ja auch gehört.«, lachte ich und genoss, wie sie mir zärtlich über die Wange streichelte.

      »Schööön!«, stellte Bärbel mit leuchtenden Augen fest und rieb sich die Arme, an denen sich die kleinen Härchen aufgestellt hatten.

      Selbst Wolfgang, der eigentlich alles immer ganz sachlich betrachtete, schwieg einen Moment. Dann holte er tief Luft und öffnete den Mund, als wolle er etwas entgegnen. Aber es kam kein Ton heraus, und er klappte die Kiefer wieder zusammen. Dann räusperte er sich vernehmlich und griff zur Weinflasche.

      »Ich denke, in diesem Fall war eine kleine Schwindelei erlaubt«, murmelte er, füllte die Gläser neu und erhob seines. Ganz feierlich schaute er in die Runde.

      »Prost! Und Fröhliche Weihnachten!«

       Es schneite immer heftiger. Dicke Flocken hatten auf dem Dach des Wintergartens eine weiße Schicht gebildet, die ganz langsam durch die mollige Wärme in dem Glasanbau schmolz. Der Wind heulte noch ein wenig kräftiger und Wolfgang legte neue Holzscheite nach.

      »Also, Wolfgang. So wie ich das sehe, darfst du noch eine von deinen vortrefflichen Rotweinflaschen köpfen. Nach Hause kommen wir sowieso nicht mehr. Stattdessen werden wir die Gelegenheit beim Schopfe packen und mal wieder eine Nacht in eurer Dachkammer verbringen, nachdem wir euren Weinkeller gelenzt haben.«

      »Kein Problem!«, grinste der Vereinspräsi und angelte eine neue Flasche aus dem Schrank.

      Bei diesem Wetter war es zu gefährlich, die hundert Kilometer, die uns von Zuhause trennten, inmitten einer verschneiten Nacht noch mit dem Auto bewältigen zu wollen. Das kannten wir schon. Es war aber auch kein Problem, denn die in der Dachkammer eingelagerten Polster der BEERS würden uns schon zu einer sanften Nachtruhe verhelfen, und unsere beiden Mädels konnten zusammen im Zimmer von Wolfgangs Tochter Sarah schlafen.

      »Sag mal, bist du eigentlich in deinem Leben schon mal auf einem Segler mitgefahren?«, wollte er wissen