Claus Beese

Bin ich Segler, oder was?


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wenn die Blase ordentlich stramm im Wind stand. Wieso also setzen? Und dass man den Holepunkt auf der Genua-Schiene in bestimmten Situationen verändern musste, erzählte mir der gnadenlose Skipper auch noch. Ich wäre froh gewesen, wenn hier irgendwo ein Bringepunkt gewesen wäre, der meinem verwirrten Geist die Erleuchtung gebracht hätte.

       Mein holdes Eheweib beobachtete von der Plicht aus meine Bemühungen um mehr Verständnis der Sache. Allerdings zeigte sich in ihrem Gesicht ein breites Grinsen, als ich ihr in Gebärdensprache zu verstehen gab, was ich von der Sache hielt. Ich machte die Bewegung des Zündschlüsseldrehens, und dann hob ich einen Daumen hoch. Sie nickte lachend. Wolfgang machte auch irgendein Zeichen nach hinten, das sie aber nicht verstand.

      Gurgelnd erstarb der Diesel und im nächsten Moment herrschte absolute Stille.

      »Oh, Schiet! Muss der Motor gerade jetzt seinen Geist aufgeben? Wir sind ja mitten im Fahrwasser!«, stellte ich fest und rannte nach hinten. Barbara bekam mich gerade noch am Hemdsärmel zu fassen, sonst wäre ich in Nullkommanix im Niedergang verschwunden gewesen.

      »He, wo willst du hin?«, fragte sie erstaunt.

      »Maschinenschaden! Nicht gehört? Motor ist aus, mal sehen, ob ich ihn wieder in Gang krieg!«

      »Kein Problem! Brauchst nur den Schlüssel zu drehen, dann springt er wieder an. Mann! Das hier ist ein Segelschiff und wir segeln jetzt. Da brauchen wir keinen Motor!«

      »Hier an Bord sagt einem ja auch keiner was«, maulte ich und ließ mich auf die Backbordbank fallen.

       Wolfgang kam jetzt ebenfalls ins Cockpit und sah mich augenzwinkernd an.

      »Na? Ist schon ein Unterschied, was?«

      Allerdings! Ich musste zugeben, dass sich Motorboot und Segler in ihrem Fahrverhalten ganz beträchtlich voneinander unterschieden. Hatte ich auf der DODI lediglich ein heftiges Vibrieren im Hintern, spürte man mit dem Achtersteven hier tatsächlich jede sich ankündigende Schiffsbewegung im Voraus. Aus Gewohnheit fing ich auch an, in den Knien zu federn, wenn die BEERS durch eine Welle schnitt. Erst nach einer Weile stellte ich fest, dass sie dabei nicht wippte und meine Knie also auch nichts abzufedern hatten. Stur und beinahe ohne sich zu rühren, ging der Segler durch Wellenkämme, die meine DODI wie einen Spielball hätten hüpfen lassen. Mit mehreren Tonnen Blei tief unter dem Rumpf und der Windlast im Segel lag das Schiff derart stabil im Wasser, da hätte schon mehr passieren müssen, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen.

       »Sag mal, Wolfgang, was ist denn eigentlich ›mit Lage segeln‹ ?«, fragte ich interessiert, denn wenn man schon mal die Gelegenheit hatte, alles bisher aufgeschnappte zu ergründen, dann wollte ich das auch tun.

      »Das tust du nicht!«, kam es harsch von Wolfgangs Admiralität, als der Skipper einen prüfenden Blick zum Verklicker in den Masttopp warf.

      »Nur ganz kurz, damit die beiden mal sehen, wie man so ein Schiff auch noch segeln kann.«

      »Ich bin dagegen. Ich will das nicht, das weißt du!«

      Oh, Mann! Was hatte ich getan? Ich hatte doch nur eine Frage gestellt, und wirklich nicht die Absicht gehabt, eine Meuterei mit dazugehörender Familienkrise auszulösen.

      »Okay«, sagte der Skipper jetzt ruhig. »Doris und Bärbel auf die Backbordseite, Claus nach Steuerbord. Stemme deine Füße gegen die Backbordbänke. Fertig? Okay, denn los!«

      Bärbel hockte mit wenig glücklichem Gesicht auf ihrer Bank.

      »Was tut er jetzt?«, fragte ich sie, um sie ein wenig abzulenken.

      »Wolfgang ändert jetzt den Kurs ein wenig. Siehst du, bislang hatten wir den Wind von schräg hinten, jetzt bekommen wir ihn von der Seite. Anluven zum Halben Wind nennen die Segler das. Jetzt muss er Fock und Großsegel mit der Fock- und Großschot auf der Winsch dichtholen, das heißt strammer ziehen. Dadurch kommt mehr Druck ins Segel, wir können zwar den alten Kurs nicht mehr halten, aber wir gewinnen deutlich an Fahrt. Und das Schiff neigt sich auf die Seite, was dann Lage schieben heißt.«

       Inzwischen hatte auch ich gespürt, wie sich der Segler nach Backbord neigte. Ich hatte ordentlich zu tun, mich auf meiner Bank zu halten und nicht hinüber auf die Damen zu purzeln. Angesichts der Tatsache, dass Bärbels Beine noch kürzer waren als meine, ahnte ich, welche Schwierigkeiten sie bei diesem Kurs hatte, nicht im Cockpit hin und her zu kullern. Wolfgang ging jetzt hart an den Wind, um uns zu demonstrieren, wie weit sich ein Segler neigen kann.

       »Toll!«, rief ich begeistert und meine Wikinger-Gene jubelten. Das war es doch, das machte Spaß und Laune.

      »Man hört richtig das Boot durchs Wasser zischen«, lachte ich.

Grafik3

       Auch Bärbel hatte den Kopf geneigt und lauschte. Auch sie hörte das eigenartige Geräusch. Es kam von unten, aus dem Bauch des Schiffes. Mit einem Hechtsprung war der kleine Wirbelwind am Schott und spähte nach unten. Was sie sah, ließ sie kreidebleich werden. Aus der Spüle in ihrer Pantry quoll blubbernd ein dicker Wasserstrahl und ergoss sich auf den Teppichboden der Kajüte.

      »Abfallen! Sofort abfallen!«, schrie sie Wolfgang zu. »Nicht das Boot zischt durchs Wasser, sondern das Wasser durchs Boot!«

      Skipper Wolfgang verlor an Farbe und wurde blass. Er ließ beide Schoten schießen und schlagartig bremste das Schiff ab und richtete sich wieder auf, nachdem es einen anderen Kurs aufgenommen hatte. Jetzt stürzte auch er nach vorn an das Kajütenluk und sah gerade noch, wie mit leisem Gurgeln das restliche Wasser aus der Spüle durch den Abfluss wieder in Richtung Elbe verschwand.

      »Ich habe vergessen, die Ausgussventile zu schließen«, schluckte Bärbel und machte ein unglückliches Gesicht. »Meine schöne Pantry! Alles nass!«, jammerte sie.

      »Musst du denn auch wieder wie ein Blöder über die Elbe jagen?«, fauchte sie im nächsten Moment ihren Skipper an.

      »Ist doch bloß Wasser«, tröstete der. »Sei froh, dass wir noch nicht gebunkert haben, die Vorräte wären alle hin gewesen. Das Wasser steht knöcheltief in der Kajüte.«

      Er hangelte sich die Leiter hinab und erwischte mit lang gestrecktem Arm den Schalter für die Bilgepumpe. Gurgelnd und röchelnd wurde das Wasser abgesaugt und wieder dahin gepumpt, wo es eigentlich sein sollte: in den Fluss.

      »Wir drehen bei und fahren zurück. Schiff trockenlegen!«, entschied der Skipper und änderte den Kurs. Wir segelten jetzt etwas moderater zurück und in Höhe des Medem-Leuchtfeuers, welches auch den Beginn des Prickenweges markierte, startete Wolfgang die Maschine. Zumindest versuchte er es, und es hätte mich auch gewundert, wenn es geklappt hätte. Tatsache war, der Diesel blieb stumm und dachte gar nicht daran, seinen Dienst ordnungsgemäß anzutreten.

      »Ist wohl nass geworden?«, fragte ich.

      »Hmmm!«, brummte der Skipper nur, schob mich an die Pinne und grunzte: »Kurs halten!«

      Dann war er schon an Deck um zusammen mit Bärbel das Großsegel zu bergen. Der Wind stand günstig, und Wolfgang riskierte es, nur mit der Fock durch den Prickenweg in den Hafen einzulaufen. Am Beginn des Hafenbeckens rauschte auch das Vorsegel herunter und Wolfgang übernahm selbst die Pinne. Er begann ein paar Schwung zehrende Manöver im Hafenbecken zu fahren und war schon ein Könner, denn mit dem letzten bisschen Fahrt manövrierte er seinen großen Segler auf den Millimeter in die Box am Steg.

      »Na also!«, kommentierte er trocken seine geniale Leistung.

      »Ich glaube, an die Maschine muss ich noch mal ran, bevor wir zur Herrentour starten«, seufzte er. »Notfalls stelle ich der Crew ein paar Paddel zur Verfügung.«

      »Moooment mal!«, gab ich empört zurück. »Ich habe Luxusliner gebucht, nicht Galeere! Und jetzt lass uns die Polster zum Trocknen auf den Steg packen. Schließlich will ich mir doch kein Rheuma holen in deiner Tropfsteinhöhle.«

      »Mein Freund, du musst noch viel lernen«, lachte Wolfgang. »Vor allen Dingen musst du dir als Skipper den richtigen Freundeskreis suchen.«