Michael Möller

Magic Melanie


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hatte, war sofort bereit, den Wagen oberhalb des kleinen Fischteiches unterzustellen. Hier war er zum Haus hin von einer Fichtenreihe abgedeckt, die mal jemand in Heckenform geschnitten hatte. Die Fichten hatten mehr Geduld als der Gärtner und trieben selbstbewußt in den aprilblauen Himmel.

      Als Melanie die Holztüre öffnete, hielt sie einen Moment lang inne, um sich an die Gerüche zu erinnern, die sie erwartete. Manchmal meinte sie, ihre Nase sei empfindlicher und genauer als ihre Augen. Aber Onkel Harald stolperte ihr in den Rücken.

      "Entschuldige."

      Melanie nahm den Geruch von billigem Weinbrand auf. Er kam von ihrem Onkel. Zuerst wollte sie sich darüber ärgern, aber als ihr dann der Gestank aus dem Wageninneren die Luft nahm, hätte sie gern einen Schluck aus Onkels Flachmann genommen. Sie seufzte nur, holte dann Luft und trat ein. Sofort stieß sie das kleine Fensterchen auf, dessen Rahmen von der Feuchtigkeit aufgequollen war. Onkel Harald wedelte mit der quietschenden Holztüre, um den Gestank schneller zu vertreiben.

      Melanie drückte sich an ihm vorbei zurück ins Freie, bis auf das Treppchen. Ihr war schlecht. Drinnen stank es nach Aas und altem Mist.

      Von draußen sah sie, dass ihr Onkel entschlossen Luft holte und sich an die Arbeit machte: Zielstrebig ging er zu der einfachen Schlafstelle und versuchte, die Bretterverschalung dahinter mit bloßen Händen abzureißen. Dabei fielen die meisten der dort angepinnten Fotos und Briefe auf das ausgebleichte Bettzeug, das einmal blauweiß kariert gewesen sein musste. Auch auf dem Boden lagen jetzt Fotos im Staub. Die Bretter aber hielten stand. Onkel Harald fluchte und hastete hinaus, eine Werkzeugtasche aus seinem Auto zu holen.

      Melanie traute sich jetzt ins Innere und bückte sich, um die Bilder und Zettel zu retten. Eines zeigte sie auf dem Schoß ihres Opas, der in einem eindrucksvollen blauen Kostüm vor seinem Wagen saß. Melanie sah direkt in die Kamera. Wer hatte eigentlich das Foto gemacht? Sie hatte es vergessen. Ihre blauen Kinderaugen sahen sie an und schienen eine Frage zu stellen, aber bevor Mel sie richtig hören konnte, war Onkel Harald zurück und machte sich mit einem dicken Schraubenzieher an der Verschalung zu schaffen.

      Melanie stopfte sich die Andenken unter den Pulli und klemmte sie mit dem Gürtel fest.

      Mit dem Werkzeug ging es sehr rasch. Die Bretter waren spröde. Sie hatten der Feuchtigkeit trotzen können. Dahinter kam tatsächlich ein Plakat zum Vorschein, mit Kreppstreifen befestigt, die ihr Onkel sehr vorsichtig ablöste. Mit dem Erbstück ging er hinaus, weil es ihm im Wagen nicht hell genug war. Melanie sah nicht genau hin. Nur die alles beherrschende Katze in der Mitte war nicht zu übersehen. Das Mädchen hörte nur noch das Knistern und Knacken, das entstand, als Onkel Harald das staubtrockene Plakat einrollte, während er schon fluchend zu seinem Wagen ging.

      Dann sah sie die Tiere. Sie hatte mit allem gerechnet, mit Hunden und Katzen, mit Tigern und Elefanten. Tatsächlich hatte sie heute Nacht von einer Herde Dickhäuter geträumt, die sie dazu bewegen musste, auf winzige Schemel zu klettern. Sie hatte sich schon Platz schaffen sehen in der kleinen Scheune, wollte die Gastpferde ausquartieren oder anbauen.

      Das alles würde absolut nicht nötig sein. Eine Mäusefamilie hockte etwas eingeschüchtert, aber immer noch neugierig genug in der hinteren Ecke des Wagens, wo es recht dunkel war. Durch die offene Tür fiel ein Lichtschein auf die pelzige Gruppe. Melanies erster Impuls war, auf irgend etwas in diesem stickigen Wagen zu klettern. Das hatte sie schon so oft im Fernsehen gesehen, dass sie es beinahe für angebracht hielt. Der zweite Gedanke war, sie aus dem Wagen zu scheuchen, weil sie dachte, sie hätten sich erst kürzlich hier eingenistet und würden nun die kümmerlichen Reste von Opa Bels Besitztümern anfressen. Sie griff nach einem der schmalen Bretter, die auf dem Brett verstreut lagen. Als sie sich den Tieren näherte, merkte sie, dass sie keinerlei Scheu zeigten. Sie zuckten ein wenig zurück und schienen sich zu ducken, aber ein Fluchtimpuls war das auf keinen Fall. Melanie musste lachen, als sie bemerkte, wie sie fast minutenlang sich so gegenüber standen. High Noon. Albern war das.

      Nein, das waren keine obdachsuchenden Feldmäuse! Sie waren offensichtlich an die Gegenwart von Menschen gewöhnt, guckten aufmerksam und beinahe klug aus ihren Knopfaugen. Mel wurde klar, was das bedeutete: Diese Tierchen gehörten zu Belemas Truppe!

      Mein Gott — Mäuse! Mäuse?

      Wie hält man denn Mäuse? Und warum? Sie legte ihre Waffe zur Seite und setzte sich auf den Hocker, der neben dem Wandtischchen stand. Nach dem Warum hatte sie nicht zu fragen. Es war Opas Vermächtnis. Punkt. Und sie wollte ihr Erbe antreten.

      Sie wusste nicht genau, weshalb sie jetzt leise seufzte. Das war es jetzt also. Eine regelrechte Bruchbude war die ganze Hinterlassenschaft eines Künstlerlebens. Na super! Ich werde jetzt einfach abwarten, was passiert. Wenn die Tierchen aus freien Stücken den Wagen verlassen und das Weite suchen, kann ich sie leider nicht aufhalten. Will ich sie nicht aufhalten. Mel wollte ehrlich bleiben.

      „Also bitte, meine Herrschaften, wenn Sie mich jetzt meine Arbeit machen lassen wollen?!“ Sie wandte sich entschlossen von dem kleinen Tier-Stillleben ab.

      Vielleicht barg der Kühlschrank ja noch den verborgenen Schatz. Ein Schokolädchen für das Mädchen? Ausbauen musste sie ihn auch noch selber. Ach, Opa.

      Wenn danach die Mäuse immer noch da wären, fiele ihr schon etwas ein.

      Ein Kühlschränkchen, mehr war es ja nicht, aber dieses knapp 50 Zentimeter hohe Kästchen war ein ausgetüfteltes Einbaumodell. In diesen Wohnwagen musste mit jedem Millimeter Raum gerechnet werden. Ohne Werkzeug war da nur schwer etwas zu machen.

      "Onkel Harald!" Seine Werkzeugtasche war ihr eingefallen. Statt einer Antwort hörte sie das Geräusch eines anfahrenden Autos. Melanie musste nicht bei der Tür hinausschauen, um zu wissen, dass es der Passat ihres Onkels war. Typisch! Herkommen, abräumen, den Dreck liegen lassen und wortlos verduften.

      "Ich liiiiebe meine Familie!" schrie sie ihm nach. "Wenn man euch braucht, seid ihr nie da! Und wenn ihr was braucht, wird man euch nicht mehr los!" Sie rief aus dem kleinen Fenster. "Ich will dich nie mehr sehen!" Knallte den Fensterladen zu. Schnaufte. Wunderte sich: Sind das die Mondphasen? Kriegte sie ihre Tage? So leicht war sie doch nicht aus der Ruhe zu bringen! Was hatte sie sich im Ernst vorgestellt? Onkel Harald besaß nun, was er wollte, was ihm zustand. Er war nicht der Mann, der andere danach fragte, ob sie seine Hilfe brauchten. Und bevor sie ihn um etwas bitten konnten, war er meist verschwunden.

      Melanie durchwühlte die kleinen Schubladen in dem selbstgebauten Schrank, der durch eine Plastikvase mit zwei Plastiktulpen in den Rang eines Wohnzimmerschranks erhoben werden sollte. Vergeblich. Sie fand einen Schraubenzieher mit verbogener Klinge zwischen mürben Gummiringen, Rabattmarkenheftchen aus den 5oern und einem Teesieb. Er hatte einen Holzgriff, der erkennen ließ, dass er seltener als Schraubenzieher denn als Meißel benutzt worden war. Die Schrauben, mit denen der Kühlschrank verankert war, waren jedoch so grob, dass Mel keine große Mühe hatte, sie zu lösen. Sie suchte nach dem Stromanschluß und fand stattdessen hinter einer Blende am Fuß des Geräts ein Ventil und eine fadenscheinige Gasleitung. Auch das noch! Sie hatte eine panische Angst vor Gasöfen, sogar vor den gasbetriebenen Campingleuchten mit den blauen Kartuschen. Und Gas hatten sie zuhause so wenig wie einen Boiler. Sie kam sich reichlich verarscht vor. Nehmen Sie das Erbe an? Das war doch nicht die Frage! Bauen Sie das Erbe aus? Verschrotten Sie das Erbe gemäß der Schadstoffverordnung? Füttern Sie Ihr Erbe ein Mäuseleben lang? Ja-ja-ja, verdammt!

      Sie folgte der Gasleitung mit den Augen und konnte sich schließlich draußen, oberhalb der Deichsel des Wagens, überzeugen, dass keine Gasflasche ans System angeschlossen war. Sie dachte dabei an die Bilder, die vor einigen Tagen im Anzeigenblatt zu sehen waren. Eine Gasexplosion zerstört mühelos ein Mehrfamilienhaus. Sie dachte an Mutter. Auf einem alten Hof gab es tausendundeine Möglichkeit, gefährlichen Unsinn zu treiben. Irgendwie gab es ihr immer ein wenig Sicherheit, Philos in ihrer Nähe zu wissen. Er vertrat für sie so etwas wie eine natürliche Vernunft. Er tat nie etwas, was ihm schaden könnte. Hoffentlich war er inzwischen wieder bei ihr. Drinnen brach sie die dünnen Gasrohre einfach ab, was leichter ging als bei Hühnerknochen. Überrascht und verärgert war sie vom Gewicht des Apparates. Oh, Onkel Harald! Gute Fahrt, Alter! Mit großer Mühe nur konnte sie das Gerät bis zum Auto schleppen und schonte es