Niels Wedemeyer

Laborratten


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verloren? Weinert verließ langsam ohne noch Weiteres von sich zu geben das Labor, während Gregor ihm ohne Regung nachstarrte.

      Als er sein Kellerlabor erreicht hatte, explodierte Weinert. Es kam extrem selten vor, dass sich Nicolas Weinert zu Gefühlsausbrüchen hinreißen ließ. Doch dieses Mal war eine unsichtbare Grenze überschritten worden. Weinert hatte einen sehr strikten Kodex, der sich auf Respekt und Toleranz begründete. Er stellte sich nie über die Gefühle, Eigenarten und Ansichten anderer. Gleiches verlangte er aber auch von anderen ihm gegenüber. Er wusste, dass er kein Weltklasseforscher war, wie sollte er auch mit so wenig Berufserfahrung, aber er hatte aus seiner komplexen und schwierigen Aufgabe das Maximale herausgeholt, und hatte es nicht verdient, jetzt so mit Füßen getreten zu werden. Weinert schrie alle Schimpfwörter heraus, die ihm gerade in den Sinn kamen und riss die Schubladen seines Kühlschranks auf. Er kippte alle Probenröhrchen geräuschvoll in den großen Mülleimer in der Mitte des Labors. Costas schaute nur kurz von seinem Computer auf und grinste breit. Nachdem Weinert die letzten Röhrchen weggeschmissen hatte und jetzt nach neuen Opfern seiner Zerstörungswut Ausschau hielt, fragte Costas ihn ruhig:

      „Muss ja ein ziemlicher Hammer sein, den Du da gerade erfahren hast. Lässt Du mich an Deinem Wissen teilhaben?“. Weinert, der erst jetzt merkte, dass er nicht allein im Labor war, schaute ihn überrascht mit hochrotem Kopf an und stammelte:

      „Sie haben so einem österreichischen Schweinchen mein Projekt übergeben, ohne mich vorher informiert zu haben.“

      „Mann, das wundert Dich noch? Ich dachte, Du hättest den Laden hier mittlerweile durchschaut.“ Weinert starrte Costas verblüfft an.

      „Soll das heißen, Du wusstest von dem Scheiß?“

      „Nö. Aber es überrascht mich auch nicht sonderlich. Traubl hatte von Anfang an vor, uns auszutauschen. Ob mit Ergebnissen oder ohne. Dein Superergebnis ist für ihn nichts anderes als ein kleines Antrittsgeschenk und jetzt kannst Du Dich gefälligst verziehen.“

      „Aber ich habe fast 6 Jahre meines Lebens daran geschuftet. Und jetzt soll ich das alles einfach so hinnehmen. Niemals!“ Weinerts Stimme zitterte.

      „Was kannst Du denn dagegen ausrichten? Nichts. Kapier das endlich“, entgegnete Costas energisch.

      „So? Und was machst Du bitte schön den ganzen Tag?“

      „Ich arbeite hier nur noch für mich. Schreibe meine Veröffentlichung und meine Bewerbungen. Für dieses Institut mache ich nichts mehr.“ Weinert war erstaunt, dass es ihm jetzt erst auffiel, dass Costas sich seit ein paar Wochen nicht mehr am Laborbetrieb beteiligte.

      „Und was bitte schön präsentierst Du da die ganze Zeit auf den Arbeitsgruppensitzungen?“

      „Meine alten Kamellen aus der Doktorarbeit. Oder glaubst Du, Traubl setzt sich hin und liest in seiner Freizeit die Dissertationen seiner Mitarbeiter?“. Nun musste Weinert doch grinsen.

      „Dieser alte Schuft. Das könnte ich niemals“, dachte er.

      „Du willst also weg?“, fragte Weinert.

      „Welche Wahl habe ich? Mein Vertrag läuft aus, Ich muss. Und Eva und Du müsst es auch.“, sagte Costas ernst.

      „Nein. Nicht solange ich noch kämpfen kann.“

      „Das wirst Du Don Qichotte aber nicht alleine schaffen. Wenn überhaupt, dann mach es mit Lamprecht zusammen. Der wurde bei Deinem Projekt nämlich genauso über den Tisch gezogen wie Du. Wie mir Bergius erzählt hat, arbeiten Traubli und Schulti schon an Patenten. Die wollen mit Euren Erkenntnissen jetzt richtig Geld machen.“ Weinert lief wieder rot an. Über die möglichen Verwertungsmöglichkeiten hatte er sich bisher noch keine Gedanken gemacht.

      „Wie kommst Du darauf, dass man mit der Mutation Geld verdienen kann.“ Costas fuhr mit seinem rollbaren Bürostuhl näher an Weinert heran.

      „Erstens kann man damit Diagnostik machen. Man schaut nach Risiken, an Magersucht zu erkranken. Jeder, der den Test kommerziell durchführt, muss an den Patentinhaber zahlen. Zweitens, und das ist noch wichtiger, ist da das kaputte Protein. Maja erzählte mir, dass wenn man das defekte Protein einer gesunden Ratte gespritzt hat, diese genauso abgemagert ist wie das mutierte Viech. Die gleiche Supermodellfigur innerhalb nur weniger Tage. Kapierst Du es nun?“. Weinert war so konsterniert, dass er gerade noch ein „das ist ja der Hammer“ von sich geben konnte.

      „Stell Dir mal vor“, sprach Costas weiter, „Du frisst Dir über die Weihnachtsfeiertage ein richtige Pocke an und lässt Dir anschließend beim Hausarzt eine kleine Spritze setzen. Zack. Wieder schlank innerhalb von zwei Wochen. Nicht schlecht oder?“

      „Und Du meinst, Lamprecht weiß von nichts?“ „Von gar nichts. Oder meinst Du, Traubl würde bei ihm zuhause anrufen und sagen: Du, Gerhard, als Dank für das schöne Institut und Deine tolle Ratte machen wir Dich jetzt richtig reich.“

      Weinert hatte Lamprecht angerufen und gefragt, ob er ihn zuhause aufsuchen dürfte. Lamprecht hatte seiner Art entsprechend nur „15 Uhr“ ins Telefon gebrummelt und ohne Verabschiedung aufgelegt. Lamprechts Haus stand in einem Viertel, in dem fast ausschließlich Hochschullehrer zu wohnen schienen. Das Haus war für Weinert unerwartet imposant und gepflegt. In seiner Fantasie hatte er sich ein altes, etwas verlottertes Haus mit verwildertem Garten vorgestellt, doch dieses Haus wirkte wie aus einer Gartenzeitschrift entnommen. Noch mehr überraschte ihn jedoch die Person, die ihm öffnete. Es war ein ungefähr 20-jähriger Punk mit grünen Haaren und bemalter schwarzer Lederjacke, der ihm freundlich sagte:

      „Mein Vater ist in seinem Atelier, am Ende des Flurs.“ Weinert konnte sich vage daran erinnern, dass Frau Schrepper ihm erzählt hatte, dass Lamprechts Frau ihn und seinen recht aufsässigen Sohn vor 6 Jahren verlassen hatte und mit einem indischen Guru durchgebrannt war. Frau Schrepper, die immer bestens informiert zu sein schien, sagte, dass falls Lamprecht jemals so etwas wie Verletzlichkeit gezeigt hatte, es hier der Fall gewesen war. Sichtbar gealtert soll er ausgesehen haben. Es lag wohl weniger an dem Tratsch, der dann in der Fakultät losbrach, sondern vielmehr am persönlichen Verlust. Frau Schrepper meinte, dass er seine Frau immer mehr geliebt habe, als die Wissenschaft. Und das hieß schon was. Weinert folgte dem Flur und klopfte an eine große Milchglastür. Ein Mann öffnete, der Weinert entfernt an Lamprecht erinnerte. Mit Dreitagebart und kariertem Flanellhemd wirkte er mehr wie ein Holzfäller denn wie ein pensionierter Professor. Zudem lächelte Lamprecht ihn breit an. Ein Anblick, an den sich Weinert nicht erinnern konnte, solange Lamprecht noch das Institut leitete.

      „Schön, Sie wieder zu sehen.“

      „Ich kann das Gleiche nur zurückgeben. Sie sehen aus, als ob Ihnen der neue Lebensabschnitt gut tut“, sagte Weinert.

      „Tut es auch. Es war weniger schlimm als erwartet. Bei seiner Emeritierung fürchtet jeder Professor mehr den Verlust des öffentlichen Ansehens als den Verlust seines Berufs. Seine beste berufliche Zeit liegt meistens sowieso schon weit zurück. Mittlerweile ist mir mein öffentliches Ansehen ziemlich egal.“ Beide schmunzelten sich an.

      „Sie waren lange nicht mehr im Institut.“

      „Mir gefällt das Klima dort nicht mehr. Und mein neues Büro, diesen dunklen Verschlag, den mir Traubl so generös überlassen hat, mag ich auch nicht. Ich bleibe lieber zuhause, als mich aufzuregen.“ Weinert blickte sich in dem Raum um. Er wurde zur Hälfte als Künstlerwerkstatt benutzt und war neben einem großen Haufen von Werkzeugen mit mehr oder weniger bearbeiteten Stein- und Holzfiguren gefüllt. Die meisten von ihnen zeigten verzehrte Körper mit abstrakten Gesichtern. Die andere Hälfte des Raums mündete in einen Wintergarten, in dem zwei Rattansesseln umrankt von gewaltigen exotischen Pflanzen standen. Lamprecht bot Weinert einen der beiden Sessel an und fragte ihn, ob er einen Tee trinken wollte, was dieser bejahte.

      „Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Bildhauerei interessieren“, meinte Weinert, während Lamprecht den Tee einschenkte.

      „Eine sehr alte Leidenschaft von mir. Als junger Mann war ich sehr begeistert von Henri Moore, Ernst Barlach und anderen modernen Bildhauern und wollte unbedingt