Niels Wedemeyer

Laborratten


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gehalten.“

      Einer der Höhepunkte einer jeder Arbeitsgruppensitzung war der Auftritt von Costas. Wie gewöhnlich kam er auch dieses Mal gerade von Zuhause und hatte nur mal kurz seine meist privaten E-Mails abgerufen. Nachdem er mit 10 Minuten Verspätung Platz genommen hatte, wurde er von Traubl gefragt, ob sich in der zurückliegende Woche etwas Besonderes getan hatte.

      „Weiß nicht genau.“

      Traubl verblüfft: „Wie, Sie wissen nicht genau?“

      „Wie ich gesagt habe. Man muss sich die Daten noch mal in Ruhe anschauen.“

      Traubl gereizt: „Na dann aber mal her damit.“ Costas verteilte bedächtig einen beeindruckenden Stapel farbiger mikroskopischer Aufnahmen zur allgemeinen Ansicht auf dem Tisch. Es waren überwiegend Aufnahmen einzelner Zellen, die im Inneren grüne, rote oder gelbe Anfärbungen aufwiesen.

      „Ist die Enzymaktivität nach Zytokinzugabe nun erniedrigt oder nicht? Das werden sie uns doch sicher noch verraten können“, provozierte Traubl. Aber wie üblich ließ sich Costas nicht zu einer schnellen Schlussfolgerung verleiten.

      „Ich bin mir nicht sicher. Klarheit werden wir erst bekommen, wenn der neue Zelltyp angekommen ist. Das wird laut der Firma, bei der ich bestellt habe, noch 3 Wochen dauern,“ meinte Costas nur und lehnte sich selbstzufrieden zurück. Traubl lief mittlerweile purpurrot an und verkündete, dass man sicher auch aus den vorliegenden Daten genügend Schlüsse ziehen könnte, und stürzte sich mit seiner Abteilungsleiterin auf das Datenmaterial und versuchte erste Interpretationen. Diese meist recht geistreichen Ideen wurden wie gewohnt von Costas mit Daten aus seinem geheimen Archiv vom Tisch gefegt und fand mit den Worten

      „Ich will es mal so ausdrücken. Das Schwarze, das man sieht, kann der Nachthimmel oder auch der Arsch von einem Panther sein.“ ein treffendes, wenn auch recht derbes Schlusswort. Traubl sank daraufhin kurz in sich zusammen und fuhr daraufhin mit der Projektbesprechung fort.

      Mit einem gehässigen Lächeln schaute er nun zu Weinert. Man merkte ihm an, dass er vorhatte, nach der von Costas erduldeten Schmach, an Weinert Vergeltung zu üben.

      „Na. Was macht denn so die Kellerforschung? Schaffen es ihre Ergebnisse dieses Mal bis ins Erdgeschoss?“ Traubl schaute sich ob seines Kalauers bei der Belegschaft um, stellte aber zu seinem Bedauern fest, dass keiner lachte. Weinert wurde im Wissen um den anstehenden Triumph immer ruhiger. Er lege die Ausdrucke der Ergebnisse in die Mitte des Tisches und antwortete gelassen:

      „Ich habe die Mutation gefunden. Eine Punktmutation.“ Er zeigte dabei mit dem Finger auf die grüne Kurve in der Mitte des Ausdrucks.

      „Alle 10 untersuchten erkrankten Ratten weisen im Gegensatz zu ihren gesunden Tieren die Veränderung auf. Die Trägertiere zeigen wie erwartet beide Variationen des Gens. Das betroffene Gen heißt Neuropeptid Y (ein Peptid ist ein kleines Protein). Es ist für die Herstellung eines Botenstoffs im Gehirn erforderlich, der unter anderem für die Erzeugung des Hungergefühls zuständig ist. Die Zerstörung des Proteins scheint zu einer Appetitlosigkeit zu führen.“ Eine ganze Weile herrschte Stille im Raum. Dann erhob sich hektisches Gebrabbel. Traubl klatschte mehrmals nervös in die Hände und bat um Ruhe.

      „Seit wann wissen Sie um dieses Ergebnis?“, fragte Traubl und lehnte sich dabei weit nach vorne.

      „Seit sechs Tagen.“, erwiderte Weinert. „Und dann kommen Sie, verdammt noch mal, erst jetzt damit heraus? Was spielen Sie hier für ein Spielchen?“ „Wenn ich das erste Ergebnis zu früh bekannt gegeben hätte und es sich nicht bestätigt hätte, wäre mir vermutlich der Kopf abgerissen worden.“, meinte Weinert, verärgert über die doch Recht unerwartete Reaktion seines Chefs.

      „Dann führt man eben seine Versuche so durch, dass sie nicht beanstandet werden können.“, brüllte Traubl wild gestikulierend. Es war Frau Schultheiß-Gottlob, die die außer Kontrolle zu geratende Diskussion in eine andere Richtung lenkte.

      „Soviel ich weiß, ist dieses Gen schon einmal bei Mäusen künstlich zerstört worden, ohne dass man eine solche Abmagerung der Tiere beobachten konnte.“

      „Sie haben Recht. Aber bei den von Ihnen angesprochenen Experimenten hatte man das ganze Gen zerstört, so dass in diesen Mäusen gar kein Neuropeptid Y mehr gebildet wurde. Hier aber ist nur die Stelle des Proteins defekt, die vermutlich für das Andocken des Proteins an bestimmte Zellen des Hypothalamus verantwortlich ist.“ Weinert merkte, dass sich seine umfangreichen Literaturrecherchen der letzten Tage bezahlt machten. Schultheiß-Gottlob hakte nicht weiter nach. Ihre nachdenkliche Miene verriet jedoch, dass sie sich bereits ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema machte. Erst nach Beendigung der Sitzung sagte sie leise zu ihm:

      „Ich möchte eine Kopie ihrer Ergebnisse bis 15 Uhr auf meinem Tisch haben.“ Der Blick in Schultheiß-Gottlobs Augen verhieß nichts Gutes.

      Bereits um 18 Uhr 30 stand Weinert vor Kälte zitternd vor dem Theater und wartete auf Maja. Sie trug ein langes schwarzes Abendkleid, das trotz der Kälte tief ausgeschnitten und ärmellos war. Die wilden Locken waren hochgesteckt und das Gesicht dezent geschminkt. Fast hätte Weinert Maja nicht erkannt, war sie doch im Labor stets zurückhaltend gekleidet, meist im weißen Kittel. Jetzt sah er, wie unglaublich hübsch sie doch war. Durch ihre unerwartete Eleganz wurde Weinert ganz verlegen, hinsichtlich seiner eher legeren Kleidung. Zwar trug er den besseren seiner beiden Blazer und sein blaues Lieblingshemd, aber dazu eine recht verwaschene Jeans. Obwohl er gar keine anderen Hosen besaß, kam er sich doch reichlich unpassend vor. Es war nicht mehr zu ändern. Als Maja ihn in der Menge ausmachte, kamen wieder diese wunderbaren Grübchen zum Vorschein. Sie rannte ihm entgegen und rief ihm schon von weitem ein „Super, dass Du kommen konntest.“ entgegen.

      „Wartest Du schon lange?“

      „Nö, ich bin auch gerade erst gekommen“, log Weinert und fragte sich, warum er das tat. Auf dem Weg durch das Foyer fragte ihn Maja, ob er das Stück schon mal gesehen hätte. Er verneinte. Weinert ging nie ins Theater. Er war sich nicht ganz sicher, das Stück einmal in der Schule behandelt zu haben, aber wenn, dann war absolut nichts mehr hängen geblieben. Er wusste nur von dem Eingangsplakat, dass das Stück von einem gewissen Samuel Beckett stammte, den er aber auch nicht kannte. Er fühlte sich plötzlich sowohl für das Treffen mit Maja als auch für das Theaterstück ziemlich schlecht vorbereitet. Die Konversation mit Maja hätte sich vermutlich schwierig gestaltet, wenn er selbst die Gesprächsführung hätte übernehmen müssen. Er war in ihrer Gegenwart immer schon wie betäubt, insbesondere jetzt, wenn sie so umwerfend zurechtgemacht war, nicht mehr in der Lage, charmant oder gar geistreich zu sein.

      Zum Glück übernahm Maja die Initiative und erzählte ihm einiges über das Theater, das sie nach eigenen Angaben jeden Monat besuchte sowie über das Stück. Dieser Samuel Beckett sei von Haus aus Ire gewesen, hätte aber in Frankreich gelebt und auch alle Stücke in Französisch geschrieben. Er schrieb meistens philosophische Theaterstücke über den Sinn des Daseins und bekam für seine Werke 1969 den Nobelpreis für Literatur. Weinert wusste nicht genau, ob ihn das Gesagte tatsächlich interessierte, aber Maja hatte so eine wundervolle Art zu erzählen. So viel Leidenschaft und Wärme war in ihrer Stimme.

      Das Theaterstück irritierte ihn nicht weniger als Maja selbst. Es ging um zwei Landstreicher, die auf einen gewissen Godot warteten, der aber nie kam. Zwar wurde er unter anderem von einem Jungen zwischendurch wieder angekündigt, kam dann aber trotzdem nicht.

      Das Warten wurde zur Qual. Die Landstreicher versuchten aus Verzweiflung Selbstmord zu begehen, scheiterten aber. Die beiden schienen sich nun unentwegt durch Unterhaltung ablenken zu wollen, obwohl die Dialoge ständig konfuser wurden. So endete das Stück, ohne das Godot erschien. Weinert war völlig durcheinander, meinte schon, er wäre zu blöd, der Logik des Stückes folgen zu können. Dieser Komplex trat bei ihm immer wieder zu Tage. Er war sich seiner manchmal recht behäbigen Art durchaus bewusst und wusste, wie dies von Leuten wie Traubl ausgelegt wurde. Er selbst sagte sich zwar, dass er so unterbelichtet gar nicht sein konnte, schließlich hatte er sowohl das Abitur als auch das Diplom ohne Probleme geschafft, aber die Unsicherheit gegenüber intellektuellen Persönlichkeiten blieb dennoch. Maja fragte