Niels Wedemeyer

Laborratten


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USA, Freund wäre zuviel gesagt, da er solche nicht besaß, ob er eine Stelle für eine talentierte wissenschaftliche Mitarbeiterin hätte. Dieser Bekannte schilderte ihm die aus Deutschland stammende Kandidatin als „tough and straight“, was durchaus Traubls Interesse erweckte. Bei einem kurzfristigen Besuch in den USA traf er dann die Frau mit dem Namen Dr. Annegret Schultheiß-Gottlob in einem schäbigen Cafe auf dem Flughafen von Philadelphia.

      Was er da sah, verschlug ihm gänzlich den Atem. Sie war Anfang Dreißig, einen Kopf größer als er und sehr schlank, man könnte auch sagen, leicht unterernährt. Ihr Gesicht hatte durchaus Attraktivität, wenn auch ohne die geringste Spur von Wärme oder Humor. Dieser Eindruck wurde noch durch ihre kristallblauen Augen und die kurzgeschorenen, platinblonden Haare unterstrichen. Die tiefe Stimme, die ihm ein „schön, Sie zu treffen“ entgegenhauchte, hatte eine derart brutale Intensität, dass sich die Haare an seinem ganzen Körper aufrichteten. Diese Frau hätte ohne Zweifel auch bei der Waffen-SS eine fulminante Karriere gemacht. Seine sexuelle Phantasie ging urplötzlich mit ihm durch, und er stellte sich vor, von Frau Dr. Annegret Schultheiß-Gottlob, gekleidet in einem schwarzen Nichts aus Leder, bis zur Besinnungslosigkeit gepeitscht zu werden. Mit einiger Mühe fing er sich wieder. Er trank von seinem Kaffee und verbrühte sich wie noch nie in seinem Leben den Mund. Nachdem er wild fluchend die Hälfte des Kaffees verschüttet hatte, fragte er mit schmerzenden Mund:

      „Frau Schultheiß-Gottlob, Sie sind mir von ihrem Gruppeneiter als außerordentlich tüchtig bezeichnet worden. Was sind die Gründe dafür, dass Sie die USA verlassen wollen.“

      „Es war von Anfang an mein Ziel, nur für ein paar Jahre in Amerika zu bleiben und anschließend in Deutschland zu habilitieren. Für gewöhnlich verfolge ich meine Ziele auch bis zum Schluss“, sagte Sie und trank ihren ebenfalls noch bedrohlich dampfenden Kaffe mit einem kräftigen Schluck. Kein schmerzverzerrtes Gesicht, noch nicht einmal ein leichtes Zucken der Mundwinkel, wie Traubl bewundernd feststellte.

      „Wie ich Ihren Unterlagen entnehmen konnte, ist Ihre bisherige wissenschaftliche Arbeit über jeden Zweifel erhaben. Mit großer Regelmäßigkeit haben Sie in führenden Zeitschriften veröffentlicht. Was mich interessieren würde, wäre Ihre Einstellung zur Mitarbeiterführung, denn dies würde einen wichtigen Teil Ihrer Arbeit ausmachen. Vor allem, weil es sich bei dem derzeitigen Personal, das ich von meinem Vorgänger geerbt habe, um besonders arbeitsscheue und renitente Spezies handelt.“ Er schaute in ihre außergewöhnlich blauen Augen und schien ihre Antwort bereits zu kennen.

      „Herr Traubl, ich bin in meiner Karriere durch eine sehr harte Schule gegangen, ohne dass es mir geschadet hätte. Im Gegenteil. Ich habe keine Zweifel daran, dass auch ihrem Personal eine harte Schule nicht schaden könnte“, meinte sie mit einer Laszivität, wie er sie noch nicht kennen gelernt hatte. Etwas verschämt bemerkte er die Ausbeulung seiner Hose.

      „Ausgezeichnet. Ich sehe schon, dass wir eine ähnliche Auffassung vertreten. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass ich Sie sehr gerne einstellen würde. Leider kann ich Ihnen aber zum jetzigen Zeitpunkt lediglich einen Zwei-Jahres-Vertrag anbieten.“ Abrupt verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht.

      „Wenn Sie mir keinen Fünf-jahres-Vertrag bieten können sowie einen eigenen Forschungsetat von mindestens 100.000 DM pro Anno, kommen wir vorraussichtlich nicht ins Geschäft. Mir liegen schließlich noch andere attraktive Stellenangebote vor, von weitaus renommierteren Instituten als dem Ihren.“ Die Erregung verschwand augenblicklich.

      „Das wird aber mit unserer Verwaltung kaum machbar sein“, beteuerte er verzweifelt, ahnend, dass dieses Argument seiner Gesprächpartnerin sicher nicht genügen würde. Sie lehnte sich zurück und gewann allmählich ihr Lächeln wieder.

      „Herr Traubl, ich denke doch, dass Sie überzeugend genug sind, um sich gegenüber Ihrer Verwaltung durchzusetzen.“

      Wieder in Deutschland setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um bei der Verwaltung die gewünschte Stelle zu realisieren, was ihm nach zähem Ringen und zahlreichen Gesprächen mit dem Verwaltungschef auch gelang. Nun war er sich sicher, dass er den Widerstand in seinem Institut bald brechen würde.

      Die Institutsangestellten wurden nicht über die Ankunft von Frau Dr. Schultheiß-Gottlob informiert, um die Wirkung ihres Auftritts noch zu verstärken, so Traubls Hoffnung. Bei einer Arbeitsgruppensitzung saß sie dann ohne Vorankündigung neben Traubl und wurde von diesem als die neue Arbeitsgruppenleiterin vorgestellt. Ihr hartes Äußeres und ihr eiskalter Blick ließen bereits nichts Gutes verheißen, ohne das sie auch nur ein Wort gesagt hätte. Sie erinnerte Weinert auf unangenehme Weise an seine magersüchtigen Ratten. Als bei der Vorstellung der wöchentlichen Ergebnisse die Reihe an ihm war, räusperte er sich kurz und kramte unter einer Reihe von Computerausdrucken das Ergebnis einer so genannten Expressionsstudie hervor. Bei dieser Studie sollte geklärt werden, in welchem Organ eines seiner zahlreichen Kandidatengene transkribiert (abgelesen) wird.

      Aus seinen hier präsentierten und von ihm für gelungen gehaltenen Ergebnissen ging gemäß seiner Ausführungen hervor, dass dieses Gen in allen Geweben angeschaltet wird, verstärkt jedoch in der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse). Bevor Weinert sein nächstes Ergebnis präsentieren konnte, merkte er wie die langen, dürren Finger von Frau Schultheiß-Gottlob langsam nach dem vor ihm liegenden Ergebnis griffen. Plötzlich war er sich nicht mehr ganz so sicher, ob die vorgestellten Ergebnisse wirklich die Qualität hatten, die er ihnen zuschrieb. Seine Befürchtungen waren durchaus berechtigt, wie sich in den nächsten Minuten herausstellen sollte. Frau Schultheiß-Gottlobs Blick verweilte nur kurz auf dem Bild. Dann schaute sie Weinert frontal in die Augen, ohne dass er daraus schlau geworden wäre. Er fröstelte.

      „Wie sehen Ihre Kontrollexperimente aus? Ist in jeder Gelspur tatsächlich gleich viel RNA (abgelesenes Genprodukt) aufgetragen?“, hauchte sie mit ihrer tiefen, sehr mechanisch klingenden Stimme.

      „Au, Backe.“, dachte Weinert. Er hatte dieses Experiment natürlich auch geplant, es aber im Laufe der Woche nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Traubl schlicht und einfach vergessen.

      „Nein. Dieses Experiment ist für morgen geplant. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich immer in jeder Gelspur gleichviel auftrage. “, gab Weinert mit schwacher Stimme von sich, instinktiv wissend, dass seine Erklärung der neuen Abteilungsleiterin nicht genügen würde. Sein Hals war wie zugeschnürt. Frau Schultheiß-Gottlob schob ihren ausgemergelten Kopf etwas nach vorne, um die Kraft ihrer Worte noch ein wenig zu verstärken:

      „Das bedeutet, dass sie noch gar keine exakte Aussage treffen können, ob es tatsächlich in der Hypophyse verstärkt gebildet wird?“ Treffer versenkt.

      „Ja richtig. Das kann ich eigentlich noch nicht. Es ist mehr so eine Art Vermutung.“, stöhnte Weinert. Frau Schultheiß-Gottlob hatte jetzt Blut geleckt. Energisch setzte sie nach:

      „Gibt es experimentelle Daten oder Hinweise aus der Literatur, die Ihre Vermutung unterstützen, Herr Weinert?“. Er fragte sich gerade, woher sie seinen Namen kannte, da er ihr noch nicht offiziell vorgestellt worden war.

      „Nein. Sie haben Recht. Ich ziehe hiermit meine Vermutung zurück“. Weinert schwamm davon. Eine klassische K.O.-Niederlage in der ersten Runde. Doch Frau Schultheiß-Gottlob gehörte zu den Menschen, die nicht aufhören zu kämpfen, wenn der Gegner „nur“ am Boden liegt.

      „Erklären Sie mir dann bitte, warum Sie uns hier wissentlich fehlinformiert haben. Stellen Sie sich vor, ihre falsche Interpretation wäre nicht entdeckt worden und einige Mitarbeiter wären jetzt schnell aufgesprungen, um auf der Grundlage ihrer aus den Fingern gezogenen Mutmaßungen nachfolgende Experimente durchzuführen. Das hätte viel Geld und wertvolle Zeit gekostet.“ Sie lehnte sich zurück und atmete tief durch.

      „Normalerweise verweise ich nur bei Studenten des Grundstudiums auf die Wichtigkeit von Kontrollversuchen. Bei Studenten des Hauptstudiums setze ich dieses Wissen voraus. Einen Doktoranden, der wissentlich darauf verzichtet, schmeiße ich ohne weitere Begründung raus. Mit einem Postdoc, der so fahrlässig handelt, sollte noch härter verfahren werden“, ihre Stimme hatte unangenehm an Schärfe und Lautstärke zugenommen.

      „Aber es ist mein erster Tag an diesem