Niels Wedemeyer

Laborratten


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hinüber, dessen Gesicht jetzt in voller Blüte stand, und verzog angewidert den Mund.

      „Wir hatten bereits heute Morgen schon das Vergnügen“, sagte Traubl und wandte sich ohne weitere Worte wieder in Richtung Tür.

      „Was für ein unsympathischer Zwerg“, dachte Weinert, als die beiden Professoren sein Labor verließen.

      Kapitel 2 – Die Übernahme

      Bei Traubls Antrittsvorlesungen war die gesamte Fakultät versammelt. Alle wollten den Genius aus Übersee in Augenschein nehmen, der jetzt zu den Ihren gehörte. Traubl sprach vorwiegend von seinen wissenschaftlichen Erfolgen der letzten Jahre, die einhellig als beeindruckend bewertet wurden, und versuchte ganz im amerikanischen Stil mit kleinen Witzchen die für Laien, und das waren die meisten, doch recht trockene Materie etwas aufzulockern. Ein Humor allerdings, der von den wenigsten im Auditorium recht nachvollzogen werden konnte. Einzig der Dekan lachte herzhaft. Abschließend überreichte dieser einen üppigen Blumenstrauß und beendete die Veranstaltung mit einer recht konfusen, und für den Anlass viel zu langen Rede.

      Bei einem für das permanente Wehklagen der Fakultät wegen zu geringer finanzieller Mittel doch sehr üppigen kalten Buffets hatten die Institutsmitglieder erstmalig die Möglichkeit, ihren neuen Vorgesetzten aus der Nähe zu betrachten. Weinert war dieser kleine Mann mit dem grauenvollen und dazu noch viel zu großen Anzug von Anfang an verhasst. Bereits bei der Vorlesung bestätigten sich alle üblen Vorahnungen, schwang doch bei all der demonstrierten Selbstverliebtheit eine große Portion Komplexe und Empfindlichkeit mit. Auch die gnadenlose Zielstrebigkeit und der extreme Ehrgeiz des neuen Chefs waren deutlich zu spüren. Ein Blick in die Mienen von Costas und Eva bestätigte ihm, dass er mit seiner Einschätzung nicht alleine war.

      Traubl saß lächelnd an dem gerade gelieferten neuen Schreibtisch und strich vorsichtig mit beiden Händen über die glatte Kirschholzoberfläche. Am Ziel, dachte er zufrieden. Die vielen Mühen der letzten Jahre hatten sich für dieses eine Ziel gelohnt. Eine Professur. Alle anderen Stellen an der Universität sind entweder zeitlich auf wenige Jahre begrenzt oder mit einem lebenslangen Lakaiendasein verbunden. Er erinnerte sich noch gut an die Worte seines Doktorvaters, der gesagt hatte: „Über uns Professoren steht nur Gott. Ich bin übrigens Atheist.“ Anwesenheitspflicht existiert ebenso wenig, wie irgendwelche Verhaltensregeln. Ob man nun ein Despot ist, der seine Mitarbeiter vorsätzlich in den psychischen Ruin treibt, oder gutmütig seine Schäfchen fördert, ist jedem Professor freigestellt. Eine Kontrollinstanz gibt es nicht. Nun ging es nur noch darum, sein eigenes Imperium aufzubauen. Unglücklicherweise erkannte Traubl in seinem „Erbe“ einen Haufen störrischer Faulenzer, mit denen die geplante Rückkehr in die wissenschaftliche Weltklasse nur schwerlich zu schaffen war.

      Die Gelder für neues Personal waren zwar bereits während der letzten Monate in den USA bei verschiedenen deutschen Förderinstitutionen beantragt worden, würden aber noch mindestens ein halbes Jahr auf sich warten lassen. Dummerweise hatten die noch vorhandenen Wissenschaftler Verträge bis zu zwei Jahren und eigene Projektgelder, was ihnen - sehr zu Traubls Ärger - eine gewisse Unabhängigkeit garantierte. Als erstes brauchte er einen Verbündeten, der die Truppe mit ihm zusammen auf Trapp hielt. Unter den alten Institutsmitgliedern fand sich nur ein ernsthafter Kandidat für diese Aufgabe, ein akademischer Rat namens Privatdozent Dr. Bergius. Voller Tatendrang verließ Traubl sein Büro und begab sich die Suche nach seinem zukünftigen Sozius. Wie ihm mitgeteilt wurde, war Bergius nach der Mittagspause üblicherweise im Mikroskopierraum anzutreffen. Da in dem Raum, dessen Tür mit einem „Zutritt für Unbefugte verboten“-Schild gekennzeichnet war, niemand auf sein Klopfen reagierte, trat er ein. Der Raum war gänzlich abgedunkelt. Zwar konnte Traubl niemanden erkennen, doch nahm er ein tiefes, grollendes Schnarchen wahr, das aus dem hinteren Teil des Raums zu kommen schien. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erblickte er einen rundlichen Mann mit krausen, grauen Harren, der über ein grünlich beleuchtetes Mikroskop gebeugt war. Beide Augen lagen auf den Gummischutzringen der Okulare auf, der Mund stand offen und Spucke tropfte auf den Mikroskopiertisch.

      „Herr Bergius“, fragte Traubl mit einer Mischung aus Vorsicht und Unverständnis. Bergius erschreckte derart, dass er laut schreiend eine Box mit Objektträgern quer durch den Raum schleuderte. Traubl schlug in Panik auf den Lichtschalter und erblickte Bergius, dessen Augen von zwei roten Ringen umrahmt waren. Bergius räusperte sich kurz und fragte mit ernster Stimme:

      „Was kann ich für Sie tun?“

      Obwohl mit einem durchaus scharfen Verstand gesegnet, war es allein Bergius´ Antriebslosigkeit anzulasten, dass er selbst nie eine Professur erhalten hatte. Ihm war es lieber, wenn auch schlechter bezahlt und weniger angesehen, in Ruhe seinen eigenen, ein wenig skurrilen wissenschaftlichen Neigungen nachzugehen, als in der Fakultätspolitik aufgerieben zu werden. Er leitete mit großer Freude die Praktika für das Grund- und Hauptstudium und hielt neben einer Vorlesung für Mediziner noch eine sehr gut besuchte Vorlesung über gesunde Ernährung für das „Studium im Alter“. Er sprach leise und auffallend langsam und ließ sich selbst von dem stets hyperaktiven Traubl nie aus der Ruhe bringen. Im Gegensatz zu Lamprecht, der im Laufe der vergangenen 30 Jahre gelernt hatte, Bergius´ aufreizende Lethargie als Gott gegeben zu akzeptieren, drohte Traubl bereits nach kurzer Zeit an der Art seines neuen „Unteroffiziers“, wie er ihn nannte, zu zerbrechen. Nach nur zwei Monaten und zahlreichen Wutanfällen entließ er Bergius schließlich wieder in seine selbst gewählte Bedeutungslosigkeit. Er biss aber nicht nur bei Bergius auf Granit. Auch die restlichen Mitarbeiter erwiesen sich gegenüber seiner permanenten Aufforderung zu mehr Arbeitsleistungen als immun. Für Traubl gab es daher nur eins: Rausekeln oder Umbiegen. Die Zeitarbeitsverträge (kaum ein Wissenschaftler hatte eine unbefristete Stelle), wurden nur noch um maximal 3 Monate verlängert, die beliebten Kaffeepausen um 16 Uhr gänzlich gestrichen.

      „Wir erforschen schließlich nicht die Nebenwirkungen des Kaffeekonsums“, hatte er zynisch bemerkt. Jeder Fußsoldat, wie er seine Mitarbeiter nannte, sollte wissen, was er von ihnen erwartete: Schneller und besser, oder aber öffentliche Bloßstellung und Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisse. Um sich der internationalen Konkurrenz vor allem der Amerikanischen in diesem „hoch kompetitiven Feld“, wie er es selbst nannte, stellen zu können, musste man die Arbeitsmethoden, besser noch bislang vorherrschende Arbeitseinstellung radikal ändern, so Traubl.

      „Will man mit den Haien schwimmen, reicht es nicht aus, ein guter Dorsch zu sein“, erklärte er der ungläubigen Mannschaft. Wenn man sich umschaute, sah keiner aus, als wollte er sich in einen Hai verwandeln. Aber welche Wahl hatte man, wusste man doch, dass Haie mit Vorliebe Dorsche fressen.

      Das Hauptinstrument des Terrors war die allwöchentliche Arbeitsgruppensitzung. Dieses allwöchentliche Treffen war eine Art Inquisitionsgericht inklusive Folterung und anschließender öffentlicher Verbrennung. Hier musste jeder Fußsoldat seine wöchentlichen Leistungen offen legen und in den allermeisten Fällen mit einer Maßregelung Traubls rechnen. Am Anfang versuchten sich die Mitarbeiter noch für die fehlenden Ergebnisse mit dem Hinweis auf die Komplexität und Dauer der Versuche zu entschuldigen.

      „Stecke mittendrin. Mit Daten rechne ich erst morgen früh.“ In der nächsten Woche war man schon wieder mittendrin und brauchte sich wieder nicht weiter rechtfertigen. Beim alten Chef, Professor Lamprecht, hatte diese Strategie immer gut funktioniert. Er durchschaute zwar ebenso wie der neue Chef die Absicht der Nachwuchskräfte, wusste aber auch, dass die Mitarbeiter, die was zu sagen haben, sich schon melden würden, und dass aus einer Steigerung des Drucks auf die Truppe meist nur mehr Frustration und selten mehr Innovationen und bessere Daten resultierten. Dies sah der neue Herrscher der Labore selbstverständlich ganz anders. Traubl aber beharrte darauf, alle, absolut alle Daten einzusehen. Ob vorläufig oder nicht. Traubl versuchte das amerikanische System, das er selbst in fünf zum Teil recht qualvollen Jahren erlebt hatte, 1 zu 1 auch hier umzusetzen. Man kann das Ganze durchaus mit der Christianisierung der südamerikanischen Indios durch die spanischen Conquistadores vergleichen.

      Dennoch stellte sich auch nach einigen Monaten immer noch nicht die erhoffte Besserung ein. Es fehlt die permanente Kontolle und der notwendige Druck, dachte Traubl. Dies konnte er nicht alleine bewerkstelligen, war er doch mehr