Jo Caminos

Tempus Z


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zuckte schwach mit den Achseln und schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Hör schon auf, Otis! Die KI ist State of the Art. Bisher nicht die geringsten Probleme. Abgesehen davon hängen wir immer noch zusätzlich am Leitstrahl des Satelliten. Mehr Sicherheit geht fast nicht, und im Falle des Falles übernehme ich ganz einfach manuell. Klar?« Sie sah ihrem Kollegen tief in die Augen und fuhr dann fort: »Was das andere angeht: Ich kam als Kind mit meinen Eltern aus Kasachstan in die Staaten. Zu Hause bei uns wurde weiterhin die Muttersprache gesprochen. Und was die Pilotenausbildung angeht: Ich dachte, der General hätte dich darüber informiert.« Sie schwieg für einen Moment. »Ich musste zweimal mit dem Schleudersitz raus, damals … Deshalb wurde ich aus dem aktiven Flugdienst abgezogen, prophylaktisch, du kennst das ja. Aber ja - ich halte mich nach wie vor auf dem Laufenden und kann fast alle Maschinentypen fliegen. Und dieser neue Vogel hier ist dermaßen idiotensicher konzipiert, da bräuchte es im Grunde genommen überhaupt niemanden an Bord. Denke an die Informationen aus dem Briefing …«

      »Du überraschst mich immer wieder«, entgegnete Otis halblaut. Er winkte kurz ab und murmelte etwas frustriert: »Ist auch egal …« Er hielt einen kleinen Tablet-PC in der linken Hand und betrachtete nachdenklich die Einsatzunterlagen. »Klingt alles sehr simpel. Landen, die Leute von der ISS in die Maschine verfrachten und dann ab nach Hause.«

      »Der Jet ist die letzte Entwicklung, wir sind für die russische bzw. kasachische Luftabwehr - wenn es die noch gibt - praktisch unsichtbar. Aber ich gebe dir recht, es bleibt ein Restrisiko, da die Lage in Kasachstan unbestimmt ist. Keiner weiß, was dort los ist bzw. wie es dort aussieht.«

      Otis nickte. »Denkst du, dass an der Hypothese etwas dran ist, dass mit dem Blut der ISS-Besatzung ein Wirkstoff gegen die Zombieseuche hergestellt werden kann?«

      »Keine Ahnung. Wir können nur abwarten. Vielleicht funktioniert es.«

      Otis schnupperte für einen Moment irritiert in der Luft herum. Das Innere der Maschine roch förmlich neu, irgendwie nach zu viel Kunststoff und Reinigungsmitteln.

      »Die Zeit läuft uns davon«, fuhr er nach einer Weile fort. »Whitehawk Air Force Base scheint kurz davor zu stehen, von den Untoten überrannt zu werden. Zumindest lassen die letzten Meldungen, die durchkamen, keinen anderen Rückschluss zu. Und Cleveland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Außerdem macht mir die unklare Kommandostruktur Sorgen. Da sind zu viele Köche am Werk, die den sprichwörtlichen Brei verderben können. Die östlichen Basen schweigen, sind vielleicht sogar zerstört, und was mit den Einheiten nördlich und südlich los ist, weiß keiner. Selbst die alten, todsicheren Telegrafenleitungen funktionieren nicht so, wie man es erwarten dürfte. Es liegen Sabotageberichte vor. Aber keiner weiß Genaues: Sind es ausländische Agenten, die nach wie vor aktiv sind - oder sind es diese Verrückten von der Weißen Zelle Amerika, die immer stärker aufmucken …? Es ist zum Auswachsen, Jess. Als steckten wir nicht schon mehr als genug im Schlamassel durch diese verdammten Untoten …«

      Jessica schürzte die Lippen. Sie sah Otis in die Augen. »Wenigstens konnten die letzten Großherden zurückgedrängt werden. Die Brandsätze haben das Gros der Untoten dem Erdboden gleichgemacht.«

      »Ja«, entgegnete Otis mit grimmigem Gesichtsausdruck. »Aber es werden einfach nicht weniger. Aus allen Himmelsrichtungen nähern sich neue Herden. Und langsam gehen uns die Brandsätze aus. Ich denke, die Tüftler sollten sich mal etwas Neues einfallen lassen.«

      »Hast du einen Plan, falls Cleveland fällt?«, fragte Jessica plötzlich.

      Otis hielt ihrem Blick stand. »Du meinst, wohin ich mich absetzen will, im Falle des Falles?«

      Jessica ließ den Joystick der Steuerkonsole los und hob fast entschuldigend die Hände. »Ich meine nur ...«

      »Schon gut. Wenn alles den Bach runter geht, ist jeder auf sich selbst gestellt. Ich könnte mir vorstellen, mich nach New Hampshire durchzuschlagen. Candy und die anderen sind wenigstens heil dort angekommen.« Er winkte ab. »Bringen wir diesen verfluchten Transportauftrag hinter uns. Danach werden wir ja sehen, ob sich etwas tut. Ich glaube einfach nicht daran, dass es auf die Schnelle gelingen wird, ein Heilmittel herzustellen. Selbst die Wissenschaftler sind sich da uneins …«

      »Du hast von Candy und den anderen gehört?«, fragte Jessica überrascht.

      Otis wiegelte ab. »Es kam eine kurze codierte Nachricht über Satellit. Ich hatte mit Candy vereinbart, dass sie mir Bescheid gibt, wenn sie und die anderen heil in New Hampshire angekommen sind. Das ist alles, was ich weiß. Die Nachricht kam im Raffercode, den ich mit ihr seinerzeit vereinbart hatte. Joshua hat mir damals gesteckt, dass diese Journalistin -« Er überlegte kurz. »Dass diese Mary-Ann über ein Satellitentelefon neuester Bauart verfügt. Ein mobiles Teil, das streng genommen nur an das Militär ausgeliefert wird. Die Frau scheint ihre Verbindungen zu haben.« Er winkte schnell ab. »Die Nachricht war kurz, aber eindeutig: Sicher angekommen. Aber keine weiteren Details. Kann man ja auch verstehen. Sie wollen bestimmt nicht, dass man auf ihre Position aufmerksam wird. Weiß ja keiner, wer da sonst noch unterwegs ist und eventuell die Satelliten anzapft ... Die Hütte soll ziemlich komfortabel und mit allem zum Überleben Wichtigen ausgestattet sein - hat mir Joshua damals kurz mitgeteilt.«

      Jessica lächelte. »Hast du da etwas geplant?«

      Otis schenkte ihr einen fragenden Blick.

      »Na ja. Ob du auch nach New Hampshire willst?« Jessica lächelte verstohlen. »Otis, wir kennen uns gut genug. Die Stimmung auf Cleveland Nova ist, gelinde gesagt, mies. Wir sitzen die meiste Zeit sinnlos herum, bekommen eine Einsatzorder, die im gleichen Atemzug wieder widerrufen wird. Und so geht das schon seit Wochen. Seit dem Einsatz gegen Seamus Abigail hat man für uns keine richtige Verwendung mehr.«

      »Ich weiß es nicht«, meinte Otis kurz angebunden. Sein Blick ging nach draußen, doch außer Schwärze war nichts zu sehen. Der Jet bewegte sich momentan in fast 15 Kilometern Höhe.

      Jessica zuckte schwach mit den Achseln und lehnte sich in ihren Sitz zurück. Das pneumatische Teil war ultrabequem, man konnte den Stuhl sogar zu einer komfortablen Liege umfunktionieren. Weggehen!, kreiste es in ihr. Auch ihr war der Gedanke in den vergangenen Wochen mehr als einmal gekommen. Doch - wohin? Alle wussten, dass die Situation auf Cleveland Air Force Base Nova einem mehr als kritischen Punkt entgegen strebte. Die Nahrungsmittel gingen zur Neige, immer mehr Flüchtlinge kamen an, die immer mehr Konflikte mit sich brachten. Irgendwann würde dieses Pulverfass aus menschlichen Emotionen hochgehen. Jessica kontrollierte einige Anzeigen. Sie wollte Otis nicht bedrängen. Sie waren ein gutes Team, mehr nicht. Seine privaten Pläne gingen sie nichts an. Ihr Blick ruhte auf der Treibstoffanzeige, alle Werte normal. Sie würden keine Probleme haben, bis zur Festung Frankfurt zurückfliegen zu können, wo der Jet aufgetankt werden sollte.

      »Wir befinden uns mittlerweile über russischem Hoheitsgebiet«, sagte sie nach einer Weile. »Scheint so, dass die Tarnung hält, was sie verspricht. Wir werden in anderthalb Stunden unser Ziel erreicht haben. Kurz vor Sonnenaufgang.«

      »Gut«, sagte Otis. »Ich mache für zwanzig Minuten ein Entspannungsschläfchen, dann gehen wir noch einmal die medizinische Ausrüstung durch. Den Jungs und Mädels von der ISS dürften die Beine ziemlich weich sein, nach dem langen Aufenthalt in der Schwerelosigkeit. Schade, dass wir kein Ärzteteam dabeihaben.«

      Jessica erwiderte nichts. Otis hatte recht. Leider war es, bedingt durch die Enge im Jet, nicht möglich gewesen, noch weitere Passagiere mitzunehmen. Mit der Besatzung der ISS an Bord würde der Jet sowieso schon über Maximum belastet sein. Aber es musste irgendwie gehen.

      Otis erinnerte sich an das Briefing, als man ihn und Jessica über die technischen Spezifikationen des Tarnkappenjets informiert hatte. Der Jet war für den Antiterroreinsatz entwickelt worden. Schnell, wendig - dazu in der Lage, senkrecht zu landen und zu starten, konnte er Agenten und Spezialisten in das Einsatzgebiet bringen, wo sie zur Tat schreiten konnten. Der Jet war per Radar fast nicht auszumachen. Er war mehrfach überschallschnell, konnte bis auf 20 km steigen und hatte einen Autopiloten an Bord, der selbst einen Laien nicht vor eine unlösbare Aufgabe stellen würde, das Ding zu fliegen. Zusätzlich gab es die Option, den Jet über einen Remote-Link