Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


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Nähten platzenden Istanbul uns auf; zu beiden Seiten riesige unpersönliche Wohnblocks, Gewerbebetriebe und Einkaufszentren.

      Trotz aller Warnungen in den Reiseunterlagen des ADAC, sich mit dem Mobi in den Moloch des Verkehrs zu stürzen und der Empfehlung, sich unbedingt auf einem der vor der Stadt liegenden Campingplätze einzumieten, um dann mit einem Taxi auf Entdeckungsfahrt zu gehen, wollten wir es mit unserem eigenen Fahrzeug wagen. Unser Hauptanziehungspunkt war die Altstadt, gelegen auf einer Landzunge zwischen dem vom Bosporus abgehenden Goldenen Horn, einem lang gestreckten Naturhafen, und dem Marmarameer, auf deren Spitze in einem Gebiet von kaum vier Quadratkilometern sich fast alles befindet, was Istanbul sehenswert macht, diese faszinierende und zugleich eigentümliche Stadt, die sich in traumhafter Lage, über sieben Hügel verteilt, ausgebreitet hat und wohl als einzige auf der Welt auf zwei Kontinenten liegt, teils in Europa und jenseits des Südausganges des Bosporus in Asien. Gegründet wurde sie bereits um 658 v. Chr. vom sagenhaften dorischen Heerführer Byzas aus Megara und nach ihm zunächst Byzanz genannt. In ihrer wechselvollen Geschichte wurde sie im Jahre 330 n. Chr. vom römischen Kaiser Konstantin als Konstantinopel zur Residenz erhoben und nach der endgültigen Reichsteilung 395 n. Chr. Hauptstadt des Oströmischen (Byzantinischen) Reiches. Anfang des 13. Jahrhunderts von den Kreuzfahrern erobert, kehrte sie jedoch 1261 unter römische Herrschaft zurück, bis im Mai 1453 der osmanische Sultan Mehmed II. nach knapp zweimonatiger Belagerung in die Stadt einzog und sie zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches erklärte.

      Erst 1930, nach alliierter Besetzung (1918-23) und Verlust der Hauptstadtfunktion an Ankara, erhielt sie den heutigen Namen Istanbul. Im Oktober 1923 proklamierte Mustafa Kemal Pascha nach vierjähriger Revolution gegen das alte autokratische Herrschaftssystem und einem nationalen Befreiungskampf gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges die Republik, an deren Spitze er bis zu seinem Tode im Jahre 1938 blieb, 1934 erhielt er den Ehrentitel Atatürk (Vater der Türken).

      Doch jetzt genug der türkischen Geschichte, dank gutem Stadtplan und der weithin die Richtung weisenden sechs schlanken hohen Minarette eines der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Istanbuls, der Sultan-Ahmet-Moschee, auch Blaue Moschee genannt, landeten wir nach einiger Zeit tatsächlich ohne eine einzige Schramme - der Verkehr ist wirklich mörderisch - unmittelbar vor diesem Wunderwerk der türkischen Baukunst, d.h. nach einigen Umrundungen des gegenüber liegenden gepflegten Parks gelang es uns sogar, direkt am Eingang in den Außenhof einen Parkplatz zu ergattern.

      Kaum standen wir, wurden wir von einem jungen sympathischen Türken in fließendem Deutsch angesprochen, er hatte einige Jahre in Deutschland zugebracht und freute sich, wieder einmal deutsche Laute zu hören. Sein Angebot, uns die Moschee vorzuführen, nahmen wir natürlich sehr gern an. Durch ein breites Tor gelangten wir zunächst in einen von wunderschönen Laubbäumen beschatteten Außenhof, der in den von einer durchbrochenen Mauer umgebenen Innenhof führte, dominiert von einem überdachten, kunstvoll gestalteten Brunnen, um die vom Koran vor dem Gebet vorgeschriebenen rituellen Waschungen vornehmen zu können. Den äußerst imposanten Bau (1609-16) aus leicht verwittertem Sandstein genau zu beschreiben, ist schier unmöglich; rundum von durch Säulen getragenen hohen Arkaden umgeben, diese gekrönt von kleinen, dicht aufeinander folgenden flachen Kuppeln, erhebt sich darüber aus der Mitte heraus in drei großen Stufen, sich nach oben hin verjüngend, durchbrochen von bogenförmigen Fensteröffnungen, der gewaltige runde Hauptbau, dessen Abschluss wiederum eine mächtige Kuppel bildet, auslaufend in eine den türkischen Halbmond tragende Spitze. Rundherum steigen aus der Dachfläche noch eine Menge anderer verschieden großer runder und eckiger Türme empor, alle mit dekorativen Kuppeldächern. Eingerahmt ist der ganze Komplex von den sechs hohen schlanken, ihn noch um einiges überragenden, einzeln stehenden Minaretten.

      Um dieses Heiligtum auch von innen bewundern zu können, mussten wir zunächst unsere Schuhe für ein geringes Entgelt bei einem Wächter hinterlassen, der bereits Herr über Hunderte verschiedener Schuhwerke war. Auf leisen Sohlen, um die große Anzahl der in Richtung Mekka knienden Gläubigen nicht zu stören, es war die Zeit des Nachmittagsgebets, schlichen wir über den fast ganz mit Teppichen ausgelegten Boden, einige davon recht kostbar; eine Reihe von Gebetsnischen und eine weiße Marmorkanzel unterteilen den großen Raum, die Wände sind rundherum mit wunderschönen blauen Fayencen-Kacheln verkleidet, daher ihr zweiter Name.

      Das berühmteste Baudenkmal ist jedoch die gegenüberliegende, in eine gepflegte Parkanlage eingebettete Hagia Sophia. Sie war ursprünglich, und das 900 Jahre lang ein christliches Gotteshaus, das bedeutendste Bauwerk byzantinischer Kunst, bis sie Mitte des 15. Jahrhunderts von Sultan Mehmed II. in eine Moschee umgewandelt wurde und nach und nach ihre vier schlanken Minarette erhielt. Seit 1935 dient sie nur noch als Museum. Da dieses gerade renoviert wurde, konnten wir ihre Großartigkeit leider nur von außen bewundern. Die 56 m hohe riesige Zentralkuppel (32 m Durchmesser) überwölbt über einem Kranz von 40 hohen schmalen Fenstern den quadratischen Hauptraum, an den sich halbkreisförmige kleinere Räume mit Halbkuppeln anschließen, die in mehrere Geschosse gegliedert und durch Arkaden nach innen geöffnet sind.

      Unser netter Führer hatte sich inzwischen von uns verabschiedet, einen Obolus als Dankeschön allerdings freundlich zurückgewiesen. Wir zogen uns zunächst einmal zu Tee und Kuchen in unser Mobi zurück, um uns dann in dem wunderschönen Park auf der anderen Straßenseite mit sprudelnden Brunnen und bunter Blütenpracht unter herrlichen alten Bäumen auf einer Bank niederzulassen. Sofort bekamen wir wieder Kontakt zu einem sehr netten Türken, der uns schließlich für den Abend ein gutes Fischrestaurant am Hafen empfahl, aber vorschlug, wegen der mangelnden Parkplätze mit der Taxe dorthin zu fahren. Einem jungen Schuhputzer, der mit einem großen Umhängekasten unterwegs war, gab mein Schatz die Chance, ein paar Münzen zu verdienen, mit Akribie und viel Schuhcreme machte er sich über seine Slipper her und versprach nach vollbrachter Tat drei Jahre Garantie.

      Da wir beschlossen hatten, auch die Nacht vor der Blauen Moschee zu verbringen, unseren mit Mühe bekommenen Parkplatz also nicht aufgeben wollten, folgten wir gern dem erhaltenen Rat und winkten gegen 20.00 Uhr ein vorbeifahrendes Taxi heran, das uns dann in rasender Fahrt zu der angegebenen Adresse brachte. Es handelte sich um ein sehr gutes und wohl auch beliebtes Restaurant, der elegant eingerichtete, im 1.Stock gelegene Raum wirkte jedenfalls übervoll.

      Durch einen glücklichen Zufall wurde gerade ein Tisch an einem der großen Fenster frei, so dass wir außer dem exquisiten, allerdings auch sehr teuren Essen, wir wählten natürlich frisch zubereiteten Fisch, auch den sich uns bietenden herrlichen Blick auf das Goldene Horn und die zum gegenüberliegenden modernen Stadtteil Beyoglu führende Galata-Brücke, ein traditionelles Wahrzeichen der Stadt, genießen konnten. Neben dem ununterbrochenen Verkehrsstrom, der sich langsam hinüber- und herüberwälzte, herrschte auf, neben und unter der Brücke reges Fußgängertreiben; alle möglichen Händler priesen ihre Waren an, auch Schuhputzerjungen waren unterwegs; auf dem Wasser ein stetes Hin und Her von behäbigen Dampfern, voll beladenen Schleppkähnen, bunten Fischerbooten und schneeweißen Fähren, die in alle Richtungen verkehren, das Goldene Horn hinauf, über den Bosporus und ins Marmarameer; dazwischen mit kräftigen Schlägen vorangetriebene Ruderboote.

      Zu fortgeschrittener Stunde per Taxi zu unserem Mobi zurückgebracht, zog die uns hell angestrahlte Blaue Moschee magisch an. Leicht beschwingt durch den genossenen türkischen Rotwein schafften wir es bis in den durch die unendlich vielen Lichter noch schöneren Innenhof, man fühlte sich wie im Märchen aus 1001 Nacht. Am dunklen Himmel Tausende und Abertausende glitzernde Sterne und ein großer leuchtender, fast voller Mond. Die romantische Stimmung war jedoch mit einem Schlag verschwunden und machte fassungslosem Entsetzen Platz, als mein Schatz nach Durchsuchen sämtlicher Taschen vor der Tür unseres inzwischen einsam dastehendes Mobis verkündete, dass er unsere Wagenschlüssel irgendwo verloren haben müsste. Guter Rat war teuer!