Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


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Royan nur kurz gestreift hatten. Am Sonntag waren jetzt noch mehr Menschen auf den Straßen unterwegs. Als wir gerade das sehenswerte Renaissancerathaus passiert hatten, bemerkten wir, dass irgendetwas mit dem Fahrzeug nicht stimmte, der Wagen zog dauernd nach links. Wild gestikulierende Passanten zeigten auf den hinteren Teil unseres Mobis. Als wir irritiert am Straßenrand anhielten, machte uns ein junger Franzose auf den kaputten linken Hinterreifen aufmerksam. Das hatte uns gerade noch gefehlt, da die Räder praktischerweise hinter den durchgehenden Verkleidungen angebracht und nur durch gänzliches Abschrauben derselben zu erreichen waren, konnten wir das Auswechseln in eigener Regie vergessen, brauchten also dringend eine Werkstatt, und das am Sonntagnachmittag!

      Während der Suche, natürlich im Schleichgang, immer wieder wilde Gesten. Schließlich landeten wir auf einer kleinen Tankstelle, besetzt mit zwei Angestellten, der Chef, fein gemacht im sonntäglichen Anzug mit Schlips und Kragen, schaute gerade vorbei. Sofort entledigte er sich seiner Jacke und Binder, krempelte die Ärmel auf und machte sich mit seinen Leuten ans Werk. Die zum Teil rostigen Schrauben zu lösen, eine Heidenarbeit, und der Reservereifen unterhalb des Hecks war nur auf dem Rücken liegend, eng an den Boden gepresst, zu erreichen. Nach fast drei Stunden war das Kunststück vollbracht. Hocherfreut über einen fairen Preis trotz Sonntagsarbeit ließen wir unseren Tank noch randvoll füllen und zogen mit beiderseitigen guten Wünschen von dannen.

      Inzwischen war es Zeit für die Stehplatzsuche; gleich direkt um die Ecke wurden wir fündig, eine naturbelassene Parkfläche, aufgelockert durch einzelne Baumgruppen, zwischen Hafeneinfahrt und mächtiger alter Festungsmauer war geradezu ideal. Ein in der Nähe befindliches Kartentelefon nutzte ich zunächst einmal für einige Anrufe bei den Lieben daheim, bei denen wir uns übrigens außer mit den üblichen Postkartengrüßen auf all unseren Fahrten in regelmäßigen Abständen per Telefon meldeten. Fünf Mobis und ein Caravan hatten es sich auf dem Platz bereits gemütlich gemacht. Wir reihten uns in eine etwas größere Lücke ein und beruhigten unsere knurrenden Mägen mit einem leckeren Abendessen an Bord; plötzlich am offenen Fenster ein dunkler Kopf: „Bella, bellissima“, ertönte es begeistert, wen oder was immer er damit meinte. Wir baten den Bewunderer herein, der sich als italienischer Schauspieler vorstellte und schon in der ganzen Welt herumgekommen war. Er stand mit einem kleineren, selbst ausgebauten Wohnmobil zwei Parkplätze weiter. Die Bitte, seiner französischen Ehefrau auch das Wageninnere zeigen zu dürfen, erfüllten wir ihm natürlich gern, ganz besonders hatte es den beiden unser „Bathroom“ angetan. Über eine Stunde saßen wir bei Rotwein und Knabbersachen in sehr angeregter, lustiger Unterhaltung beisammen, heraus kam ein herrliches Kauderwelsch in englisch, französisch, deutsch und italienisch.

      Etwas später trafen noch vier junge Deutsche mit einem VW-Käfer ein, drei Mädchen und ein Junge als Hahn im Korb. Geschickt bauten sie hinter uns auf dem Rasen zwei kleine Zelte auf. Durch unser weit offen stehendes Heckfenster ergab sich auch hier wieder ein fröhliches Gespräch; mit einem Dosenöffner - ihrer hatte den Geist aufgegeben - und etwas Senf für ihre Würstchen halfen wir gerne aus. Ein sehr nettes, etwas älteres französisches Ehepaar, das nicht weit entfernt ebenfalls zeltete, kam auch noch auf einen Schnack vorbei, Themen von Napoleon bis in die Gegenwart; fehlten die Vokabeln, half eine deutliche Zeichensprache. So ging der Abend schnell vorüber, man zog sich zum Schlafen zurück, bis auf ein französisches Paar, das mit seinem Wohnmobil links von uns stand; bei sperrangelweit offener Tür dröhnte ihr Fernseher über den ganzen Platz, ihre Mitinsassen, zwei riesige deutsche Schäferhunde, denen das Programm nicht sonderlich zuzusagen schien, taten ihr Missfallen in kurzen Abständen durch lautes Bellen kund.

      Da dieser Lärm auch um 23.00 Uhr noch nicht aufhörte, wurde es meinem Schatz zu bunt, er wälzte sich von seinem Bett, riss unsere Tür auf, und als der Nachbar nach kurzem Rufen auf der Bildfläche erschien, gab er ihm in „fließendem Französisch“ zu verstehen: „Is it possible to fermez la porte, it’s très laut?!!!“ „Comment???“ kam es verständnislos von drüben, bei dem Sprachengemisch kein Wunder. Völlig konsterniert packte man seine Siebensachen, warf den Motor an und verließ diese ungastliche Stätte. Das wollten wir zwar nicht unbedingt erreichen, aber es herrschte wenigstens endlich Ruhe.

      Auf landschaftlich wieder sehr schöner Nebenstrecke, hügelauf und -ab durch weite, teilweise schon gepflügte Felder, dunkle Kiefern- und verwilderte Laubwälder, durch fast menschenleere verwitterte Dörfchen, erreichten wir mit der uralten Stadt Nantes wieder die romantische Loire. Das trutzige herzogliche Schloss der Herren de Bretagne aus dem 14. bis 16. Jahrhundert mit seinen vielen Türmen und einem den ganzen Komplex umfassenden Burggraben war mein erstes Fotomotiv des Tages; in diesem Gemäuer unterschrieb im Jahre 1598 König Heinrich IV. das in allen Geschichtsbüchern erwähnte Edikt, in dem er den Hugenotten u .a. Religionsfreiheit zusicherte. Nicht weit entfernt an einem verkehrsreichen Platz die mächtige spätgotische Kathedrale, Bauzeit vom 15. bis Ende des 19. Jahrhunderts; im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurde sie bis 1971 restauriert, nach einem Brand ein Jahr später in mühevoller Kleinarbeit wieder rekonstruiert. Ein Parkplatz fast vor dem Hauptportal machte es uns möglich, auch den imponierenden Innenraum von über 100 Metern Länge und im rechten Querschiff das prachtvolle Renaissancegrabmal des letzten bretonischen Herzogs, Franz II., zu besichtigen. Die sehr schöne Altstadt mit ihren prächtigen Häusern aus dem 15. bis 17. Jahrhundert erkundeten wir, soweit die schmalen Gassen es erlaubten, wieder per Mobi. Sie wird durch einen breiten Straßenzug, der über einem ehemaligen Flussbett verläuft, in zwei Hälften zerteilt, eine mittelalterliche im Osten und eine barocke im Westen.

      Auf herrlicher Strecke, fast immer direkt am Südufer der Loire entlang ging es weiter; nach fast 75 Kilometern durch überaus reizvolle, von üppig tragenden Weinbergen durchzogene Landschaft stießen wir in dem kleinen idyllischen Ort

      - Chalonnes -

      auf den idealen Platz für unser „Nachtlager“, natürlich wieder unmittelbar am Ufer des träge dahinziehenden Flusses. Das Tal der Loire zwischen Chalonnes und dem kleinen Ort Sully sur Loire wurde im Jahre 2000 von der UNESCO in die Liste der Weltnaturerbestätten aufgenommen.

      In einem nahen eleganten Hotelrestaurant genossen wir, entsprechend fein gemacht, in gepflegtem Ambiente, die Tische liebevoll weiß und rosé eingedeckt, bei flackerndem Kerzenschein Weinbergschnecken mit hauseigener Kräuterbutter, Lottemedaillons auf Paprikaschaum mit Zucchinitörtchen und für die Hüften die sahnige Wonne Mousse au chocolat, dazu ein wohlschmeckender trockener Weißwein, natürlich von der Loire, und wieder kehrten wir leicht beschwingt und äußerst zufrieden an unseren bereits ausgeguckten Stehplatz zurück, den sich inzwischen noch ein weiteres Wohnmobil erkoren hatte, das Gedrängel wie in den Küstenregionen war offensichtlich vorbei.

      Nur noch 18 Kilometer trennten uns von der nächsten sehenswerten Stadt, Angers, etwas nördlich der Loire an einem Nebenfluss gelegen, die wir wieder auf altbewährte Art erkundeten, malerisch die Altstadt mit ihren schönen Häusern aus dem 12. Jahrhundert und älter; imposant die sich aus dem Häusergewirr erhebende mächtige Kathedrale St-Maurice (12./13. Jahrh.) mit ihren drei Türmen über der kunstvoll gestalteten Westfassade, der mittlere abgerundet, die beiden rechts und links daneben hoch aufragend und spitz zulaufend, jeweils umgeben von vier von Kreuzen geschmückten kleineren Exemplaren. Ein freier Parkplatz direkt vor dem gewaltigen Portal ermöglichte es uns, sie auch von innen zu bewundern; besonders auffallend die bombastische Orgel und wunderschön die großen gotischen Glasfenster mit bunten religiösen Motiven. Natürlich ließen wir uns ein weiteres berühmtes Bauwerk, hoch über der Loire gelegen, nicht entgehen, jedenfalls von außen als dankbares Fotomotiv, das imponierende fünfeckige Schloss der Grafen von Anjou, umgeben von einer 950 m langen Ringmauer mit 17 hohen trutzigen Rundtürmen, erbaut von 1228-38, heute beherbergt es eine Sammlung wertvoller Wandteppiche.

      In der Loire-Region findet man übrigens eine Unmenge von Wachtürmen, mittelalterlichen Burgen und über 400 prunkvolle Lustschlösser der