Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


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über den Zinnen gehisste, traurig herunterhängende Union Jack zeugte von der momentanen Anwesenheit der Königin, also durfte nur von außen ein Blick riskiert werden. Der Gewehr bei Fuß in seinem engen Häuschen stehende Wachsoldat mit seiner schicken Uniform, schwarze Hose, leuchtend rote Jacke, weißer Gürtel und hohe schwarze Fellmütze, verzog wie immer keine Miene. Das von ihm bewachte dunkelgraue Gemäuer wirkte bei dem andauernden Regen noch düsterer.

      Da es allmählich Zeit für das abendliche Dinner wurde, wendeten wir uns mit dem Besuch eines in der Nähe liegenden gemütlichen Restaurants angenehmeren Dingen zu; auch hier erwies sich die Küche wieder als sehr viel besser als ihr Ruf. Nach einem passenden Übernachtungsplatz hatten wir uns schon vorher umgesehen, sehr schön unter hohen Bäumen direkt am Ufer eines kleinen Nebenarms der Themse gelegen; gegenüber in einiger Entfernung, die niedrigen Hecken auf weiten Wiesen überragend, in der Abenddämmerung die dunklen Umrisse von Windsor Castle.

      Bei herrlichem Sonnenschein kurvten wir am nächsten Vormittag noch einmal ausgiebig durch die Londoner City. Als sich die Gelegenheit ergab, erkletterten wir einen der knallroten Sightseeingbusse und ließen oben von der ersten Reihe aus die herausragenden Sehenswürdigkeiten langsam an uns vorbeiziehen. Auf sehr schöner Nebenstrecke, hügelauf- und -ab durch saftiges Weideland mit friedlich grasenden Kühen und riesigen laut blökenden Schafherden, mitten durch gemütliche kleine Städte, erreichten wir dann gegen Abend den Badeort

      - Hastings -

      in dessen Nähe im Jahre 1066 die schon erwähnte berühmte Schlacht tobte, in der England unter normannische Herrschaft geriet. Nur eine mächtige Burgruine, auf dem Castle Hill hoch über der Altstadt mit ihren hübschen Fachwerkhäusern aus dem 16. Jahrhundert thronend, erinnert noch an den damaligen siegreichen Erbauer. In dem beliebten Ferienort mussten wir nicht lange nach einem schönen Restaurant suchen, in dem wir mit Blick auf den fast spiegelglatten Kanal in gepflegtem Ambiente unser letztes Dinner in ENGLAND genießen konnten, das Lachsfilet im Gemüsebett mit Wildreis und pikanter Weißweinsoße schmeckte jedenfalls köstlich. Mit einigen Gläsern trockenem Rosé stießen wir schon jetzt auf den gelungenen Urlaub an. Ein sehr schöner Stehplatz für die Nacht war auch schnell gefunden; hinter uns, etwas erhöht vor einer aufragenden Felswand hübsche, fast gleiche Ferienhäuser, schneeweiß mit großen Erkern und hölzernen spitzen Fachwerkgiebeln, vor uns natürlich, getrennt durch einen breiten menschenleeren Strand, der in der Dämmerung bleigrau und träge dahinfließende Kanal, in einiger Entfernung sich schemenhaft abzeichnend die Umrisse von großen sich begegnenden Schiffen.

      Unsere letzte Etappe, überwiegend direkt an der Küste entlang, bis Dover, wo sich der Kreis für uns schloss, legten wir wiederum bei schönstem Sonnenschein zurück, der uns auch auf der ruhigen und sehr angenehmen etwa dreieinhalbstündigen Überfahrt treu blieb, bis wir mit einer Stunde Zeitverschiebung gegen 20.30 Uhr wieder in Ostende, dem größten Seebad und bedeutendsten Hafen an der

      - BELGISCHEN KÜSTE -

      landeten. Auf der Suche nach einer ruhigen Übernachtungsmöglichkeit wurden wir in dem einige Kilometer weiter östlich gelegenen kleinen Badeort

      - De Haan -

      fündig, auf einem sehr schönen Naturparkplatz direkt an einem weiten Sandstrand; gerade rechtzeitig, denn in der Zwischenzeit hatte sich ein Gewitter zusammengebraut, grelle Blitze zuckten in immer kürzeren Abständen über den schwarzen Himmel, ohrenbetäubender Donner und ein in trommelndem Stakkato auf unser Dach prasselnder Regen ließen unsere Ohren fast taub werden. Da noch genügend leckere Vorräte vorhanden waren, fand das Abendessen also einmal wieder in gemütlicher Atmosphäre an Bord statt.

      Um kurz nach sieben Uhr wurden wir am nächsten Morgen durch lautes Poltern an der Tür unsanft aus unseren Träumen gerissen, ein etwas unwirscher Polizist forderte uns in barschem Ton auf, den Platz spätestens in einer halben Stunde zu verlassen, Übernachtung verboten, Diskussion unmöglich. Die vier Insassen eines belgischen PKW, die, in der Nacht angekommen, direkt neben uns hinter verhängten Fenstern schliefen und kurz darauf nacheinander in den nahen Büschen verschwanden, wurden unbehelligt gelassen, nicht ganz zu verstehen. Nun, wir machten uns in aller Ruhe fertig und suchten etwas im Landesinneren an einem romantischen Kanal einen Platz für unser ausgiebiges Frühstück. Weiter ging‘s bei bestem Wetter und entsprechend gut gelaunt.

      Erste Unterbrechung in

      - Gent -

      der Hauptstadt der belgischen Provinz OSTFLANDERN, uns schon durch frühere Besuche bekannt, aber immer wieder sehenswert, ganz besonders der historische, auf einer Halbinsel gelegene Stadtteil mit seinen großartigen Bauwerken aus dem 14. bis 16. Jahrhundert und der gewaltigen bischöflichen St. Bavo Kathedrale, ins Auge fallend der mächtige quadratische Turm in Brabanter Spätgotik. Auch der Hafen lohnt einen Besuch, wunderschöne Fotomotive an dem malerischsten aller Quais, dem so genannten Graslei, die prachtvollen Zunft- und Gildehäuser, die ältesten aus der Romanik stammend, sehr viele später mit stolzen Renaissance-Treppengiebeln verziert.

      Die gleiche Prachtentfaltung in der nur 45 Kilometer entfernten Hauptstadt

      - Brüssel -

      besonders am immer sehr lebhaften und von vielen Touristen besuchten Marktplatz, dem Groten Markt, seit 1998 in die Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen. Das sehr schöne gotische Rathaus stammt aus dem 15. Jahrhundert, den Turm krönt eine Statue des heiligen Michael, des Schutzpatrons der Stadt; es blieb als einziges Gebäude nach einem Angriff durch französische Artillerie im Jahre 1695 erhalten. Die sehenswerten Zunfthäuser, die in dichter Folge den übrigen Platz umgeben, wurden um 1700 wieder aufgebaut, von ihren hohen, mit den verschiedenartigsten barocken Schmuckformen ausgestalteten Giebelfronten ist jede einzelne ein Hingucker. Vom Westabhang der Oberstadt grüßt die mächtige zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert entstandene gotische Kathedrale St. Michel. Ein krasser Gegensatz dazu, aber ebenfalls sehr interessant, das moderne, im Jahre 1958 anlässlich der Weltausstellung errichtete 102 m hohe Atomium, ein architektonisches Symbol des Atomzeitalters, die 165milliardenfache Vergrößerung eines Eisenkristallmoleküls darstellend.

      Wegen der ausgedehnten Stadtbesichtigungen mussten wir in Belgien noch eine Übernachtung einlegen, dieses Mal in Gesellschaft von vier anderen Wohnmobilen auf einem herrlichen naturbelassenen Platz am Ufer eines romantischen Flüsschens, der Sur, bevor wir am nächsten Vormittag in wieder herrlichem Sonnenschein die landschaftlich sehr schönen Ardennen auf äußerst hügeliger Route überquerten; mal langsam ansteigend durch Moor-, Heide- und dichte Waldgebiete, dann hinunter in malerische enge Flusstäler, die Nordspitze LUXEMBURGS streifend, bis wir kurz hinter dem kleinen Städtchen Vianden wieder nach

      - DEUTSCHLAND -

      zurückkehrten.

      Da uns noch fast drei Tage bis zum Ende des Urlaubs blieben, nutzten wir die Zeit für einen Abstecher an unsere heiß geliebte Mosel, der wir mindestens zweimal im Jahr einen Besuch abstatteten. Ganz besonders schön ist es zur Weinlese im Herbst, wenn überall an den Hängen die reifen Trauben geerntet werden, das Laub sich leuchtend gelb oder rot verfärbt und man moselauf und -ab fröhliche Weinfeste feiert. In einem späteren Kapitel werde ich auf diese einmalige Landschaft etwas genauer eingehen. Jetzt zog es uns auf dem schnellsten Wege nach Koblenz, reizvoll an der Mündung der Mosel in den Rhein gelegen, da dort am nächsten Tag, also Samstag, d.10.08.85, eine der jährlich im Sommer stattfindenden Attraktionen, Rhein in Flammen, steigen sollte,