Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


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Stadt lautet Stuhlweißenburg, „Stuhl“ bedeutet Königsthron, „weiße Burg“ freie königliche Stadt. 37 Herrscher wurden dort gekrönt, 18 beigesetzt. 1543 bis 1688 stand die Stadt unter türkischer Herrschaft und musste nach der Rückeroberung weitgehend neu errichtet werden, damals erhielt sie ihr barockes Gepräge, der gesamte Stadtkern steht inzwischen unter Denkmalschutz.

      Für unsere übliche Sightseeingtour erwiesen sich die schmalen Gassen allerdings als zu eng, außerdem war eine große Zone den Fußgängern vorbehalten. Es gelang mir lediglich am zentralen Rathausplatz, das Mobi für ein paar Schnappschüsse zu verlassen. Dort gleich das erste Fotomotiv einer der bedeutendsten Barockbauten, der imposante ockerfarbene Bischofspalast (die Stadt wurde im Jahre 1777 zum Bischofssitz erklärt), bereits mit klassizistischen Anklängen. Heute beherbergt er eine umfangreiche Bibliothek. Seitlich davor der Reichsapfel-Brunnen, der an den 900. Todestag von König Stephan I. im Jahre 1938 erinnern soll (neben Krone, Zepter oder Schwert gehört der Reichsapfel zu den Königsinsignien); an der Südseite des Platzes das aus zwei Gebäuden bestehende Rathaus, wovon das ältere mit der von barocken Steinfiguren geschmückten Fassade besonders ins Auge fällt; ebenso geschmückt die Fassade der nicht weit entfernten Kathedrale, die quadratischen Türme gekrönt von barocken Hauben; nahebei auch die St. Anna-Kapelle, das einzige unversehrt gebliebene mittelalterliche Bauwerk in schlichtem gotischen Stil.

      Am nördlichen Stadtrand entdeckten wir schließlich noch eine wahrlich architektonische Rarität, die nach ihrem Erbauer, dem Bildhauer, Maler und Architekten Jenö Bory benannte Bory-Burg, die er am Anfang des 20. Jh. schuf, ein als Ritterburg konzipiertes Architektur-Museum, das eine Ansammlung der verschiedenen Baustile repräsentiert, ein schönes Abschiedsmotiv von Székesfehérvár.

      Weiter ging’s auf leicht gewundenen Landstraßen durch Wiesen und Felder, hübsche kleine Dörfer, ab und zu sieht man auch noch die attraktiven weißen Ziehbrunnen, bis wir den nur noch 30 km entfernten riesigen Plattensee (Balaton) erreichten, das „Meer der Ungarn“. Mit etwa 596 Quadratkilometern ist er das größte Binnengewässer Mitteleuropas. Er ist ein typischer Steppensee, extrem seicht, fast nirgends ist es mehr als drei Meter bis zum Grund.

      Zunächst folgten wir der direkt am Nordufer entlangführenden malerischen Straße. Rechter Hand erheben sich die hügeligen Ausläufer des Bakonygebirges, der höchste Gipfel misst etwas über 700 m. Aus bunt gemischtem Laubwald ragen karstige Felsen empor, einige dekorativ geschmückt mit mächtigen Burgruinen. So weit das Auge reicht, erstreckt sich links die ausgedehnte Wasserfläche des Sees, schmale Kiesstrände wechseln sich ab mit verschilften Buchten oder hohen Lehmufern. Über Balatonalmádi, ein sehr verkehrsreicher Ort, den wir sehr schnell wieder verließen, gelangten wir in das gemütlichere Alsóörs, an dessen nördlich ansteigenden Berghängen Reben und Obstbäume gedeihen. Sehr hübsch das vom Somlyó-Berg winkende schneeweiße Wahrzeichen des Örtchens, die aus dem 13. Jh. stammende, 1807 umgebaute Reformierte Kirche.

      Ein paar Kilometer weiter, an der so genannten Balaton-Riviéra, dann das feine, fast mondäne Heilbad Balatonfüred, noch heute beliebt wegen seiner kohlensauren Quellen. Im 19. Jh. traf sich hier alles, was Rang und Namen hatte. Ein wenig von diesem halb adligen, halb großbürgerlichen Fluidum hat sich der Ort bewahrt mit seinen schattigen Promenaden, altväterlichen Villen und prachtvollen Wohnhäusern in klassizistischem Stil. Schön ist auch der mehr als hundert Jahre alte Park zwischen Hafen und Kurplatz mit seinen mächtigen Baumriesen und vielen seltenen Pflanzen. An den Stegen im Hafen haben die Segler des Balaton ihren Stammplatz.

      Als Nächstes lud uns die 5 km in den Balaton hineinragende Halbinsel Tihany zu einem Abstecher ein. Sie misst 12 Quadratkilometer und steht zum größten Teil unter Naturschutz, nicht zuletzt wegen der an ihren beiden hoch gelegenen Seen (einer davon ist fast ausgetrocknet) nistenden Wasservögel, darunter die selten gewordenen Graugänse. Umso erfreulicher der Besuch der kleinen Familie am Vortag! Das Fischerdorf Tihany mit seinen schilfgedeckten Häusern steht unter Denkmalschutz, auf einem Plateau in der Nähe erhebt sich in 80 m Höhe das Wahrzeichen der Halbinsel, die mächtige Abteikirche, 1055 gegründet und, nachdem sie 1702 beim Aufstand gegen die Habsburger gesprengt worden war, in barockem Stil wieder aufgebaut. Ein großer Kontrast das moderne Erholungszentrum, das sich an der Spitze der Halbinsel ausgebreitet hat, es gibt ein großes Hotel, niedrige Ferienhäuschen, Badestrände und einen Bootshafen.

      Da uns dort zu viel Trubel herrschte und wir auch nirgends einen geeigneten Stehplatz entdecken konnten, kehrten wir an unsere Uferroute zurück. Auch dort bot sich wegen des geschlossenen Schilfgürtels keine Möglichkeit. Also entschlossen wir uns in dem kleinen Örtchen

      - Balatonakali -

      ausnahmsweise auf den dort direkt am See gelegenen Campingplatz zu gehen. Wir hatten Glück und bekamen eine sehr schöne Stellfläche unmittelbar am Ufer zugewiesen. Also war wieder Faulenzen pur angesagt. Das Schwimmen war allerdings etwas schwierig, da der Plattensee, wie schon erwähnt, sehr flach ist. Auf einem Steg konnte man sich allerdings so weit vorarbeiten, dass man an seinem Ende wenigstens bis zur Taille ins Wasser gleiten konnte.

      Unser Sonnenbad wurde abrupt gestört durch plötzlich entstehende Unruhe. Eine rote Leuchtrakete schoss in den Himmel, am Ufer an mehreren Stellen Dauerblitzlicht, rund um uns herum bemühte man sich, alles was nicht niet- und nagelfest war, in Sicherheit zu bringen. Unser Nachbar gab uns ein Zeichen, es ihm gleichzutun. Wir hatten gerade unsere Liegen unter dem Mobi verstaut, als völlig aus heiterem Himmel mit einem unheimlichen Heulen ein gewaltiger Sturm heranfegte, der den See in kürzester Zeit in ein wild wogendes Meer mit spritzenden Schaumkronen verwandelte, Gummiboote u. a. flogen wie Geschosse durch die Gegend, die letzten Badenden flüchteten so schnell sie konnten, denn der Himmel hatte sich nicht minder fix verdunkelt, es blitzte an allen Ecken und Enden, laut krachender Donner ließ unser Mobi erzittern, und dann wurden wir von den herabstürzenden Wasserfluten fast weggeschwemmt. Nach diesem überwältigenden Naturereignis zogen wir es vor, das Abendessen aus vorhandenen Vorräten zuzubereiten, da der gesamte Platz sich in eine Schlammwüste verwandelt hatte und nicht gerade einladend wirkte.

      Wolkenverhangen der Samstagmorgen. Wir ließen uns aber die Laune nicht verderben und setzten unsere Rundtour um den Balaton weiter fort. Die landschaftlich sehr schöne Strecke folgt kurvenreich immer dem Uferverlauf, mal unten durch malerische kleine Dörfer mit uralten Kirchen, mal hoch oben an steil ins Wasser abfallenden bewaldeten Hängen entlang, in großem Bogen umrundet sie den Fuß des 438 m hohen Badacsony, ein markanter Kegelberg vulkanischen Ursprungs, an dessen Hängen feurige, schwere Weine gedeihen. Am nordwestlichen Ufer erreicht man schließlich Keszthely, die älteste und auch die größte Ansiedlung am Plattensee, ein charmantes Städtchen, das bis 1945 von den Grafen Festetics beherrscht wurde, die ihm zu Ruhm und Ansehen verhalfen. Das 1745 im Barockstil erbaute Schloss Festetics, in einem weiten Park mit mächtigen alten Bäumen und einer großen Springbrunnenanlage inmitten leuchtender Blumenrabatten liegend, ist eines der prächtigsten Baudenkmäler dieser Gegend. Viele elegante Villen mit ihren spätbarocken Fassaden sind weitere sehenswerte Zeugen aus jener Zeit. Wohlhabende Bürger, die diesen Ort als Badeparadies entdeckten, bauten sich feudale Sommerhäuser.

      Nach weiteren zehn Kilometern, inzwischen erfreute uns wieder der gewohnte Sonnenschein, erreichten wir das flachhügelige Südufer, am Anfang ein Schilfgürtel, so weit das Auge reicht, ein idealer Nistplatz für unzählige Zug- und Wasservögel, die sich sehr lautstark in einem vielstimmigen Chor bemerkbar machten, auch in der Luft ein ständiges Kreisen und Schweben und ein Spektakel ohnegleichen. Durch unsere Ferngläser konnten wir ihre Vielfalt ganz aus der Nähe bewundern. Doch schon nach kurzer Weiterfahrt war es mit der Romantik vorbei. Das ganze, nun feinsandige Ufer schien ein einziges Strandbad zu sein, es herrschte ein unübersehbares Gewimmel an