Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


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mit dem herausragenden Veitsdom, bevor wir unsere Sightseeingtour fortsetzten. Am breiten, wie ein Park angelegten Karlsplatz steht das im Mittelalter entstandene, mehrfach umgebaute Neustädter Rathaus, das durch den 1419 dort stattgefundenen Prager Fenstersturz traurige Berühmtheit erlangte, als Anhänger des vier Jahre zuvor in Konstanz auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannten Reformators Johannes (Jan) Hus, so genannte Hussiten, dorthin zogen und, nachdem man ihren religiösen, politischen und sozialen Forderungen nicht nachgab, kurzerhand die sich dort aufhaltenden wohlhabenden katholischen Ratsherren aus dem Fenster stürzten, wodurch die verheerenden fünfzehn Jahre andauernden Hussitenkriege ausbrachen, in die auch Österreich, Ungarn, Bayern, Sachsen, Schlesien und Brandenburg hineingezogen wurden.

      Der fast zweihundert Jahre später ebenfalls in Prag sich aus überwiegend religiösen Gründen ereignende Fenstersturz war der letzte Auslöser für den noch grausameren Dreißigjährigen Krieg (1618 -1648). Im so genannten „Majestätsbrief“ hatte Kaiser Rudolf II. (Habsburger), obwohl er die Gegenreformation begünstigte, aus politischen Gründen den protestantischen Böhmischen Ständen (Böhmen war das Kernland der Tschechoslowakei) im Jahre 1609 volle Religionsfreiheit und das Privileg kirchlicher und politischer Organisation garantiert. Da die kaiserlichen Statthalter, die in der Kanzlei im Hradschin residierten, sich jedoch nicht darum kümmerten, wurden sie am 23. Mai 1618 von Angehörigen des radikalen Flügels der böhmischen Ständeopposition nebst Schreiber aus ihrem Bürofenster geworfen. Im Gegensatz zu den katholischen Ratsherren überlebten sie jedoch ihren Sturz, weil sie, wenn auch nur laut Legende, recht unrühmlich in einem Misthaufen im Burggraben landeten.

      Doch nun zurück zur Neustadt und zu seinem zweiten, aus der neueren Geschichte berühmten Platz, dem Wenzelsplatz, auf dem sich rund um das auf hohem Sockel aufragende Denkmal des Heiligen Wenzel, umgeben von den vier Landespatronen (förderte im 10. Jahrhundert u. a. die Christianisierung Böhmens), im August 1968 Tausende zum stummen Protest gegen den plötzlichen Einmarsch der Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten niederließen, die durch diesen gewaltsamen Akt das Ende des so genannten „Prager Frühlings“ herbeiführten. Heute gilt er mit seinen großen Hotels, Kaufhäusern, Geschäften und Restaurants als Zentrum Prags.

      Danach führte uns unsere Fahrt geradewegs in das Herz der angrenzenden Altstadt, zum Altstädter Ring, ein 9.000 qm großer Platz, auf dessen Mitte sich ein überdimensionales Denkmal des Reformators Johannes Hus erhebt. Er war früher Schauplatz bedeutender historischer Ereignisse, Festplatz für Krönungen, gleichzeitig aber auch für öffentliche Hinrichtungen, ins Pflaster eingelassene Kreuze und eine Gedenktafel erinnern noch daran. Rund um den lebhaften Platz ziehen sich sorgsam restaurierte Patrizierhäuser mit ihren Laubengängen, die ältesten stammen noch aus dem Mittelalter, direkt angrenzend auch zwei der vielen Kirchen Prags, die gotische Teyn- und die barocke Kirche St. Nikolaus, unmittelbar daneben das Geburtshaus des Schriftstellers Franz Kafka (1883), eine Bronzebüste macht darauf aufmerksam. Hauptanziehungspunkt ist das spätgotische Rathaus mit seiner Astronomischen Uhr von 1410, ein dreiteiliges Meisterwerk. Da gerade die volle Stunde schlug, als ich das hübsche Objekt aufs Foto bannen wollte, kamen wir auch noch in den Genuss der stündlich stattfindenden Vorführung: Ein Gerippe beginnt das Sterbeglöcklein zu läuten, Jesus und seine Apostel ziehen nickend vorbei, ein Hahn kräht, und ein Muselmane schüttelt ungläubig den Kopf. Das Zifferblatt zeigt den jährlichen Lauf von Sonne, Mond und Planeten und ganz nebenbei auch die genaue Zeit.

      Mit der Besichtigung des nahen Kreuzherrenplatzes, in der Mitte ein imposantes Denkmal für Kaiser Karl IV., einander schräg gegenüber die barocken Kirchen St. Franziskus und St. Salvator, beendeten wir unsere Sightseeing-Tour und verabschiedeten uns von dieser so schönen und interessanten Stadt.

      Auf einer Nebenstrecke ging es über Stock und Stein, durch kleine überholungsbedürftige Orte, vorbei am großen Zelivka Stausee, eine Weile am romantischen Flüsschen Sasau entlang unserem nächsten Tagesziel entgegen, der drittgrößten Stadt der Tschechoslowakei, der Industrie- und Universitätsstadt

      - Brünn (Brno) -

      die ehemalige Hauptstadt von Mähren; heute die zweitgrößte Stadt Tschechiens.

      Am späten Nachmittag erwischte uns ein heftiges Gewitter mit kräftigen kurzen Schauern, das für angenehme Abkühlung sorgte. Die Stadt zeigte sich im Kern noch recht gemütlich, es gibt eine Reihe interessanter alter Bauten, viele gepflegte Grünanlagen und gegenüber dem Bahnhof eine ausgedehnte Fußgängerzone. Drei Bauwerke sind wirklich sehenswert, die spätgotische St.Jakob Kirche, Ende des 14. Jh. gegründet, erst 1592 beendet, die sich sehr eindrucksvoll aus der Altstadt erhebt, das Alte Rathaus mit seinem schon um 1240 entstandenen Turm und dem durch symbolische Gestalten reich verzierten, etwa 1510 gestalteten Portal und last not least das Wahrzeichen der Stadt, der im 14. Jh. begonnene pompöse Dom St. Peter und Paul, der allerdings erst im letzten Jahrhundert gotisch restauriert worden ist und hoch oben auf der Petrov-Anhöhe, dem Standort der ersten Brünner Burg, das Häusermeer überragt.

      Ein gemütliches Kaffeehaus am Marktplatz neben einem plätschernden Brunnen entpuppte sich als sehr gute Wahl für unser Abendessen. Nach nochmaligem ausgiebigen „Stadtbummel“, natürlich per Mobi, wählten wir schließlich für die Nacht einen Parkplatz unter hohen Bäumen, teilweise von schützenden Hecken umgeben, genau gegenüber einer Geburtsklinik, wie uns ein netter Tscheche erklärte, der uns gleich nach dem Einparken ansprach und auf unsere Einladung hin gern an Bord kam, wo sich ein interessantes Gespräch über Politik und Gott und die Welt entwickelte. Da in der Nacht offensichtlich keine „Geburtseinsätze“ mit quietschenden Reifen u. a. m. gefahren wurden, schliefen wir mutterseelenallein selig und süß bis in den sonnigen Morgen.

      Entsprechend gut gelaunt hangelten wir uns wieder auf Nebenstraßen zur zweitgrößten Stadt der damaligen Tschechoslowakei, seit 1993 Hauptstadt des selbständigen Staates SLOWAKEI und größte Stadt des Landes, Bratislava (früher Preßburg) an der schönen, einstmals vielleicht auch blauen Donau.

      Schon von weitem waren die riesigen unattraktiven Wohnblocks, reine Schlafstädte, zu sehen. In den alten Vierteln konnte man noch etwas von der früheren Schönheit entdecken, man stößt dort auf etliche imposante Palais im Stil von Barock, Rokoko und Klassizismus, die Stadthäuser des Hochadels; sehr imposant das Palais Grassalkovich, 1760 vom gleichnamigen Grafen als Sommerresidenz in Auftrag gegeben. Das im spätbarocken Stil erbaute Gebäude, gelegen in einem wunderschönen französischen Garten, wird heute bewohnt vom slowakischen Staatspräsidenten und dient Repräsentationszwecken.

      Etwas weiter südlich, im historischen Stadtkern, trifft man auf den Hlavné námestie, den Hauptplatz, in seiner Mitte sprudelt die bekannte Rolandfontäne, ein Renaissancebrunnen, 1563 durch Kaiser Maximilian II. nach seiner Krönung im Jahre 1563 errichtet, verziert mit einer lebensgroßen Statue auf hohem steinernen Sockel vom Ritter Roland, ein legendärer Schützer der Stadtrechte; da man jedoch der Meinung ist, dass der Kaiser selbst abgebildet sein könnte, wird er auch Maximilianbrunnen genannt.

      Dominiert wird der Platz vom Alten Rathaus, ursprünglich ein gotischer Bau aus dem 14. Jh., mit einem auffälligen Barocktürmchen, inzwischen als städtisches Museum genutzt.

      Am westlichen Rand der Altstadt überragt der Martinsdom, das größte Kirchengebäude der Stadt, die umliegenden Dächer. Über zwei Jahrhunderte wurde vom Ende des 13. Jh. an der gotischen Kirche gebaut. Ihre einstige Funktion als Krönungskirche der ungarischen Könige (1563-1848) wird durch eine auf einem steinernen Kissen ruhende 300