Gisela von Mossen

Mit dem Wohnmobil durch die Welt — trotz Rollstuhls im Gepäck


Скачать книгу

In Anklam an der Peene, durch die Schiffbarkeit des Flusses ein bedeutender Hafen für die See- und Binnenschifffahrt, zeugt ein 32 m hohes spätgotisches Steintor von der einst mächtigen Stadtmauer.

      Kurz hinter dem Städtchen nahmen wir einen Tramper mit, der sich als sehr aufgeschlossener Berufssoldat der ehemaligen Nationalen Volksarmee entpuppte. Interessant auch seine Meinung zu dem alle bewegenden Ereignis des Mauerfalls. Unter anderem erzählte er uns, dass er sofort am selben Abend mit seinem Trabbi innerhalb eines langen Konvois über die Grenze gefahren sei und dann heulend in seinem Wagen gesessen hätte, als die „Feinde der Deutschen Demokratischen Republik“, ein dichtes Spalier bildend, ihnen begeistert zuwinkten und Blumen in die geöffneten Fenster reichten. Das jahrelang aufgebaute Feindbild brach wie ein Kartenhaus zusammen.

      In der City von Neubrandenburg, seinem Ziel, verabschiedeten wir uns von ihm. Die sehr schön am Nordufer des Tollensesees gelegene, fast kreisrund gebaute Stadt, wurde im Mittelalter mit einer sieben Meter hohen Mauer aus Feldsteinen umgeben, in die 56 kleine Fachwerkbauten, so genannte Wiekhäuser, integriert wurden, die der Beobachtung und Verteidigung dienten. Die mehr als zwei Kilometer lange Ringmauer blieb trotz 85%iger Zerstörung des Stadtzentrums im Zweiten Weltkrieg fast vollständig erhalten und mit ihr ihre vier prachtvollen reich verzierten Stadttore aus Backstein, davon am künstlerischsten gestaltet und mit 32 m das höchste, das Treptower Tor aus der Mitte des 14. Jh.. mit seinem im 15. Jh. hinzugebauten Vortor. Wird die Innenstadt jetzt überwiegend von modernen Nachkriegsbauten geprägt, so hat man von den Wiekhäusern knapp die Hälfte originalgetreu rekonstruiert und wieder in Benutzung genommen (Galerien und Kunsthandwerksläden).

      Mit Neustrelitz erreichten wir die gleichnamige Seenplatte. Alles überragend die neugotische Kirche aus gelbem Backstein mit ihren schlanken seitlichen Türmen, ein Relikt des ehemals riesigen Schlosskomplexes der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz, die im 18. Jahrhundert hier residierten. Wir genossen die Fahrt durch dieses landschaftlich so wunderschöne Gebiet, umso erschreckender der Zustand der kleinen Örtchen, die zum größten Teil einen sehr verfallenen Eindruck machten, anscheinend herrschte großer Mangel an Farbe, alles war so grau und trostlos, nur ganz vereinzelt leuchteten bereits frisch gestrichene Fassaden. Besonders schlimm war die Situation an den Tankstellen, es gab sehr wenige, alle machten einen heruntergekommenen Eindruck; meistens lagen sie auch noch abseits, und wenn man endlich eine fand, stieß man auf lange Warteschlangen von Trabbis und Wartburgs, einige westdeutsche Automarken mit ostdeutscher Nummer waren allerdings auch schon darunter, der Gebrauchtwagenhandel blühte.

      Um 19.00 Uhr entschlossen wir uns in dem kleinen Städtchen

      - Gransee -

      ganz spontan, mitten auf dem dortigen verkehrsarmen Marktplatz zu übernachten. Inzwischen hatten wir die Grenze nach BRANDENBURG passiert. Nach sehr ausgedehntem wohlschmeckenden Mahl im nahen Lindenhof schlummerten wir ruhig wie in Abrahams Schoß in den nächsten Morgen. Die Nähe zu einem Bäcker verführte mich dazu, frische Brötchen und leckeren noch warmen Frühstückskuchen zu besorgen. Erfreulich das umfangreiche Angebot und die Nettigkeit der Verkäuferin.

      Unter Umgehung von Berlin, das wir ja schon so oft besucht hatten, gelangten wir nach Potsdam, der Hauptstadt von Brandenburg, wo ich einen kurzen Besichtigungssprint in den herrlichen Park unternahm, um wenigstens das wunderschöne Schloss Sanssouci von außen zu fotografieren, das sehr dekorativ oberhalb herrlicher Weinbergterrassen thront; zu einem späteren Zeitpunkt haben wir dort einige Stunden mit dem Rollstuhl zugebracht und natürlich auch das prächtige Innere des Schlosses gebührend besichtigt. 1745-47 ließ Friedrich der Große es als seine Sommerresidenz errichten, einen Ort „ohne Sorge“, auf den er sich gern zurückzog. Im 19. Jh. wurde die Anlage durch Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) erweitert. Die Schlösser und ihre Gärten in Potsdam, sowie auch in Berlin wurden 1990, 92 und 99 in die Liste der Welterbestätten der UNESCO eingetragen.

      Die weltberühmte Schlosskirche in Wittenberg, an die Martin Luther, bis dahin nahezu unbekannter Augustinermönch und Theologieprofessor, 1517 seine 95 Thesen schlug, war das nächste Motiv, nachdem wir nach etwa 38 Kilometern die Landesgrenze nach SACHSEN-ANHALT überfahren hatten; 1760 während des Siebenjährigen Krieges zerstört, wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts im neugotischen Stil wieder aufgebaut. Alle Martin Luther Stätten in Wittenberg und in seiner Heimatstadt Eisleben stehen seit 1996 auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO.

      Unser Tagesziel war das in SACHSEN gelegene

      - Leipzig -

      auch dort Verfall und langsamer Wiederaufbau. In der Altstadt findet man noch reizvolle kleine Gassen rund um den Markt. Das Alte Rathaus und dicht daneben die Alte Waage, in der früher vor jeder Messe die Waren geprüft, gewogen und verzollt wurden, sind sehenswerte Renaissancebauten.

      Da wir in der letzten Nacht so gut auf dem Marktplatz geschlafen hatten, wollten wir es in Leipzig nochmals versuchen. Zuvor mussten wir uns jedoch um unser leibliches Wohl kümmern. In einer kleinen Seitengasse entdeckten wir ein uriges kleines Lokal. Es war wie immer sehr voll, zusammen mit drei Herren mittleren Alters wurden wir an einen Tisch gewiesen. Wie sich herausstellte, waren es Pädagogen aus Leipzig, ihre Fächer Physik, Chemie und Mathe. Nochmals drei Meinungen zu dem spektakulären Ereignis, genau wie bei den vorherigen Kontakten alle positiv gestimmt, es konnte ja nur besser werden. Momentan waren sie auf der Suche nach einem westdeutschen Auto, die Marke Opel war der große Favorit. Im Verlauf des wieder sehr lustigen Abends stießen wir alle gemeinsam auf die glückliche Wiedervereinigung an.

      Als wir am nächsten Morgen nach doch etwas unruhigerer Nacht unsere Vorhänge beiseite zogen, glaubten wir an eine Fata Morgana. Rund um uns herum Marktstände und reges Leben. Wir mussten doch sehr tief geschlafen haben. Ohne uns dadurch stören zu lassen, nahmen wir in aller Ruhe unser Frühstück ein, erweitert durch frisches Obst von einem nahen Händler. Plötzlich große Unruhe vor unserem Wagen. Eine ältere Frau war zu Boden gestürzt und wand sich in epileptischen Anfällen, neugierige Gaffer rundherum. Ich schnappte eine unserer Wolldecken und ein Kissen, rannte hinaus, lagerte den hin- und her schlagenden Kopf auf die weiche Unterlage und deckte die Ärmste zu. Der Notarzt war bereits benachrichtigt, ich streichelte sie und redete beruhigend auf sie ein. Es dauerte allerdings eine ganze Weile, was einen sich als schlauen Wessi entpuppenden Umstehenden zu der Aussage veranlasste: „Da schicken wir denen schon unser gutes Geld rüber zum Anschaffen von neuen Krankenwagen, und dann kommen sie noch nicht mal, bei uns geht das viel schneller, in wenigen Minuten ist Hilfe da!“ Ich machte meinem Ärger über diese völlig überflüssige und dumme Bemerkung Luft. Gott sei Dank kam in diesem Moment die Ambulanz, und die Kranke wurde sofort medizinisch versorgt. Ich brauchte eine Weile, bis ich mich beruhigte, manchmal muss man sich wirklich für seine Landsleute schämen!

      Nach einem kurzen Bummel über den Markt, so weit die Füße trugen, ließen wir uns auf einer Bank in der Sonne nieder und schauten dem bunten Leben und Treiben zu. Auch einige Händler aus dem Westen boten ihre Waren an, allerdings, wie wir leider feststellen mussten, zu weit überhöhten Preisen. Die Nähe zu Auerbachs Keller, dem Goethe in seinem Faust ein Denkmal setzte, verführte uns dazu, mittags in dem geheiligten Gewölbe mit großem Appetit leckere Leber mit lockerem Kartoffelpüree und gerösteten Zwiebelringen nebst Apfelspalten zu verzehren.

      Danach brachen wir sofort auf. In Naumburg an der Saale, im südöstlichen Zipfel von SACHSEN-ANHALT gelegen, war