Kristina Schwartz

Gwendoline


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hab, noch bevor ich raus zur Mühle gefahren bin, den Baumeister angerufen – seine Tafel mit Namen und Adresse stand ja für jedermann sichtbar auf der Baustelle –, hab ihm gesagt, der soll seinem Polier sagen, wo du bist, wo er dich ...«

      Joe hielt die Luft an. Ihr Gesicht brannte rot vor Wut. Sie reckte ihre Arme über den Kopf, als wollte sie eine Dehnungsübung machen, dann holte sie aus und donnerte Anika eine schallende Ohrfeige ins Gesicht.

      Diese gab keinen Laut von sich.

      »Bin fertig«, tönte Sandras Stimme vom Vorraum. »Können wir?« Sie warf einen Blick in die Küche. »Was wird das?« Und als sich nichts rührte. »Joe?«

      »Nichts Ernstes. Nur eine kleine, sich hartnäckig einer zivilisierten Lösung widersetzende Angelegenheit zwischen Frauen.«

      Sandra nickte. »Komm jetzt!« Dann ging sie aus dem Haus.

      Flink nahm Joe das Seidentuch, welches sie als Gürtel zu ihrem Kleid trug, schlang es mehrfach um Anikas Hals und das Tischbein, und machte einen doppelten Knoten in die Enden. »An deiner Stelle, und das ist wirklich ein gutgemeinter ärztlicher Rat, würde ich jetzt ganz ruhig sitzenbleiben, denn sonst könnte es für dich sehr schmerzhaft werden.« Sie wollte schon aus der Küche laufen, machte an der Obstschüssel noch einmal kehrt und schnappte sich einen Apfel. Als sie damit auf Anika zuging, versuchte diese, den Kopf hektisch zur Seite zu drehen. Joe funkelte sie diabolisch an, was ausreichte, damit sie ihren Mund freiwillig weit aufspreizte. Mit geschickten Fingern steckte Joe ihr den Apfel in den Mund, bis sich Anikas Zähne darin verbissen. »Braves Mädchen«, tätschelte Joe ihren Schädel und lief aus dem Haus.

      »Warum hast du sie eigentlich an den Tisch gefesselt«, wollte Joe, der der Schalk aus den Augen blitzte, wissen.

      »War ich nicht.«

      »Klar.«

      Sandra sah sie schief von der Seite herab an. »Sie war es selbst.«

      Joe blieb stehen, stemmte die Arme in die Hüften. »Warum kannst du nicht einmal ernst sein, wenn ich mit dir rede?«

      »War noch nie in meinem Leben ernster«, gab Sandra zurück.

      Eingehend betrachtete Joe Sandras Physiognomie.

      »Sie möchte, dass ich sie zu meiner Sklavin erziehe und, um all meine Zweifel schon im Vorfeld zu zerstreuen, hat sie mir gleich ihre uneingeschränkte Mithilfe signalisiert.«

      »Aha. – Was es nicht alles gibt.«

      Schweigend gingen sie nebeneinander die Dorfstraße entlang, wie ein seit zwanzig Jahren verheiratetes Ehepaar, das keine Possen, keine Pointen oder Bonmots mehr zu erzählen wusste, mit denen es den Partner noch überraschen oder schockieren konnte.

      Joe schloss die Tür zur Mühle auf, die sich jedoch nur zur Hälfte öffnen ließ. Unzählige Umzugskartons stapelten sich gleich dahinter im Vorhaus.

      Sandra sah sich um. »Wer zieht außer dir noch ein?«

      »Bitte?«

      »Oder willst du behaupten, dass das ganze Zeugs allein dir gehört.«

      »Allerdings.«

      »Hattest du das alles in deiner Wiener Wohnung?«

      »Das ist noch nicht einmal alles. Ein paar Dinge sind noch dort.«

      »Uah ... ist der schwer«, stöhnte Sandra, als sie eine dieser würfelförmigen Schachteln anheben wollte. »Was ist denn da drin? Gewichte für’s Kiesertraining?«

      »Die mit den Büchern kommen in die Wohnküche ...«

      »Die ehemalige Stube.«

      »Die mit den Schuhen bleiben hier. Die Klamotten kommen rauf ins Schlaf- oder ins Ankleidezimmer.«

      »Vornehm, vornehm«, ätzte Sandra mit einem breiten Schmunzeln.

      »Muss ja dem Kaefer auch genug hinblättern für die Renovierung.«

      »Ja. Nicht zu vergessen die Tischlerei, die dir diese nette Planerin vorbeigeschickt hat, um die Räume exakt auszumessen.«

      Joe grinste. »Eifersüchtig?«

      »Jetzt enttäuschst du mich aber, mein Schatz. Eifersucht ist was für Anfänger. Über das Stadium bin ich doch schon hinaus.«

      Aber noch nicht lange, dachte Joe, ohne es laut auszusprechen. »Wie recht du hast, meine Große«, sagte sie und strich Sandra sanft über den Rücken. Sie streifte die Schuhe ab und schleppte den ersten Karton die Holztreppe hinauf.

      »Eigentlich hätt ich lieber die Klamotten ausgepackt.« Einen Flunsch ziehend, schnappte sie sich eine von den Bücherkisten und trug sie, geschickt auf ihren grazilen Absätzen balancierend, in die Wohnküche. Vor dem noch unbefüllten Regal stellte sie die Schachtel ab und begann lustlos dieser Bücher zu entnehmen und einzuschlichten. Schopenhauer, Nietzsche, Suter – war das auch ein Philosoph? – Pschyrembel und plötzlich, gänzlich unerwartet, das ... »Hey«, schrie Sandra laut, dass es im ganzen Haus widerhallte. »Find ich ja toll, dass du auch g’scheiten Lesestoff hast. – Haha!«

      »Shibari. Japanese Rope Bondage and Erotic Macramé« hielt sie in ihren Händen. Gleich darunter stieß sie auf »Jay Wiseman’s Erotic Bondage Handbook«.

      »Ich wusste, du hast guten Geschmack, Joe«, rief sie aufgekratzt.

      »Was is’?«, hollerte es von oben.

      Sandra nahm die beiden Bücher und trippelte die Stufen hinauf. »Da, die zwei Bücher«, sagte sie keuchend und hielt sie Joe unter die Nase.

      »Ah ...«, sagte Joe theatralisch, als wäre ihr gerade das eigene Ich aus einem Paralleluniversum begegnet. Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Der herrliche Sommertag, an dem sie nach der Ordi noch zum Morawa fuhr, um die beiden Bücher, die sie bestellt hatte, abzuholen. Blut hatte sie dabei geschwitzt, weil es ihr so unendlich peinlich war, Bücher zu einem Thema, das ihr so gar nicht gesellschaftsfähig schien, persönlich abzuholen. Eine Verklärtheit stieg mit einem Mal in ihre Augen. »Die ...«, sie holte tief Luft. »Die hab ich damals wegen dir gekauft, meine Große.«

      Unverständnis zeigte sich in Sandras ebenmäßigem Gesicht.

      »Wirklich«, insistierte Joe. »Ich hab sie bestellt, um mich fortzubilden, damit ich mir nicht ganz blöd neben dir vorkomm, damit ich weiß, wovon du redest, und damit ich in der Lage bin, dir das zu geben, was du so liebst, was dir so wichtig ist ...«

      Wie erstarrt stand Sandra vor ihr, rührte sich nicht. Einzig ihre Augen veränderten sich, wurden glasig, wässrig. Sie lachte und Tränen der Freude kullerten ihr über die Wangen. »Du bist so süß, Joe. So, so, so süß« und dann drückte sie drei, vier, fünf feuchte Küsse auf Joes Mund, bevor ihre Zungen miteinander verschmolzen. Joe hielt sie fest umklammert und ihre warmen Brüste berührten sich.

      »Recht gebraucht, ich meine, so als hättest du jeden Tag drin gelesen, sehen sie aber nicht aus«, stellte sie mit holmesschen Fähigkeiten fest, nachdem sie die Tränen mit dem Handrücken fortgewischt hatte.

      »Ich ... bin dann irgendwie nicht mehr dazugekommen. Dann war der Bondagekurs.«

      Sandra nickte, als hätte es den Bondage-Workshop und dessen Kursleiterin Harriet nie gegeben. »Was ist denn jetzt eigentlich mit deiner Mutter?«

      »Was soll mit ihr sein?«

      »Na, auf was habt ihr euch denn jetzt geeinigt?«

      Joe biss sich auf die Unterlippe. »Nachdem sie mit ihrem Tiroler, oder er mit ihr, kann ich nicht genau sagen, Schluss gemacht hat, ist sie vorläufig – wie sie selbst sagt – in meine Wohnung im 3. Bezirk eingezogen.«

      »Und die gute Nachricht?«

      Joe rollte mit den Augen. »Das war schon die gute.«

      »Oh«, Sandras sonniges Gemüt verfinsterte sich. »Tut mir leid, das zu hören. Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.«

      »Ist