Kristina Schwartz

Gwendoline


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hatte augenblicklich das Gefühl, von der Kaste der Studierten in die unterste Schublade gekullert zu sein. »Bitte? Was war das?«

      »’tschuldige, wollte sagen, ich hab nur noch Ottakringer.«

      »Ist okay«, entgegnete Joe und fragte sich ernsthaft, ob Bier nicht gleich Bier war. Oder war es womöglich ähnlich kompliziert wie beim Wein? Gab’s auch Jahrgänge beim Bier und sie, die einfältige Naive hatte es bis heute noch nicht mitgekriegt? »Ein Zwanzigzehner, wenn du hast.« Gleich darauf fiel ihr ein, dass Michael, der Bierexperte, noch nie etwas von Jahrgängen erwähnt hatte.

      Sabine lachte. »Kenn mich schon aus.« Dann brachte sie Joe die Flasche, zusammen mit einem anmutig geschwungenen Tulpenglas, in das sie etwas einschenkte, bevor sie beides vor Joe auf den Tisch stellte.

      Mit offenem Mund bestaunte Joe Sabines Fertigkeiten.

      Diese schmunzelte. »Hab in meinem früheren Leben gekellnert.« Dabei zwinkerte sie Joe kokett zu und verschwand in die Küche, um sich ein Glas Rotwein zu holen.

      Eine wallende Hitze spürte Joe plötzlich in sich aufsteigen. Sie schlug ein Bein über das andere, als könne sie diese damit unter Kontrolle halten. Vermutlich in einer Stripbar, ging es ihr durch den Kopf und sie versuchte, diesen Gedanken sofort wieder zu verdrängen.

      »Es war in einem – wie heißt es so euphemistisch? – einschlägigen Etablissement, in dem die Damen nur leicht bekleidet herumlaufen, um die männliche Klientel zu erfreuen. Leicht bekleidet hieß in unserem Fall ein dünnes Schnürchen um die Hüften und ein noch dünneres durch den Schritt, beide in einem kräftigen Rot et voilà, fertig war die Dienstuniform. Passte erstklassig zur Corporate Identity.« Sie lachte. »Die Mädchen konnte man nur aufgrund der Größe ihrer Titten und ihrer Haarfarbe unterscheiden.«

      Joe sah verunsichert aus. Sie wusste nicht, ob sie das alles hören wollte, was ihr Sabine da erzählte. Wenn es keine Vergangenheit gäbe, könnte man viel ungezwungener im Hier und Jetzt leben, sinnierte Joe. Oder dient die Vergangenheit allein dazu, um zu erklären, wie und warum man zu der Person wurde, die man heute war, dient sie dazu, um all die Macken, Fehler und Unzulänglichkeiten des eigenen Ichs erklären und entschuldigen zu können, sie auf das Verhalten anderer zu schieben, um sich selbst reinzuwaschen und in ein strahlenderes Licht zu stellen?

      »... ich auch meinen Mann«, war Sabine schon ein Kapitel weiter. »Wir hatten«, dabei strahlte ein schelmisches Grinsen aus ihrem Gesicht, »nur einen einzigen Punkt, bei dem wir uns wirklich – und ich meine wirklich – einig waren ...«

      Joe, einen großen Schluck von ihrem Bier nehmend, fragte sich, warum sie sich aufrechter und gerader hielt als sonst.

      »... und das war Sex.«

      Da war es wieder, Joes leidiges Thema. Ja, Mann und Frau haben Sex, viel Sex, sieben Tage die Woche, zweiundfünfzig Wochen im Jahr; wenn beide berufstätig sind, es in der Firma einen heimeligen Kopierraum oder eine verwaiste Besenkammer gibt, noch öfter. Joe!, Schluss jetzt mit dem Selbstmitleid.

      »... beide die etwas härtere Gangart. Er war der geborene Unterwürfige. Und ich ... mein Part schien mir schon in die Wiege gelegt worden zu sein. Auch wenn es gar nicht in der Absicht meiner Eltern gelegen hatte.« Sie nippte von ihrem Wein. »Irgendwann ging es dann aber nicht mehr. Der Alltag wurde zunehmend anstrengender und mühsamer. Wir ließen uns scheiden, gingen ohne Zorn, ohne Hass auseinander. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Ich war frei, konnte tun und lassen, was mir gefiel, und da wurde mir klar, ich wollte mich nie wieder auf einen Partner fixieren.«

      Joe nickte andächtig, als hätte sie schon drei geschiedene Ehen hinter sich und wüsste genau, wovon Sabine sprach.

      »War dann natürlich die große Frage für mich, was tun, um meinen Lebensinhalt zu finanzieren. Ich konnte nichts außer Tabletts schleppen, aufreizend lächeln und die Drinks so abstellen, dass den Gästen meine Titten ins Gesicht sprangen.« Da war wieder dieses verschmitzte Grinsen. »Dann kam mir irgendwann die Idee, Geld zu verdienen mit dem, was mir Spaß macht und was ich wirklich konnte.«

      Wie Sabine sich eine so großzügige Wohnung mit Dachterrasse leisten konnte, mit höchstens zwei Tagen Workshop in der Woche, faszinierte Joe über alle Maßen.

      » ... gründete meinen eigenen Escortservice mit nur einer Angestellten – mir.«

      Überrascht sah Joe durch ihre tiefschwarzen Wimpern, musterte Sabines Gesichtsausdruck.

      »War ’ne tolle Sache. Erst in schicke Restaurants, ins Theater, in die Oper – Robert Meyer als Alfred P. Doolittle in ›My Fair Lady‹, ein Genuss, sag ich dir. Dann ins Ana Grand – hieß es damals noch –, ins Sacher oder ins Imperial, mit den schweren Teppichen und den edlen Hölzern. Die Betten sind halt ein Krampf, denn auf Gäste, die mit Handschellen kommen und diese irgendwo festmachen wollen, sind die nicht eingerichtet. Nix ist’s da mit Messingbetthaupt und massivem Fußteil. Musst ich gleich eine negative Rezension schreiben.« Sie giggelte wie eine Pubertierende.

      »Meine Begleittätigkeit biete ich selbstverständlich auch für Frauen an, doch bis dato hat sich noch keine dafür interessiert. Später kam ich auf die Idee mit den Workshops. BDSM hatte weitgehend seine Schrecken, vor allem aber seinen anrüchigen Ruf verloren.« Sie lachte. »Jeder wollte auf einmal mit Seilen und Handschellen spielen, doch niemand wusste so recht, wie man diese gefahrlos, für die eigene, wie die Gesundheit des anderen, handhabt. Kratzer und Abschürfungen sind ja noch das harmlose Ende des Spektrums, aber das brauch ich dir als Ärztin ja nicht zu erzählen.«

      Sofort, als sie das Wort Ärztin vernahm, versteifte sich Joes Oberkörper und sie zog ihre Schultern zurück, als wäre sie eben aufgefordert worden, vor den Vereinten Nationen in New York zu sprechen.

      »Wie du vielleicht schon bemerkt hast«, und dabei strich Sabine mit den manikürten Fingern verführerisch über ihre Schenkel, die in seidig glänzenden Strümpfen, und ihre Hüften, die in einem knappen Lederrock steckten, »bin ich Fetischistin.«

      Für einen kurzen Moment weiteten sich Joes Augen auf das Doppelte ihrer normalen Größe und sie spürte eine unbändige Hitze in ihre Wangen kriechen. Sie nahm einen kräftigen Zug vom Bier.

      »Ich liebe diese hauchdünnen, weichen Stoffe, die sich wie unsichtbar an meine Haut schmiegen, sie überziehen, sie einhüllen wie ein zartes Gefängnis. Ich mag hohe Schuhe und ich mag Leder. Latex wär auch schwer okay, wenn nicht dieser Wahnsinnsaufwand mit dem Anziehen wär.«

      Joe trank ihr Glas leer.

      »Willst du was sehen«, fragte Sabine neckisch.

      Joe, die dachte, das Bier hätte sich in ihrem Hals gerade zu einem dicken Kloß verklumpt, nickte nicht gerade enthusiastisch.

      »Komm mit!« Sabine stöckelte aus dem Wohnraum, den Gang entlang, um dann in einer Tür auf der linken Seite zu verschwinden. »Schlafzimmer.«

      »Von der Größe sieht es eher wie eine Junior-Suite aus«, stellte Joe lakonisch fest.

      Ohne darauf zu reagieren trippelte Sabine über den hochflorigen Teppich zum Kleiderschrank.

      Dort, wo Joe in der Suite eine Sitzgruppe und den Fernseher platziert hätte, befand sich in Sabines Schlafraum eine u-förmig angelegte Landschaft aus Kästen, offenen Regalen und Schubladen, alles in massiver Rotbuche, geölt. »Nett«, japste sie, um irgendwas zu sagen.

      Sabine ließ eine Schiebetür lautlos zur Seite gleiten und offenbarte Joe eineinhalb Meter Leder, Lack und Latex. »Hier.« Zielsicher langte Sabine – bei den Kleidungsstücken war es schon eher angebracht von Harriet zu sprechen – in den Schrank und entnahm ihm ein ärmelloses, schmal geschnittenes Lederkleid. »Sieht doch sexy aus! Ist eins meiner Lieblingsstücke.« Gekonnt wie eine Verkäuferin bei Dior hängte sie es wieder zurück. »Oder hier.« Sie zauberte ein viktorianisch aussehendes Korsett aus Brokat hervor. »Sehr elegant. Lässt sich selbst in der Staatsoper tragen, ohne dass man schiefe Blicke erntet oder angepöbelt wird von den besseren Herrschaften.«

      Interessiert genoss Joe diese Führung durch die Erotik weiblicher Klamotten. »Sehr hübsch«,