Kristina Schwartz

Gwendoline


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erwarten, bis Michael mit dem Essen fertig war, dann nahmen sie ihre Gläser, stiegen die Stufen ins Obergeschoß, weiter die schmale Treppe in den Boden hinauf. Ein wohliger Schauer überlief sie, als sie die Tür in die Mansarde aufstieß.

      Er sah sich um. »Die Isolierung ist ja schon im Zuge der Renovierung gemacht worden. Man braucht das ganze eigentlich nur noch, je nach Geschmack, mit Holz oder Gipskartonplatten zu verkleiden und in der Farbe deiner Wahl anzupinseln. Bodendämmung ist auch schon vorhanden. Brauchst dir nur noch einen hübschen Parkett oder Laminat aussuchen. Ich kann dir gerne eine Zimmerei und eine Tischlerei empfehlen, Joe. Was hast du eigentlich damit vor?«

      Grinsend stellte sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

      Seine Augen weiteten sich, seine Mund stand offen.

      Sie nickte, wie um das Gesagte noch zu unterstreichen.

      »Ist nicht dein Ernst.«

      Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, als gelte es ein äußeres Zeichen ihres kindlichen Übermuts zu zeigen und drehte ihren Oberkörper in weichen, schwingenden Bewegungen mal links, mal rechts.

      »Ich fürchte doch.« Dann begann sie hemmungslos zu lachen.

      Wäre Joe an diesem Tag ehrlich zu Michael und zu sich selbst gewesen, hätte sie eingestehen müssen, dass ihre zweifelhafte Stimmung nichts mit ihrer Vorliebe für BDSM zu tun hatte. Vielmehr lag es daran, dass sie weder jenem weitverbreiteten Missverständnis noch Michaels wunderbarem straffen Schwanz aufsitzen, und die Lust, die er ihr bereitete, mit Liebe verwechseln wollte. Eine kleine Barriere und eine winzige Notlüge schienen ihr ein probates Mittel zu sein, dies zu verhindern.

      *

      Sie konnte es nicht abstreiten, doch sie war enttäuscht. Nicht gerade bitter, aber doch enttäuscht. Bei Hippokrates, durfte es denn sein? Traumhaft und einzigartig wäre es gewesen, hätte er ihre Vorlieben für Bondage, für Unterwerfung, für Spanking geteilt. Aber offensichtlich stieß das Schicksal damit an die Grenze des Machbaren. Es wäre perfekt gewesen, ein Mann, der sie fesselt, knebelt, sie unterwirft und ihr jede Menge Lust und multiple Orgasmen in einer bisher ungeahnten Intensität beschert. Aber Perfektion schien, so die Meinung der Vorsehung, des Schicksals oder wer sich immer dafür zuständig fühlen mochte, nicht in diese Welt zu passen. Wo käme man da hin, wenn das Dasein auf der Erde schon die Stufe der Vollkommenheit erreichte? Was könnten die Pfaffen den Menschen dann noch versprechen, für ein nächstes Leben, eine bessere Welt? Die Zukunft konnte in diesem Fall doch nur schlechter aussehen. Und das waren selbst für so ein abgebrühtes Geschwisterpaar wie Schicksal und Vorsehung keine rosigen Aussichten.

      Joe, hör auf Trübsal zu blasen. Du kennst so viele nette Menschen.

      Viele?

      Okay, aber die paar, die du kennst, sind doch nett, wie Sandra zum Beispiel. Michael ist nett. Und Sex mit ihm hat dir doch auch, zumindest die ersten Male, immer Spaß gemacht.

      Schon.

      Dann häng jetzt nicht den ganzen Menschen bzw. die ganze Beziehung daran auf, dass er nichts mit BDSM anfangen kann. Alle sind nicht so verrückt wie wir beide.

      Joe musste schmunzeln. Bezieh das verrückt ruhig auf dich.

      Gut, bezieh ich es auf mich. Hab kein Problem damit.

      In diesem Augenblick begann das Smartphone den Klingelton des Baumeisters zu intonieren. »Sie hab’n a Haus baut« von Arik Brauer.

      »Binder.«

      »Ja, ich grüße Sie, Frau Doktoa Binda«, kam die feste Stimme von Baumeister Kaefer aus dem Lautsprecher. »Haben Sie mein Mail schon gelesen?«

      Uh, das klang gar nicht gut. Eine Mail vom Baumeister, jetzt wo die Arbeiten so gut wie abgeschlossen waren. Das konnte nur bedeuten, dass er seinen Kostenvoranschlag nicht eingehalten hatte, dass er, wie in Österreich quasi schon Standard, wenn schon nicht die Bauzeit, so zumindest die präliminierten Kosten überzogen hatte. »Nein«, sagte sie brüsk ins Telefon.

      »Macht nichts. Herr Jevtic hat mit mir gesprochen, dass Sie die Mansarde auch noch ausgebaut haben wollen, Sie aber nicht persönlich als Auftraggeberin in Erscheinung treten wollen, sondern dass wir, die Baumeister Kaefer GmbH, diese Rolle übernehmen sollen.«

      Sie hörte einen langgezogenen Seufzer. »Das machen wir natürlich gerne für Sie, Frau Doktoa, da wir auch in der glücklichen Lage sind einige Firmen zu kennen, die erstklassige Innenausbauten, inklusive ansprechendem Design durchführen.«

      »Sehr schön, es freut mich, das zu hören.«

      »Ich schick Ihnen also demnächst jemanden vorbei, wahrscheinlich noch diese Woche, der sich den Dachboden einmal anschaut und dem Sie Ihre Wünsche und Vorstellungen schildern können und der Ihnen einen Plan und eine damit verbundene erste Kostenschätzung liefert.«

      »Danke! Das ist ausgesprochen zuvorkommend.« Sie hörte das dezente Lächeln des Baumeisters am anderen Ende des Äthers.

      »Was die Mail betrifft ...«

      Joe krampfte sich der Magen zusammen.

      »... so hoffe ich, Sie freuen sich, dass wir acht Prozent unter dem Kostenvoranschlag geblieben sind.«

      Stille. Hatte er das wirklich gesagt, was sie dachte gehört zu haben? »Acht Prozent?«, sagte sie, eine Oktave höher als gewöhnlich.

      »Äh, ja. Exakt herausgerechnet sind es acht Komma drei oder vier.«

      »Das ... also das ...« Joe rang nach Worten. »Danke, vielen herzlichen Dank.«

      »Gern geschehen«, meinte Kaefer, dem es offensichtlich ausgesprochen gut tat, ab und an ein wenig Dank von seinen Kunden zu bekommen.

      *

      »Wie läuft’s denn in deiner Design-Bude?«

      »Du meinst im Büro?«

      Sandra grinste überheblich, als gäbe es gar keine Möglichkeit, ihre Frage falsch zu verstehen.

      Anika zuckte mit den schmalen Schultern. »Tut sich nicht viel. Branding für ein mittelgroßes Unternehmen, dessen Namen ich dir nicht verraten darf, sonst nur Kleinkram, Privatkunden, Websites und Visitenkarten.«

      »Das find ich wirklich interessant, dass in einer papierlosen Zeit wie der heutigen, die Visitenkarten noch nicht von der Bildfläche verschwunden sind.«

      »Hast du vor, die gesamte Zeit mit mir über den Job zu reden? Ich dachte, du wolltest mich erziehen?«

      »Vielleicht tu ich das ja grade.« Sandra lachte, als sie Anikas entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkte.

      »Hey, das geht aber nicht!«

      »So?«

      »Ähm, zumindest nicht ohne begleitende disziplinäre Maßnahmen.«

      »Du wirst das Geschirr abwaschen, meine Dessous bügeln, das Haus aufräumen ...«

      »Aber...«

      »Hm ... ich glaub, ich werd alt. Hab schon ’nen Tinitus. Dachte grad, du hättest ›aber‹ gesagt.«

      »Aber ...«

      »Da ist es schon wieder.«

      »Aber ich hab ›aber‹ gesagt.«

      Sandras Augen waren kreisrund. »Aber, aber ... Nix aber. Bei Erziehungsmaßnahmen gibt es kein ›aber‹, verstanden?«

      »Ja, ja, hören tu ich noch ganz gut, aber ...«

      »Was hab ich grad gesagt?«

      »Aber ...«

      »Anika, das führt zu nichts. Du hörst dich an wie eine CD, die ewig an der gleichen Stelle hängt.«

      »Aber ...«

      »Genau das hab ich gemeint.«

      Anika schwieg.

      »Schon besser.– Eine Erziehungsmaßnahme