Kristina Schwartz

Gwendoline


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als hätte er die Blumen gerade vom Jedleseer Friedhof gestohlen. Er überreichte ihr einen opulenten Strauß aus Chrysanthemen.

      Mit angehaltenem Verstand sah sie ihn an, wusste nicht, womit sie diese Nettigkeit verdient hatte. »Aber ich bitte Sie, das wär doch nicht nötig gewesen«, sprudelte sofort eine Plattitüde professionell aus ihrem, in dezentem Veilchenton geschminkten, ärztlichen Mund. »Die sind ja wunderschön. Die kann ich unmöglich annehmen.«

      »Aber ich bestehe darauf.«

      »Ich ...«

      Joe, fang jetzt keinen Streit an, hier in der Ordi. Er hat gesagt, er besteht darauf.

      Na dann ... »Herzlich Dank, Herr Doktor, obwohl ...«

      Dr. Bertram hob beschwichtigend seine Arme.

      »Das ist doch keine Bestechung?«, fragte Joe plötzlich ernst. »Oder ›Anfüttern‹? In Österreich ist das ›Anfüttern‹ verboten.

      »Doch nur bei Staats- und Landesbediensteten, wenn ich mich richtig erinnere, und da auch nur bei den unteren Chargen.« Dr. Bertram schmunzelte.

      Verzückt nahm sie die Blumen und legte sie in das Waschbecken. »Der Blutdruck?«, wurde sie sofort wieder dienstlich.

      »Nur wenn ich Sie sehe, meine liebe Frau Doktor.«

      Joe spürte, wie sich ihre Wangen knallrot färbten, als hätte sie sie gerade mit Kadmiumrot dunkel eingecremt. »Bitte unterlassen Sie diese Scherze.«

      Noch immer lächelte er. »Ich möchte Sie, liebe Frau Dr. Binder, in aller Ehrenhaftigkeit, versteht sich, gerne zum Essen einladen.«

      Verlegen presste Joe die Lippen zusammen. »Schauen Sie, mein lieber Doktor Bertram, ich kann ...«

      »Zum ›Plachutta‹ in die Wollzeile ... oder ›Zum schwarzen Kameel‹ ... oder von mir aus auch ›Meinl am Graben‹ ...«

      »...«

      »Wenn Sie möchten auch zu den ›Drei Husaren‹ – nein, die sind ja krachen gegangen ... oder auf ein Schnitzel ins ›Figlmüller‹?

      »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Dr. Bertram, aber ...«

      »Nennen Sie mich doch Julius.«

      Eine unangenehme Hitze breitete sich in Joes Kopf aus. »Herr Doktor, wirklich ...«

      »Julius, bitte!

      »Wirklich, also ich weiß nicht ...«

      »Es ist nur eine formlose Einladung zum Abendessen. Ein Dankeschön. Nichts weiter. Ohne Hintergedanken.«

      Lügen kann er wie gedruckt, ohne dass man es ihm ansieht, dachte Joe. Gut, er war ausgebildeter Jurist.

      »Es ist nur ... ich weiß doch, dass Sie an mir nichts verdienen, wenn ich zehnmal im Monat Blutdruck messen komme.«

      Sogar wenn er nur zehnmal im Jahr Blutdruck messen käme, würd’ ich nichts verdienen.

      »Also ... wirklich ... ich ... ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Einladung ... Julius. Gestatten Sie mir, wenn ich erst darüber nachdenke.«

      »Ja, selbstverständlich, meine Verehrteste, selbstverständlich. Den Termin legen selbstredend Sie fest.«

      Joe blickte auf ihre Swatch. »Also, wenn ich heute nichts mehr für Sie tun kann ...«

      »Danke«, lächelte Dr. Bertram, »das wäre alles.«

      Als Joe ihm die Hand reichte, glaubte sie die Andeutung eines Handkusses zu sehen, doch gleich darauf war sie sicher, sie wollte sich einfach sicher sein, sich getäuscht zu haben. »Herzlichen Dank und bis zum nächsten Mal«, flötete Joe wie immer, wenn sie nicht sie selbst war.

      Bis auf den Zwischenfall – oder wie sollte sie es sonst nennen? – mit Dr. Bertram war ihr Arbeitstag ruhig und angenehm verlaufen. Dennoch fühlte sie sich müde. Wäre sie von einem gutaussehenden Vierziger zu einem Dinner eingeladen worden, hätte sich ihr Ego geschmeichelt gefühlt. Selbst der Einladung eines Zwanzigjährigen, der ja beinahe noch an der Grenze zur Minderjährigkeit kratzte, wäre sie bereitwilligst gefolgt. Durch Dr. Bertrams Einladung hingegen fühlte sie sich, sie konnte es nicht anders sagen, alt. Steinalt, uralt, wie die ältere Schwester Methusalems. Keine Frage, die Blumen waren eine nette Geste gewesen, für das, was sie tat. Ein Abendessen in einem der besten Lokale Wiens klang auch ausgesprochen verlockend. Die besten Lokale ... Doch warum ausgerechnet von einem Greis. Okay, mit seinen dreiundfünfzig Jahren hatte er zumindest als Nichtbeamter noch lang keinen Anspruch auf Ruhestand, aber das tat in Bezug auf sein biologisches Alter doch nichts zur Sache. Sie war noch keine dreiunddreißig und hatte keine Lust, ihre Lebensfreuden und Energien unter die Abgeklärtheit eines Großvaters zu stellen.

      Joe ...

      Yup.

      Er hat Geld.

      ...

      Joe?

      Was bist denn du für eine? Nimmst du auf einmal Drogen?

      Ihre innere Stimme war baff.

      Und wenn er tausend Millionen hat ...

      Das nennt man eine Milliarde, Joe.

      ... kann er mir gestohlen bleiben. Was mach ich mit einem geriatrischen, auf Inkontinenz zusteuernden alten Knacker, der keine Ahnung mehr hat von ... Liebe ... von Sex ... von Bondage ... von ...

      Hab dich schon verstanden.

      Hm ..., grummelte Joe.

      Du könntest ja mit ihm essen gehen und ihm dann, ich meine nachher, ich meine, wenn er schon bezahlt hat, klarmachen, dass du nicht interessiert bist.

      Sehr witzig.

      Nein, das meine ich ernst.

      Das wär ja wirklich ... also das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Wie käme ich mir denn da vor? Wie eine Ärztin, die sich selbst kein Abendessen in einer Gaststätte der gehobenen Kategorie leisten kann.

      Der Figlmüller ist nicht so teuer, und die Schnitzel sind supergroß und total lecker!

      Ich weiß, war ja schon dort.

      Die innere Stimme schmunzelte.

      Warum erzähl ich dir das eigentlich, wo du doch ohnehin ... dabei warst.

      Das hab ich mich auch g’rad gefragt ... Ich wollte deinen Geisteszustand nicht ...

      Passt schon. Okay?

      In der Mühle angekommen, ging sie schnurstracks in die Küche und öffnete eine Flasche von Otmars ›Vino della Casa‹, dem hiesigen Grünen Veltliner. Weit mehr als ein Achtel schenkte sie sich ein und presste die kühle Flüssigkeit an die Schläfe. Sie nahm einen kräftigen Schluck, gleich darauf noch einen. Langsam krochen die Lebensgeister auch in die entlegeneren Winkel ihres Körpers. Sie ließ sich auf dem Küchensessel nieder, der den alten, von Michael Thonet entworfenen Stühlen der Wiener Kaffeehäuser nachempfunden war. Allerdings war ihrer aus Plastik. Original schwedisches Möbelhaus.

      Vielleicht sollte sie sich noch eine Stunde hinlegen, bevor Michael kam.

      Ein infernalisches Geklopfe riss Joe aus dem Schlaf. »Was ...« Sie sah auf die Uhr. »Verdammte Scheiße!« War sie doch tatsächlich eingenickt. »Einen Moment!«, rief sie, als sie ihr Haar, wirr und ausgefranst, als wäre es elektrostatisch aufgeladen, im Spiegel betrachtete. Sie rannte in die Küche, langte in ihre Handtasche, fand eine Packung Hofer-Taschentücher, das kleine Notizbüchlein, das sie ständig mit sich herumschleppte, für den Fall, dass es eine wichtige, private Telefonnummer zu notieren galt, das Fläschchen mit den Bachblüten, die angebrochene Packung mit den Baldrian-Hopfen-Tabletten. Es war zum Verzweifeln. Endlich ertasteten ihre Finger den Griff der Haarbürste. An der Tür hämmerte es ungeduldig.

      »Joe!?, ich bin es, Michael. Willst du mich nicht reinlassen?«

      »Ich ... gleich bin ich soweit«, sagte sie, damit beschäftigt ihr widerspenstiges Haar, das jeglichen