Kristina Schwartz

Gwendoline


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war.

      »Aber dies hier ...«, Harriet legte eine Pause ein, um sich die volle Aufmerksamkeit ihrer Besucherin zu sichern, »... dies ist mein Prachtstück.« Sie schwenkte, was aussah wie ein Overall, kokett vor Joes Augen. »Catsuit aus feinstem Nappaleder. Maßanfertigung, damit er wirklich sitzt.«

      Joe wurde tatsächlich rot bei dem Gedanken, wie die bezaubernden Kurven ihrer Gastgeberin in diesem wunderbaren Anzug aussehen.

      »So, nun aber genug der Vorstellung«, meinte Harriet, schloss den Schrank und war mit einem Schlag wieder, simpel und profan, Sabine.

      »Danke«, flüsterte Joe.

      »Ein paar nette Sachen hab ich noch. Kannst dir gern mal was ausborgen, wenn’s dir passt.«

      Joes Augen strahlten rund und groß.

      »Kein Spaß, ich mein das ernst.«

      Joe legte die Hände auf ihre Hüften, die ihr plötzlich unheimlich ausladend vorkamen.

      Als die beiden wieder im Wohnzimmer saßen, Sabine die Getränke nachgeschenkt hatte, fragte sie: »Und was tut sich bei dir, Joe, außer dass du gerne Bondageworkshops besuchst, bei denen du dich äußerst geschickt anstellst?« Dabei ließ sie ihre Hand auf Joes Schenkel gleiten und sah sie neugierig aus ihren grünen Augen an.

      Langeweile, dachte Joe. Eintönige, nie enden wollende Langeweile in der Ordi. Was sollte sie bloß von sich erzählen, dass Sabine nicht gleich in den nächsten drei Minuten hier, neben ihr auf dem Sofa einschlief? In ihrem Leben gab es so gar nichts, das sie als erwähnenswert erachtete. Misserfolge könnte sie jede Menge vorweisen, Defizit an Sex auch, Überbeanspruchung des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand – aber das war eine Folgeerscheinung des vorherigen Punkts. ›Saufen mit Sandra bis zur Bewusstlosigkeit‹, wär ein Thema oder auch ›Wie frau mit zweiunddreißig das schwindelfreie Stöckeln erlernt hat‹, oder ...

      Sabine blinzelte ihr aufmunternd zu.

      Nicht so schüchtern, Joe!, hörte sie das Kichern ihrer inneren Stimme.

      Joe straffte ihren Rücken, strich ihr Haar hinters Ohr und hob das Kinn an, als hätte sie etwas wirklich Bedeutsames zu erzählen. »Tja ... also ...«

      *

      Joe war aufgekratzt, im positiven Sinn echauffiert und glücklich, als sie ihren Smart unter den drei Kastanien hinter der Mühle abstellte.

      Sabine schien sehr an ihrem Leben, ihren bisherigen Beziehungen und ihren Vorlieben interessiert gewesen zu sein. Mehrmals fragte sie Details nach. Besonders hatte ihr die Geschichte von Claudia, ihrer ersten Liebe, gefallen, die noch dazu in einem Desaster geendet hatte. Sie wollte wissen, ob sich Joe bewusst war, was auf sie zukam, würde sie sich mit ihr, Sabine, auf eine Affäre einlassen. Joe beteuerte es mehrfach, denn sie dachte, dass diese wohl nicht viel anders als ihre Beziehung zu Sandra ablaufen würde.

      »Es gibt Fesselspiele«, sagte Harriet, »und es gibt Bondage. Ich betreibe letzteres, und das kann ich wirklich ohne Übertreibung sagen, ich hab schon Männer gesehen, die nach einer halben Stunde in einer ausgewachsenen Panik das Safeword schrien, weil sie nur noch nach Hause zu ihrer Frau wollten.« Dabei machte sie ein Gesicht, das keinerlei Rückschlüsse darauf zuließ, ob sie das humorvoll oder angewidert meinte. Dann, Joe war total perplex, setzte sie sich plötzlich auf ihre Oberschenkel, sah sie aus aufgeweckten Augen an und gab ihr einen langen Kuss. »Ich hab dich damals im Kurs schon unbeschreiblich anziehend gefunden«, sagte Harriet. »Du besitzt etwas Außergewöhnliches, wie hab ich es genannt?, eine ›unkonventionelle Natürlichkeit‹«.

      Joe konnte sich daran erinnern. Doch was Harriet damit genau meinte, war ihr nach wie vor schleierhaft, und nachfragen wollte sie auch nicht.

      »Ich hätte Lust, mit dir zu spielen, Joe. Sehr große Lust. Ein ganzes Wochenende lang – für den Anfang – möchte ich mit dir spielen, möchte dich verführen, verschnüren, fesseln, knebeln, schlagen und dir dabei so viel Lust bereiten, wie du sie noch nie verspürt hast.«

      Joe, wusste es, auch wenn sie keinen Spiegel dabei hatte, dass ihre Augen geleuchtet hatten, gestrahlt vor Begeisterung und Vorfreude, als Harriet mit diesen Worten wohlige Schauer durch ihren Körper und frivole Fantasien durch ihren Kopf jagte.

      »Mach mit mir, was du willst«, sagte Joe, vielleicht doch etwas zu voreilig. »Mein Körper gehört dir.«

      Harriet sah sie ernst an. »Du solltest es nicht sagen, Joe, wenn du es nicht auch genauso meinst. Andernfalls könnte es gefährlich werden.«

      Joe nickte. »Ich meine es aber genau so.«

      »Dann is’ ja gut«, doch Joe dachte in ihrem Gesicht zu lesen, dass sie ihr kein Wort glaubte. »Wann hast du also Zeit für unser erstes Treffen, bei dem sich dann alle noch offenen Fragen von allein beantworten werden?«

      Sie brauchte keinen Kalender, um zu wissen, dass ihre nächsten Wochenenden so leer von irgendwelchen Verpflichtungen waren wie ein frischgeschöpftes Papier von Worten. »Wär kommendes Wochenende okay?«

      Harriet nickte, tippselte und wischte, wischte und malträtierte das iPhone-Display mit dem Nagel ihres Zeigefingers. »Alles klar.« Sie lächelte, küsste Joe noch einmal, bevor sie von ihr stieg und sie hinausbegleitete.

      Das war jetzt gerade mal eine gute Stunde her und noch immer konnte Joe den herrlichen Geschmack Harriets auf ihrer Zunge, deren Berührungen auf ihren Lippen und deren aphrodisierenden Duft in ihrer Nase spüren. Obwohl die Einrichtung ihres neuen Zuhauses, der Mühle, noch bei weitem nicht komplett war, fühlte sie sich bereits geborgen, als sie in den Vorraum trat. Aber was spielte das für eine Rolle, an einem Tag wie diesem, an dem sie von ihrer Bondagelehrerin geküsst worden war, eindringlich und zärtlich und diese ihr sagte, was sie beim nächsten Treffen alles mit ihr anstellen wollte, und zwar ein ganzes Wochenende lang.

      Sie meinte einen Seufzer gehört zu haben.

      Was is’?

      Du bist schon wieder feucht, Joe!

      Was dagegen?

      Beim Zeus. Was sollte ich dagegen haben? Aber ein Außenstehender könnte denken, dass dich das Fahren in deiner winzigen Karre so anmacht, dass du jeden Augenblick kommst.

      Das Treffen zwischen Joe und Sabine war charmant, kurzweilig und für beide Seiten aufschlussreich gewesen. Wäre da nicht ein kleiner Punkt gewesen, den Harriet mit keiner Silbe erwähnt, ja nicht einmal angedeutet hatte. Aber vielleicht war es gut so, denn vielleicht hätte es Joe nur unnötig verunsichert oder sie dazu veranlasst, ihre vereinbarte Verabredung erneut abzusagen, wenn sie gewusst hätte, dass Harriet ein Faible für die klassische Ménage-à-trois hatte.

      *

      Als Joe seinen Namen auf der Warteliste auf ihrem Monitor sah, huschten ihr Gedanken durch den Kopf, ob es nicht doch an der Zeit wäre, ihr Stethoskop an den nächsten Nagel zu hängen, um in Zukunft einer fesselnderen Tätigkeit nachzugehen, die obendrein noch Spaß machte. Sabine, nein, Harriet natürlich, hatte es doch vorgemacht, wie es ging – und dass es möglich war. Was Dr. Bertram betraf, der an diesem Tag bereits zum fünften Mal in diesem Monat bei ihr vorstellig wurde, sah sie sich bereits in der Rolle der unbarmherzigen Domina, die, in hohen Stiefeln und hautengem Latexcatsuit, ihrem Patienten die Flausen mit der Neunschwänzigen austrieb. Als sie sich das Bild vorstellte, stieg eine bis dato nicht bekannte Erregung in ihr auf. Ihre Zehen kribbelten, ihre rechte Hand fasste ständig ins Leere, als versuchte sie nach dem Griff einer unsichtbaren Peitsche zu greifen. Weit würde sie ausholen, würde erst sein Hemd zerfetzen, dann blutige Striemen auf seinen Rücken zeichnen, ihn schlagen, peitschen, demütigen ...

      »Mein lieber Dr. Bertram«, flötete Joe eine Spur zu übertrieben, als dieser zur Tür hereinkam, und sie hoffte, dass er ihre Gedanken nicht von ihren Wangen ablesen konnte.

      »Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ihnen«, sagte er, während er auf sie zuging, die linke Hand hinter dem Rücken, als wäre sie dort festgebunden.

      »Was kann ich für Sie ...?« Joe blieben die Worte weg, als er vor ihr stand, seine