Manja Gautschi

Steintränen


Скачать книгу

Flussviech huschte aus dem Wasser, erschreckte sich als es Boris sah, blieb stehen, streckte seine Nase in die Luft, schnüffelte und beschloss dann weiter zu huschen. Ganz dicht an Boris vorbei. Es schmiegte sich so fest es ging an den grossen Mann, so, als ob es etwas von Boris Energie tankte. Das kleine Tier war flinker als seine Grösse vermuten liess. Wegen des nassen Fells, schimmerte es in Boris Augen rosa, ein weiches rosa Licht ging von ihm aus. Und eigentlich konnte Boris seine Umrisse sehr deutlich erkennen. Vielleicht würde er sich mit seiner neuen Sichtweise der Dinge doch noch anfreunden. Boris schmunzelte ob des kleinen Tierchens.

      „Das mit der Kraft funktioniert?“ hörte Boris Horaus Stimme. Den Blick zurück zu Horau antwortete Boris „Ja, ja. Geht schon. Manchmal vergesse ich es und dann geht halt was zu Bruch. Aber das geht schon. Hättest mich auch warnen können anstatt einfach ‚Pass auf beim Aufstehen’ zu sagen. So ein Blödsinn. Ich bin voll in die Leute hineingefallen. War echt peinlich.“ Horau grinste, sagte aber nichts, sein Grinsen war Antwort genug.

      Dann fiel Boris seine nächste Frage ein „Ich habe Mühe mit der Schlaflosigkeit.“ er atmete, machte eine Pause „Am ersten Tag fiel es mir gar nicht wirklich auf, es wurde die Nacht durchgefeiert. Und am nächsten Tag, fand ich es eine gute Sache, ich kann Vieles erledigen. Ich gehe nachts ins Krankenhaus um mit den Ärzten zusammen nach den Patienten zu sehen, kann einen Rundgang zu den Wachen machen und so. Dann kam die dritte, die vierte und obwohl ich weiss, dass ich nicht schlafen werde, fühle ich mich immer müder. Erschöpft. Ich weiss nicht, was ich tun soll.

      Nachdenklich verschränkte Horau seine Arme, blickte zum Flussufer, zum Himmel und meinte dann „Hmm...um deinen Körper brauchst du dir deswegen keine Sorgen zu machen. Die Steintränen füllen ihn konstant mit Kraft und Energie aus. Er braucht keine Erholung. Auch“ Horau sah Boris Kopf an, lächelte „auch dein Hirn nicht.“ sein Lächeln verschwand „Aber dein Geist, wenn man es so nennen will.“ Horau rieb seine beiden Handflächen aneinander, so als ob er kalt hätte, dann legte er sie locker auf seine Knie, sah wieder zum Fluss „Meditation“ meinte er dann. Boris runzelte die Stirn „Meditation?“ Horau nickte „Ja. Wieviel kann ich dir nicht sagen“ er zuckte mit den Achseln „Vielleicht ein oder zwei Stunden am Tag? Musst du selbst herausfinden.“ „Meditation?“ „Sag ich doch!“ „Wie soll das gehen? Ich sitze und grüble so schon stundenlang im Zeug herum?!“ Horau fing an zu lachen, schüttelte seinen Kopf, war versucht Boris erneut gegen die Stirn zu schnippen.

      „Was ist so lustig?“ wollte Boris wissen. Und Horau wurde wieder ernst, schnippte auch nicht gegen Boris Stirn, er merkte, dass es Boris wirklich ernst war „Menschen“ meinte Horau dann „Wie?“ fragte Boris „Ach Boris.“ Horaus Augen waren zwar stets verschmitzt, aber auch führsorglich, irgendwie, er blickte in Boris Augen „Der Sinn am Meditieren ist es eben NICHT zu grübeln. Lernt ihr das nicht als Kinder?“ „Was soll das denn heissen?“ „Egal.“ Horaus winkte ab „Du musst dich darin üben, die Gedanken des Tages loszulassen. Dich wirklich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Dich spüren, die Luft, die Geräusche. Nicht an was war oder was sein wird zu denken. Du musst dich sammeln. Es gibt ja auch nur das Jetzt. Alles andere ist nur in Gedanken vorhanden.“

      Kopfschüttelnd entgegnete Boris „Du hast leicht reden. Du trägst nicht diese Verantwortung einen Krieg zu verhindern oder zu führen. Dass kann ich nicht einfach WEGdenken. Wie stellst du dir das vor?“ „Du darfst das Ganze nicht so schwer nehmen. Mein Freund.“ „Nicht SO SCHWER nehmen?! Bist du verrückt?! Hast du gehört was ich eben sagte?!“ Horau runzelte seine Stirn „Also weißt du, Boris.“ „Nein, ich weiss nicht!“ antwortete Boris in sehr gereiztem Tonfall.

      So langsam wurde Boris wütend. Er war tatsächlich reizbarer als sonst. Horaus Angewohnheit von Ernsthaftigkeit zu seiner merkwürdigen saloppen Art zu wechseln nervte ihn. Und er mochte es gar nicht, wenn man so schwerwiegende Themen wie Krieg und Gewalt verharmloste. Schon gar nicht jetzt.

      „Holla! Gleich so zickig.“ wiederholte Horau, strich sich erneut übers Haar. „Ja, das hast du schon gesagt!“ trotzte Boris zurück. „Ja, ja. Ist mir bewusst. Ich wollte dich nicht kränken, weißt du.“ „Was du nicht sagst.“ Boris blieb gereizt, Horau ignorierte es und fuhr einfach fort „Ich will damit lediglich darauf hinweisen, dass das schlicht die Art der Menschen ist. Menschen wollen immer MEHR von irgendetwas.“ Horau zuckte wieder mit den Schultern, Boris sah ihn weiterhin grimmig an. „Das ist nun mal so. Ich meine... ohne diesen Drang würde heute kein Mensch auf Steinwelten leben. Wir würden uns jetzt nicht hier unterhalten. Stattdessen würdest du dich auf der Erde in irgendeiner Höhle zusammenkuscheln unter einem dicken Fell, oder so.“ Horau musste grinsen bei dem Gedanken und Boris musste ihm irgendwie Recht geben.

      „Das trifft aber nicht auf alle Menschen zu. Ich zum Beispiel strebe nicht nach MEHR.“ Horau grinste immer noch, hob seinen rechten Zeigefinger „Du darfst nicht nur an Reichtum und Macht denken. Das ist es weshalb das Terra Sonnensystem dieses Theater veranstaltet, richtig. Und du strebst nach MEHR Zeit in Frieden. Oder nicht?“

      ‚Verdammt!’ dachte Boris, Horau hatte Recht! ‚Hoa, Hoa’

      „Missverstehe mich nicht. Krieg und Gewalt sind keine schönen Dinge. Jedenfalls für die meisten.“ fuhr Horau fort „Aber sieh dich um“ Horau breitete seine Arme aus um auf die Umgebung zu deuten „Was kümmert es den Fluss? Was schert sich der Backenmarder darum?“ er sah Boris tief in die Augen „Ich sag es dir“ er kniff die Augen zusammen „Nämlich gar nicht. Also wieso du?“ Horau atmete, wendete den Blick zum Himmel und schwieg, während Boris nachdachte. Horaus Worte ergaben auf schräge Art und Weise einen Sinn. Was sollte er darauf nur antworten?

      „Du...“ fing er an „also...“ er schüttelte den Kopf „Nein, du...“ ein schwerer Ausschnaufer „Das ist...“ „Was?“ unterbrach Horau Boris Gestottere. „Menschen kannst du nicht mit Wasser oder Backenmarder vergleichen. Das macht keinen Sinn.“ „Ach nein?“ „Nein! Und überhaupt...wenn es so unwichtig ist, warum dann das Theater mit dem Stadtmeister? Dann hätte man einfach alles seinen Gang gehen lassen können, oder etwa nicht?“ „Aahhhh....“ machte Horau, rieb sich wieder die Hände, fuhr sich übers Haar und konterte zuversichtlich „Jetzt kommen wir der Sache näher.“ „Hein? Was für einer Sache?!“ Genervt hackte Boris nach „Horau, hör auf in Rätseln zu sprechen. Ich bin kein kleiner dummer Schuljunge.“

      Erneut erwartete Boris Horaus Gelächter oder zumindest ein Gegrinse. Aber es fuhr ihm kalt den Rücken hinunter als in Horau plötzlich todernst ansah. Diesen Blick hatte er noch nicht oft von Horau gesehen.

      „Boris“ meinte er in gedämpftem Tonfall „Ich scherze wirklich nicht. Aber es ist immens wichtig, dass du nicht nur verstehst, was ich dir sage, sondern es auch wirklich verinnerlichst. Weißt du was ich meine?“ Boris schüttelte den Kopf „Ja... äh... nein? Was meinst du?“ eine Pause entstand. ‚Hoa, hoa’ ein feiner Wind, rauschendes Wasser, Nachtvögel. Der Wind spielte mit Horaus Haar. Es war wunderbar still, eigentlich. Wenn nur seine Gedanken nicht so rasen würden. Boris Herz klopfte. Er war aufgeregt, verwirrt.

      „Na gut.“ Horaus Tonfall blieb ernst „Wenn du deine Sichtweise als Stadtmeister endlich einmal akzeptiert hast, wirst du schnell SEHEN“ Horaus deutete auf seine Augen „dass sich das Licht der Menschen nicht von allem anderen unterscheidet. Die Lebensenergie ist immer dieselbe. Menschen sind nicht wertvoller als alles andere. Sie sind aber auch nicht schlechter. Sie sind halt einfach wie sie sind. Ein Teil des Ganzen. Einverstanden?“

      Unsicher antwortete Boris „Naja, schon irgendwie. Ich bin halt auch einer. Darum sind mir die Menschen vermutlich etwas wichtiger als ein Backenmarder oder so.“ „Da gebe ich dir Recht: Für jede Art ist seine Eigene wichtiger als andere. Ist normal, jede Art will ihr eigenes Fortbestehen sichern. Nur bist du kein Mensch mehr, Boris.“ „Bitte?“ Horau schüttelte den Kopf „Nein, Boris. Du bist Stadtmeister. Du bist ein Hüter der Steintränen. Der Mensch ‚Boris’ ist beim Ausruf gestorben. Hatte