Manja Gautschi

Steintränen


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Janus noch etwas unschlüssig seinem Schützling zusah, wie er sich am Bett zu schaffen machte. Der riss die Decke herunter, griff das Kissen, schlug es gegen Janus, der mit beiden Händen abwehrte. „He, he! Beruhig dich. Ja?!“

      Wütend schlug Ralph mit dem Kopfkissen auf Janus ein. Solange bis es zerriss, weil es Janus festhielt, während Ralph es wegzog um erneut auszuholen.

      Umgehend liess er vom nun nutzlosen Kopfkissen ab und griff sich erneut das Stuhlbein, dass er vorhin auf die Matratze geworfen hatte. Petraks Blut klebte noch daran, er hatte unerwartet und sehr heftig auf Petraks Kopf geschlagen.

      Das Überraschungsmoment ausnutzend riss Janus das Stuhlbein sofort aus Ralphs Hand, bevor dieser sich ganz umgedreht hatte und schlug stattdessen Ralph selbst.

      Erschrocken über Janus Schlag hielt Isara den Atem an. Mit einem Auge hatte sie stets das Tun im Gästezimmer beobachtet. Janus würde Ralph umbringen! „Keine Sorge“ versuchte Petrak zu beruhigen.

      Aber noch überraschter war sie dann, als sie sah, dass es Ralph gar nicht so viel ausgemacht hatte. Er schlug Janus nun schlicht die Faust ins Gesicht und schrie „Diese verdammten Hurensöhne!!“ Ganz offensichtlich war Ralph rasend vor Wut.

      Von Ralphs Schlag einen Schritt zur Seite getorkelt, fing Janus sein Gleichgewicht und schlug nochmals zu. So heftig er konnte, bevor Ralph zu einem weiteren Schlag ausholen oder sich ein neues Utensil schnappen konnte.

      Ralphs Kopf war bereits übelst blutverschmiert und der zweite Schlag schleuderte ihn nun wenigstens aufs weiche Bett, sodass sich Janus sofort mit seinem gesamten Gewicht auf ihn stürzen konnte. Warf schnell das Stuhlbein weg und drückte mit aller Kraft gegen Ralphs Brustkorb. „Schluss jetzt! Verflucht! Beruhig dich!“ schrie ihn Janus an.

      Alle vier verharrten. Alle schwiegen. Es war plötzlich still geworden. Draussen auf dem Gang hörte man Schritte von weiteren Wachleuten, die zur Hilfe kamen. Petrak winkte bereits ab „Alles im Griff. Danke Leute.“ Achselzuckend drehten die Wachleute wieder um, einer fragte noch „Sicher?“ „Ja, ja. Danke.“ Kopfschüttelnd verschwanden sie wieder. Isara war erleichtert. Das Sicherheitspersonal der Anlage selbst war ihr unheimlich. Sie mochte diese Typen überhaupt nicht. Zum Glück hatte sie Petrak gleich weggeschickt.

      „Besser?“ fragte Janus. „Ja“ keuchte Ralph beleidigt „Du zerdrückst mir dir Rippen.“ keuchte er weiter. Er bekam unter Janus Gewicht tatsächlich kaum Luft. Janus drückte ihn fast gänzlich in die Matratze hinein.

      Unterdessen hatte Isara Petraks Gesicht vom Blut gereinigt. Das Auge war unverletzt. Aber zugeschwollen. Eine Platzwunde zog sich von der Schläfe zur Braue. Immerhin sah er mit dem anderen wieder. „Du hattest Glück, hätte es das Auge getroffen, wärst du darauf blind. Ich hol dir Eis zum Kühlen.“ meinte Isara. Petrak nickte „Danke dir.“ und dann ging er zum Bett, wo er kommentarlos Ralphs Fussfesseln am Bett ankettete. Janus tat dasselbe mit Ralphs Händen. Ralph liess es widerstandslos geschehen „Das muss nicht sein. Ich hab mich beruhigt. Alles wieder gut.“ Janus blickte böse auf Ralph „Kein Ton! Ich hol die Leine. Das war’s mein Freund. Ende der Reise.

      Damit stand Janus auf und verliess den Raum. Petrak blieb. Isara kam mit dem Eis, blieb in der Tür stehen, fragte vorsichtig „Darf ich?“ sie deutete auf Ralph, wollte auch seine blutenden Wunden versorgen. Petrak nickte. Sie betrat das Zimmer, reichte Petrak das Eis und setzte sich auf den Bettrand, betrachtete diesen ‚anderen’ Ralph, vor dem sie sich ständig ein wenig gefürchtet hatte. Er wandte seinen Blick ab, zur Wand hin. Zog an den Handfesseln „Das ist nicht nötig.“ meinte er missmutig. Er wollte das nicht. Es war ihm unangenehm.

      In den letzten Tagen war Isara öfters für Gespräche zu ihm gekommen. Sie sprachen über alles Mögliche. Über die Arbeit als Arzt, über Erlebnisse. Gemütlich. Und er hatte so eine beruhigende Wirkung, fand Isara. Sie hielt ihn auf dem Laufenden über Zylins Zustand, was nicht viel war ausser, dass die Temperatur täglich leicht anstieg. Und er berichtete ihr über seine Zusammentreffen mit Wakanern. Zum Teil witzige Anekdoten. Als er dann erwähnte, dass er wirklich gespannt war auf ein Gespräch mit Zylin, erklärte ihm Isara, dass es nicht dazu kommen werde, weil Kitel Zylin nicht aufwachen lassen würde. Er würde ihn sofort unter Ethanol setzten, sobald es möglich sei.

      Daraufhin war Ralph unvermittelt ausgerastet. Hatte erst auf den Tisch geschlagen, geschrien „Was für ein krankes Arschloch ist das denn?!“ aufgestanden „Dieser miese Vixer!“ er fing an zu toben. Nicht weil er enttäuscht war, nicht mit dem Wakaner sprechen zu können, nein, sondern weil er wirklich wütend war. Wieder einmal mehr wütend über dieses Dreckspack, das für das Terra Sonnensytem arbeitete. Dieselben Vollidioten und Kleingeister denen er schon seinen Aufenthalt im Gefängnis verdankte. „Er ist doch keine Melchmaschine verflucht!“ „Was denken die sich?!“ „Was hat er Ihnen denn getan?!“ „Das können die nicht tun!!“ „Nicht einmal Tiere behandelt man so!!“

      Während Isara überrascht gewesen war, hatte sich Janus schon lange gefragt, wann es denn passieren würde. Ralphs Intelligenz, ruhiges Benehmen und sein Anstand täuschten immer wieder darüber hinweg, dass da auch so eine Art wildes, gefährliches Tier ihn ihm steckte.

      Und nun lag Ralph gefesselt auf dem Bett. Ärgerte sich über sich selbst. Es war ihm unangenehm, bereute seinen Ausraster.

      „Tut mir leid“ hörte er Isaras Stimme in der Ferne. Er wollte sie nicht ansehen. Blickte weiterhin zur Wand. „Vorsicht“ warnte sie, bevor sie anfing das Blut auf seinem Gesicht zu reinigen, sie sass auf dem Bettrand neben Ralphs Kopf „Ich hatte dich nicht verärgern wollen.“ „Hast du nicht - autsch“ „Tschuldige. Janus hat heftig zugeschlagen. Das muss genäht werden.“ „Nein, nicht nötig.“ Isara schüttelte den Kopf. „Nicht nötig? So ein Quatsch.“ Sie betrachtete das Wundreinigungstuch in ihrer Hand. Stockte.

      „Das ist merkwürdig.“ sie runzelte die Stirn „Das ist nicht normal.“ sie dachte nach. Dann fiel es ihr ein „Wakanisch?“ sie sah Petrak an, der zuckte gleichgültig mit den Schultern. Drückte sich das Eis auf sein geschwollenes Auge. Genoss es sichtlich.

      Ralph schloss die Augen. ‚Selbst schuld’ dachte er. Damit hatte er rechnen müssen, wenn er sich so daneben benimmt hatte er keine Kontrolle mehr über die Situation, musste mit Unerwünschtem rechnen.

      Das machte Sinn, fand Isara. Das erklärte, dass Ralphs Schläge heftiger waren, als man erwartete. Und dass ihn Janus erster Schlag nicht gleich umgehauen hatte. Und...bei ihrer ersten Begegnung hatte er seinen Rücken verborgen! Nur... er war nicht grün?

      „Bist du etwa ein Wakaner?!“ fragte Isara im Flüsterton. Ralph öffnete die Augen, drehte nun langsam den Kopf, sah sie an und verneinte „Nein, bin ich nicht.“ „Hein? Aber dein Blut?“ „Halbwakaner“ „Hein? Wie ist das möglich? Ich verstehe nicht.“ „Ist eine hässliche Geschichte, die ich nicht erzählen werde.“ „Ich weiss nicht, was ich sagen soll.“ „Wenn möglich, gar nichts und niemandem. Dafür wäre ich dir dankbar. Das verstehst du bestimmt.“ Isara nickte. Sie verstand. Sie flüsterte „Wenn das Kitel wüsste?!“ theatralisch schloss Ralph erneut die Augen „Ja, ich weiss“ Isara biss sich auf die Lippen „Ich werde nichts verraten. Niemandem. Versprochen. Du weißt ich kann ein Geheimnis behalten. Aber wie kannst du das nur verstecken? Sowas fällt doch auf? Vorallem in einem Gefängnis!“ er öffnete wieder die Augen, sie sahen traurig aus „Es hat sich einfach so ergeben. Meine Eltern, Janus, Petrak und der Gefängnisarzt von ‚Sonne’, und jetzt du, sind die einzigen, die es zurzeit wissen. Und sie alle haben kein Interesse daran. ‚Sonne’ ist ein sehr verschwiegener Ort. Und da ich nicht so auffällig ‚grün’ bin, fällt es auch nie jemandem auf. Ausser ich verlier die Beherrschung, wie eben. Dumm.“

      Themawechsel „Das muss ich trotzdem nähen. Glaub mir.“