Manja Gautschi

Steintränen


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zu schlagen, sein Blut war regelrecht ausgelaufen. So gesehen, konnte man es tatsächlich so sehen. Er nickte zögerlich. „O.K.“ meinte er leise. Der Gedanke machte ihn traurig und schwermütig. Plötzlich fühlte er sich alleine.

      „Das bist du nicht.“ tröstete ihn Horau fürsorglich, er hatte Boris Gedanken gelesen. Sofort glühte ihn Boris verärgert an „Lass das! Sofort!“ ein Lächeln huschte über Horaus Gesicht, es war seine Absicht gewesen, Boris Schwermut so schnell als möglich zu verdrängen und er hatte offensichtlich Erfolg. Gedanken zu lesen war etwas, das Boris zutiefst hasste.

      Wieder ernst fuhr Horau fort „Das gesamte Universum befindet sich in einer Art ‚Gleichgewicht’. Keiner weiss bisher alles darüber. Schon gar nicht wie gross es ist, ob es Grenzen hat und wenn ‚ja’, was ist hinter der Grenze?“ Horau schüttelte den Kopf „Viele ungeklärte Fragen.“ er hielt den linken Zeigefinger hoch „Aber es ist die Lebensenergie, die die Grundlage von allem bildet. Ohne diese Energie gäbe es nichts. Nichts würde zusammenhalten, sich verbinden oder leben.“ „Irgendwie kommt mir das Bekannt vor“ Boris erinnerte sich an Zylins Worte in Maras Zimmer.

      „Gut!“ Horau war erfreut über Boris Vorkenntnisse „Ohne dieses ‚Gleichgewicht’ oder eine gewisse ‚Ausgewogenheit’ der Lebensenergie entstünde Chaos.“ „Chaos? Wie muss ich mir das vorstellen?“ Horau suchte nach Beispielen, fuhr sich übers Haar, wickelte sich seinen Pferdeschwanz um den Finger „Die Entstehung eines neuen Universums kannst du als grösstes mögliches Chaos nehmen. Sterne explodieren oder Unwetter oder Erdbeben. Solche Dinge.“ Boris nickte, versuchte zu ‚glauben’, zu verstehen, was das mit ihm zu tun hatte.

      „Weißt du“ sagte Horau „alles ist Teil dieses Gleichgewichtes. Als Stadtmeister “ Horau ballte die Faust „hast du einfach die grössere Macht dafür zu sorgen, dass es so bleibt. Bleibt es hier im rupianischen Tal nicht ausgeglichen, wird es für alle unbewohnbar.“ wieder hob Horau die Schultern „vielleicht breiten sich die Eiswinde so weit aus, dass man nicht mehr hier leben kann. Egal was du tust, du wurdest als Stadtmeister akzeptiert. Sinn und Zweck des Stadtmeisters ist es, den bestehenden Lebensraum zu erhalten, ganz gleich, was das bedeutet. Es muss nicht zwingend heissen, dass das Terra Sonnensystem verliert. Vielleicht entsteht ein gemeinsamer Weg?“

      „Warum wurden dann nur die Menschen gefragt, ob ich Stadtmeister werde oder nicht?“ „Wer sagt, dass nur die Menschen gefragt wurden?“ erstaunt bemerkte Boris seinen Gedankenfehler. „Stimmt. Das weiss ich nicht. Ich bin einfach davon ausgegangen.“

      So langsam begriff Boris. Hier ging es tatsächlich um mehr als nur um das Terra Sonnensystem. Um mehr als um die Steintränen. Wenn das, was Horau sagte, wahr war. Oder? „Was ist mit den Steintränen? Welche Rolle spielen sie? Und wenn das die Aufgabe des Stadtmeisters ist, weshalb ist er nicht ständig im Amt?“ Horau zog den linken Mundwinkel hoch zu einem halben Grinsen. „Wer sagt, dass der Stadtmeister nicht ständig im Amt sein kann? Ihr hättet ihn schon lange ausrufen können. Bis zur Krise zu warten machte es lediglich für die Menschen einfacher, sich zu entscheiden. Mehr nicht. Nenn es praktischer?“ erneutes Schulterzucken von Horau „dann hättet ihr die Steintränen schon lange vom grossen Stein ernten können. Die Steinberge sind nur so eine Art ‚Zwischenlager’ der Energie, solange sie nicht im Stadtmeister gebündelt ist.“ „Bitte?“ „Du hast schon verstanden. Tu nicht so überrascht.“

      Überrumpelt von Horaus ungewohnt barschen Tonfall schwieg Boris erstmal.

      „Die Steintränen sind kondensierte Lebensenergie. Darum verbrennt es die menschliche Haut, wenn sie nicht verdünnt werden.“ Horau wirbelte mit den Händen „Um zurück zu deiner Frage zu kommen ‚Warum das Theater mit dem Stadtmeister’ und warum alles gleichwertig ist.“ Horau fing an mit den Fingern zu zählen „Erstens: Den Stadtmeister gibt es einfach. Warum gibt es gerade Bäume in der Form? Oder Pferde? Es ist einfach so. Es muss ihn nicht geben. Hätte ich keinen Nachfolger gewählt, gäbe es keinen. Jetzt gibt es einen. Eine Laune der uns allgegenwärtig umgebenden Lebensenergie.“ eine Pause, der zweite Finger „Zweitens: Ist alles etwas viel auf einmal, ich weiss. Wichtig ist: Du bist kein Mensch mehr. Du bist quasi das neue Überlaufbecken der Lebensenergie des rupianischen Tales. Du hast diese Macht erhalten, weil die Mehrheit von allem, und ich meine damit ALLEM, dir vertraut, dass du das Richtige damit tun wirst. Und weil es ALLE waren, sind alle gleichwertig. Das Terra Sonnensystem will hier aufmischen.“ Schulterzucken „Fein. Das betrifft in erster Linie die Menschen. Deinem Pferd Mix oder den Backenmarder, den Fischen, den Bäumen ist es egal, ob das Terra Sonnensystem über die Menschen regiert oder nicht. Sie interessiert nur, dass sie hier weiter so existieren können. Und dafür braucht es das Gleichgewicht. Und um DIESES solltest du bemüht sein. Verstanden?

      „Ganz ehrlich?“ stellte Boris die rhetorische Gegenfrage „Ich bin mir nicht sicher.“

      „Das dachte ich mir.“ entgegnete Horau ein klein wenig entmutigt. Er legte Boris seine Hand auf die Schulter „Hab Vertrauen, mein Freund. Es kommt immer alles so, wie es kommen soll. Also gönn dir ein oder zwei Stunden am Tag eine Auszeit und vergiss einfach nicht, dass die Menschen nicht die einzigen sind, um die es hier geht. Und“ Horaus holte zum abschliessenden Finale aus, denn er hatte genug für heute „Und schliesslich ist es deine Entscheidung. Niemand kann dir was! Du kannst tun und lassen, was du willst. Es ist absolut egal. Es bleibt alles im Fluss, so oder so. Immer. Keine Angst, schlimmsten Falls wird NUR das rupianische Tal unbewohnbar. Um alles andere, kümmern sich andere. Ich sagte ja, du bist nicht alleine.

      „Na toll! Soll mich das etwa beruhigen?! Wer sind diese ANDEREN?! Och Horau!“ Horau zwinkerte mit dem linken Auge „Probier’s einfach aus. Du wirst noch Vieles erfahren und eines schönen Tages, wird dich ein guter Freund von mir besuchen kommen. Hab Vertrauen! Du machst das schon.“ damit verschwand Horau. Einfach weg.

      Verzweifelt sass Boris alleine am Flussufer. Den Kopf voll mit Horaus Worten und Ausführungen. Was sollte er nur damit anfangen. Vieles war wirr, auf jeden Fall neu, machte Sinn, ergab keinen, fühlte sich richtig an, dann wieder nicht. Er hatte ihn noch fragen wollen.... Ach, war jetzt auch egal.

      Das einzige Gute dieses Gespräches war, fand Boris, dass er in der letzten Stunde tatsächlich für einmal nicht nur an den bevorstehenden Krieg gedacht hatte.

      ‚Quiiiiick’ „Wow!“ rutsche Boris heraus, er hatte neben sich ins Gras gelangt und dass Flussviech zu fassen bekommen. Boris hatte nicht bemerkt, dass es sich unterdessen an seine Seite gekuschelt hatte und eingeschlafen war. Nun quickte es, rannte einmal im Kreis und kuschelte sich wieder an dieselbe Stelle! Verharrte und schlief wohl wieder ein. „Entschuldige“ flüsterte ihm Boris zu. Er lächelte. Das kleine Tier strahlte eine Geborgenheit sondergleichen aus. Fühlte sich offensichtlich sehr wohl und sicher an Boris Seite. Boris traute sich nun nicht mehr zu bewegen. Atmete ganz sachte, wollte das Viech nicht aufwecken.

      Langsam liess er seinen Oberkörper wieder ins Gras sinken. Sehr darauf bedacht natürlich, dabei das Flussviech nicht zu stören. Es fühlte sich gut an. ‚So ein kleines Ding!’ dachte Boris ‚Eigentlich lächerlich.’ und dann fielen ihm Horaus Worte ein, von wegen, das alles gleich viel Wert habe. Dann also auch dieses Flussviechchen. Und damit war es überhaupt nicht mehr lächerlich! Fand Boris und der Gedanke fing ihm an zu gefallen.

      ‚Na dann auf ins neue Land!’

      10 - Ende der Reise - Ralph & Janus

      Der Stuhl lag bereits in seinen Einzelteilen auf dem Boden als Janus ins Zimmer kam. „Warte besser draussen.“ wies er Isara an, während er sie sanft aber gezielt aus dem Zimmer schob. „Es tut mir schrecklich leid.“ seufzte Isara währenddessen „Ist nicht deine Schuld. Keine Sorge.“ beruhigte sie Janus.

      Petrak kauerte am Boden und hielt sich seine heftig blutende Kopfwunde. Ralph hatte sein rechtes Auge erwischt, Petrak konnte nichts mehr damit sehen, es war voller