Manja Gautschi

Steintränen


Скачать книгу

Macto, einer der Schlüsselträger, in Rupes vertreten. Macto vom Gross war der bekannteste Metzger von Rupes. Er führte seine Metzgerei in der 5. Generation. So ziemlich alle kannten und respektierten ihn oder hatten vor seiner Wucht und Grösse schlicht Angst. Er würde Boris gut vertreten können. Tat es aber nur während Boris Abwesenheit, denn ansonsten arbeitete er weiter in seiner Metzgerei, da sei sein Platz. Er sei kein Politiker, hatte er gemeint, aber um für Ruhe und Ordnung in diesem ‚Sauladen’ zu sorgen, würde er sich zur Verfügung stellen. Hatte er lachend ergänzt, als er Boris seine Zusage für die Vertretung gegeben hatte.

      Jürg Hüldrim, Zunftrat der Steintränensammler und ein weiterer Schlüsselträger war davon nicht begeistert. Er hätte es vorgezogen, jemanden mit mehr diplomatischem Feingefühl dafür einzusetzen. Jürg war an und für sich ein erfahrener Mann. Leitete er doch schon seit Jahren die Zunft der Steintränensammler. War allerdings oft nicht gleicher Meinung wie Boris. Hegte stets eine gewisse Ablehnung gegen ihn, denn Jürg war einer der wirklich eingefleischten Rupianer, die sich nur sehr schwer mit ‚Fremden’ einliessen.

      Boris erinnerte sich noch an die heftige Ausseinandersetzung, als es um Maras Zulassung als Steintränensammlerin ging. Eine Fremde! Dazu eine Waise! Und dann noch eine Frau! Auf keinen Fall! Hiess es erst. Jürg willigte schlussendlich nur widerwillig ein, als Boris gemeint hatte, dass es Jürg eigentlich nur Recht sein könne, wenn Mara tatsächlich so ungeschickt sei. So würde ‚mir nichts, dir nichts’ eine ‚Fremde’ schnell den Tod finden. Sei Maras Problem.

      Und, das musste Boris zugeben, die meisten Tränensammler hatten Mara und ihn zu dem Zeitpunkt bereits gekannt, gemocht und sich überzeugend für Mara ausgesprochen.

      Trotzdem: Jürg war ein alter rupianischer Sturkopf!

      Da sich Jürgs Büro ohnehin im Verwaltungsgebäude befand, war es naheliegend, dass ihn Boris nun gerne schnell und unkompliziert zu Rate zog. Schliesslich war Jürg ein sehr angesehener Zunftrat und Boris schätzte andere Meinungen immer, gab ihm andere Sichtweisen, an die er selbst vielleicht nicht gedacht hätte.

      Jürg selbst hatte die Vertretung abgelehnt, er habe genug um die Ohren mit der Organisation der Sammler. Er organisierte und überwachte das Sammeln der Tränen vom Grossen Tränenstein, vermittelte Arbeitsstellen, kümmerte sich um die Tränenverteilung und Abgeltungen.

      Seine erste Besuchsreise trat Boris in drei Tagen an. Die Reiseroute verlief entlang des grünen Flusses bis nach Colonia, der Meerstadt, wo der Fluss ins Meer mündet. Obwohl es flussabwärts mit dem Schiff schneller gehen würde, hatte man beschlossen, zu Pferde zu reisen. Man könne so schneller auf Unerwartetes reagieren, z.B. falls es nötig wäre, einen anderen Weg einschlagen. Und man wich so einem möglichen Angriff vom rotsander Ufer aus, denn dort funktionierte die Elektrizität noch.

      „Mir ist nicht wohl dabei“ murrte Joret. Barra, Joret, Esmar, Sora, Macto, Jürg und Boris sassen im grossen Sitzungssaal im 1. Stock des Verwaltungsgebäudes bei einer Tasse Tee. Danach würden Barra und Joret zurück nach Rotsand reisen. „Kannst mir glauben, mir auch nicht“ meinte Boris und nahm einen Schluck. „Du solltest hierbleiben. Zumindest vorerst, bis wir wissen, was das Terra Sonnensystem vor hat.“ Boris sah Joret an „Du meinst die Reise?“ „Natürlich, was dachtest du denn.“ „Diese Ungewissheit. Nicht zu wissen was gehen wird. Die Reise ist da nicht das Problem.“ „Wir werden genügend Wachen mitschicken, Joret. Boris wird nichts geschehen.“ ergänzte Sora, die ihre Tasse in beiden Händen hielt.

      „Wenn du schon nicht hierbleibst, wäre mir wohler, ich könnte euch wenigstens ein paar Leute von uns mitgeben. Du vergisst deine Entführung. Ein Anschlag auf den Stadtmeister wäre das Letzte, was wir jetzt gebrauchen könnten. Da stimmst du mir bestimmt zu, Barra, oder?“ er sah seine Kollegin an. „Ich stimme dir absolut zu, Joret. Aber wir benötigen unsere Leute in Rotsand selbst, falls ein Angriff auf Rotsand erfolgen sollte. Es ist ein Problem, dass wir keine Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren, weil ganz Rupien ohne Elektrizität auskommen muss. Das stationäre Funkgerät ist einfach zu wenig. Könntet ihr nicht auf der rotsander Seite des Flusses reisen?“ fragte Barra. Boris schüttelte den Kopf „Nein, Barra. Wie sähe das denn aus? Und wie gesagt, die Reise ist kein Problem. Ihr vergesst, mir als Stadtmeister kann nicht viel zustossen. Geplante Entführungen oder Anschläge sind nicht möglich, weil ich die Soldaten schon Tage vorher bemerken werde. Ausser es sind eigene Leute, natürlich. Halte ich aber für unwahrscheinlich.“

      Barra und Joret nickten. „Nebenbei, das mit deiner Entführung: Schon einmal daran gedacht, dass es wegen deines Amtes als Stadtmeisters gewesen sein könnte?“ warf Joret ein. „Einer der Schlüsselträger kümmert sich bereits darum. Ihr versteht, wenn wir euch nicht sagen können, wer. Oder besser, noch nicht.“ erklärte Sora. Joret gab sich zufrieden, positiv überrascht darüber, dass das Thema bereits angegangen wurde.

      „Eine Frage“ fing Barra an und sah dabei Esmar an „Wenn du tödlich verletzt wirst, Boris. Was geschieht dann? Ich habe das nicht ganz begriffen.“ Esmar antwortete anstelle von Boris, den die Frage sichtlich betroffen machte „Dann stirbt dafür einer von uns Schlüsselträgern an seiner statt. Und zwar immer derjenige, mit der aktuell schwächsten Verbindung zum Stadtmeister. Angefangen mit demjenigen, der distanzmässig am weitesten weg ist von ihm und danach derjenige, der am wenigsten Zeit mit ihm verbracht hat. So wird gewährleistet, dass die Schlüsselträger um ihn herum so lange als möglich zu seinem Schutz beitragen können. Physisch, meine ich.“ Barra nickte „Oh, ich verstehe. Ich kann mir vorstellen, dass das eine schwere Last für dich ist, Boris. Dieses Wissen. Ist ja fürchterlich.“

      Boris sagte nichts. Zu sich selbst allerdings meinte er ‚Wenn du wüsstest, wie recht du hast, Barra.’ er trank einen weiteren Schluck Tee.

      „Also gut, dann findet diese Reiserei halt statt. Unsere Wachen bleiben in den Städten postiert um für einen etwaigen Angriff bereit zu sein. Ich gebe dir dafür Aron mit. Er ist zwar keine Rotsandwache mehr, leider. Trotzdem ist er einer meiner fähigsten Leute und kann schnell reagieren, egal was passiert. Dann wäre mir wohler, ein wenig zumindest.“ Joret sah Barra an „Sofern du damit einverstanden bist.“ Barra nickte „In Ordnung. Eine gute Idee.“

      „Was ist mit Mara? Soviel ich sie kenne, mit ihrer Kampfausbildung und ihrem Scharfsinn, wäre sie bestimmt ein wertvolles Mitglied deiner Schutzwachen?“ brachte Joret seine Gedanken ein. Boris schüttelte heftig den Kopf „Nein, auf keinen Fall. Ich will sie aus dieser Sache raushalten. Sie soll sich um die Apotheke kümmern.“ „Das kann ich verstehen, aber das wirst du nicht können. Zumal es ihre eigene Entscheidung sein wird, früher oder später.“ redete Barra mit „Und dumm ist es auch“ ärgerte sich Joret „Sie ist klug und stark. Ich weiss das doch noch von ihrer Ausbildungszeit in Rotsand. Koron hat“ er sah Esmar an „hat ganze Arbeit geleistet. Sie kann nicht nur kämpfen, nein, sie hat Kampfgeschick und Cleverness. Ich hatte sie damals für die Rotsandwachen rekrutieren wollen. So jemanden nicht einzusetzen ist dumm und fahrlässig.“ „Dieses Thema steht nicht zur Diskussion. Und basta!“ beendete Boris barsch das Gespräch.

      Für einen Moment schwiegen alle. Sora schenkte Tee nach. Boris schloss für einen Moment seine Augen um zu entspannen. Wenn die nur wüssten, wie laut sich alles anhörte. Und die Umgebungsgeräusche erst. Das rege Treiben auf dem Marktplatz, in den Gängen, er bekam alles mit. Jede verdammte Fliege!

      „Habt ihr überhaupt genügend Leute um Rupes und seine Vororte zu beschützen falls das Terra Sonnensystem von Seiten Steinbergen angreifen sollte? Ich meine, sie können zwar ihre gebräuchlichen Waffen nicht einsetzen. Aber herkömmliche Schiesspulver-Schusswaffen und dergleichen funktionieren immer noch sehr wohl. Und zahlenmässig dürften sie bald überlegen sein.“ sorgte sich Barra. „Natürlich fehlen Koron und unsere Leute. Aber wir konnten viele neue Wachen rekrutieren. Überraschend viele mit Kampferfahrungen. Von anderen Wachcorps und so.“ Esmar hob die Schultern „Ein Heer ist es freilich nicht