Conny Schwarz

BEZIEHUNGSWEISE TÖDLICH


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ließ es sein, als sie sah, dass sich Volker bereits seine Jeans hochzog und kontrollierte, ob sich der Autoschlüssel in der Hosentasche befand.

      „Fehlt sonst noch was?“, fragte er wütend, bevor er zum Parkplatz trabte.

      Ines sah ihrem Mann kopfschüttelnd hinterher. Die Tankstelle war nun wirklich nicht weit entfernt, sondern im nächsten Ort oder im übernächsten. Es gab also keinen Grund für Volker, ein solches Gesicht zu machen, als müsse er für die Sonnencreme zu Fuß zurück bis nach Hause laufen.

      Eine halbe Stunde später nur war endlich alles so, wie es an einem sonnigen Samstag mitten im Juni sein sollte. Zufrieden gab Ines ihrer Tochter einen Klaps auf den Po und schickte sie runter ans Wasser zu ihrem Sohn, der bereits eingecremt war. Dann legte sie sich auf die Decke und räkelte sich in der Sonne, dicht neben Volker, der leise seufzte.

      Die ganze lange Woche hatte er sich auf diesen Tag gefreut, darauf, ihn gemeinsam mit der Familie am See zu verbringen, in heimlicher Vorfreude auf den Abend, an dem er bei einem kühlen Bier Sportschau gucken würde. Das hatte er sich mehr als verdient nach dieser harten Woche, in der das Wartezimmer seiner Praxis jeden Tag so überfüllt war wie ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa, auch ähnlich aufgeheizt vermutlich, durch diese glühende Sommerhitze, so dass die Stimmung chronisch gereizt war. Hinzu kam, dass seine neue Sprechstundenhilfe ihrer Berufsbezeichnung überhaupt nicht gerecht wurde, sondern sich als Katastrophe entpuppte, so unfähig und unfreundlich, wie sie war. Gerade wollte er Ines erzählen, wie sich die Neue mit Herrn Schuster angelegt hatte, einem langjährigen Patienten und noch dazu privat versichert, der ganz bestimmt nie wieder seine schmerzenden Plattfüße in seine Praxis setzen würde, als eine komische Frage zu ihm herüberwehte.

      „Was meinst du, passen wir beide eigentlich zusammen?“

      Überrascht wandte Volker den Kopf seiner Frau zu, die mit geschlossenen Augen entspannt neben ihm lag und sich blöde Fragen ausdachte. Und das just in dem Moment, als er, was wirklich selten vorkam, mal eine Anekdote aus seinem anstrengenden Berufsalltag zum Besten geben wollte. Ein klares Nein wäre die gerechte Antwort darauf gewesen. Volker aber schluckte diese vier Buchstaben, die ihm bereits auf der Zungenspitze lagen, tapfer wieder hinunter.

      „Wie Mann und Frau eben zusammenpassen“, antwortete er stattdessen diplomatisch und mit einem anzüglichen Grinsen, das Ines deutlich aus seinen Worten heraushörte. Als er dann auch noch begann, unbeholfen, aber eindeutig an ihrem Bikini-Oberteil herumzufummeln, stieß Ines empört seine Hand weg.

      Schmollend wandte sich Volker von seiner Frau ab. Um sich diesen Tag nicht komplett versauen zu lassen, dachte er lieber wieder an Sportschau und Bier, konkret an Bayern, Dortmund und ein kühles Jever.

      Den Blick auf die gemeinsamen Kinder gerichtet, lagen Volker und Ines nun schweigend nebeneinander, jeder den eigenen Gedanken nachhängend. Während Volker es prima gelang, sich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Fernsehabend zu konzentrieren, zogen Ines‘ Gedanken mit den kleinen weißen Wolken, die über den blauen Himmel segelten, hinaus in die weite Ferne. Das Blau wurde strahlender, der See größer, der Strand heller und weiter, und auf den Wellen des Meeres, in das sich der See inzwischen verwandelt hatte, tummelten sich sogar Delfine.

      „Look at this!“, forderte sie den muskulösen Schwarzen auf, der neben ihr im Sand saß, vermutlich irgendwo am Strand von Kapstadt, und zeigte aufgeregt auf die springenden Delfine. Der Afrikaner aber weigerte sich stur, den Blick von ihr abzuwenden, und bevor seine Augen sie endgültig verschlangen, nahm sie noch einen Schluck von dem kühlen Cocktail, den sie zufällig in der Hand hielt. Von der Strandbar her wehte leise Musik herüber, „King of the Bongo“, ausgerechnet.

      Das war der Klingelton ihres Handys.

      Während Ines hochschreckte, um in ihrer Handtasche hektisch nach dem Telefon zu kramen, schrumpfte der herrliche blaue Ozean wieder zu einem grünen Tümpel zusammen. Hannes, der ihren erfolglosen Anruf auf seinem Telefon entdeckt hatte, wollte wissen, was los war. Ja, was eigentlich? Noch ganz benommen von ihrer erotischen Fantasie am Strand von Kapstadt, fiel Ines sofort der Name des Cocktails ein, auf den sich Tanja mit Hannes verabredet hatte: Sex on the Beach! Das war das Stichwort.

      Ja, gab Hannes zu, sie waren zusammen trinken gewesen, in einer Kneipe und dann noch in einer Bar. Und danach, und das wusste Hannes so sicher wie die Tatsache, dass er allein der coolste Vogel in seinem Kiez war, hatte Tanja ihm versprechen müssen, zu sich nach Hause zu fahren. Unbedingt. Und nicht etwa zu Richie.

      „Bescheuert gelacht hat sie darüber. Mehr weiß ich auch nicht.“

      Nachdenklich versenkte Ines das Handy in der Tasche, legte sich wieder neben Volker und schloss die Augen.

      „Angeblich ist er Boxer.“

      Es war eine Spezialität von Ines, Sätze zu formulieren, die einen nur halb und damit gar nicht informierten.

      „Wer denn bitte?“

      „Na Richie.“

      „Na und?“

      Volker verstand noch immer nicht und es interessierte ihn auch nicht. Neben ihrem Talent, mit kryptischen Botschaften um sich zu werfen, hatte Ines außerdem die Begabung, sich intensiv in das Leben anderer Menschen einzumischen. Als Psychologin oder Sozialarbeiterin könnte sie mit dieser Schrulle wenigstens gutes Geld verdienen, so aber verdarb sie ihm bloß seine kostbare Freizeit mit den Problemen anderer Leute.

      „Offenbar hat Tanja weder bei sich noch bei Hannes übernachtet. Das ist doch seltsam.“

      „Und was hat das damit zu tun, dass Richie Boxer ist?“

      „Na wegen der Stühle von ihrer Schwester…“

      „Jetzt reicht’s!“

      Wütend sprang Volker auf und rief so laut, dass sich reflexhaft sämtliche Köpfe am inzwischen gut gefüllten Strand nach ihm umdrehten: „Ich hab Hunger und hol’ jetzt was zu essen!“

      Angewidert schüttelte Ines den Kopf. Das war wieder typisch Volker, sie völlig grundlos vor allen Leuten anzublaffen. Außerdem gab er sich nicht die geringste Mühe zu verstehen, warum sie sich Sorgen machte. Sorgen machen musste! Er hingegen tat gerade so, als hätte sie irgendein ein perverses Vergnügen daran.

      Während sich Volker mit wutstampfenden Schritten entfernte, so dass er von Ferne wie ein Rumpelstilzchen aussah, kramte Ines ihr Handy wieder hervor. Sie versuchte es abermals bei Tanja. Dann bei Richie. Es war halb zwölf am Wochenende, die optimale Zeit also, um einen Typen wie Richie zu erreichen. Eigentlich. Doch niemand ging ans Telefon. Als Ines ihr Handy beiseitelegte, begann sie zu frösteln. Obwohl sie direkt in der warmen Sonne saß, überzogen sich ihre Arme und Beine komplett mit Gänsehaut, wenn sie an ihre leichtsinnige Freundin dachte.

      Sie musste handeln. Das Adressbuch fiel ihr ein. Ines stülpte ihre Handtasche einfach um, so dass ihr das kleine Buch direkt in den Schoß fiel. Auch die gesuchte Nummer fand sie auf Anhieb. Dann aber zögerte sie. Vielleicht war Tanja ja gerade bei ihrer Mutter? Für wie bekloppt würde sie sie dann halten? Und falls Tanja nicht dort war, wäre das auch nicht viel besser, denn wie sollte sie die arme Frau nach dem Verbleib ihrer Tochter fragen, ohne sie zu beunruhigen? Ines brauchte nicht lange zu überlegen. Für Tanjas Mutter würde sie einfach eine dramatische Ehekrise erfinden – dafür brauchte sie im Moment wirklich nicht viel Fantasie – in der sie so dringend den Beistand ihrer Freundin benötigte, dass sie überall verzweifelt nach ihr suchte. Sogar bei ihrer Mutter.

      Mit flinken Fingern hackte Ines die Nummer in ihr Handy. Und hatte Glück. Tanjas Mutter hob sofort ab, als hätte sie auf ihren Anruf gewartet. Und tatsächlich wartete sie sehnlichst auf einen Anruf, und zwar auf den von Tanja, die sich seit drei Wochen nicht mehr bei ihr gemeldet hatte.

      Als Volker mit der Proviantkiste zurückkehrte und seine Frau wieder telefonieren sah, verdüsterte sich sein Gesicht wie ein Gewitterhimmel. Ines aber bemerkte ihren Mann gar nicht, so gebannt lauschte sie, wie Tanjas Mutter von dem schlimmen Streit mit ihrer Tochter berichtete. Natürlich wegen Richie. Die Mutter hatte am Arm ihrer Tochter blaue Flecken entdeckt und daraufhin Vermutungen angestellt, die Tanja nicht hatte hören wollen. Seitdem