Conny Schwarz

BEZIEHUNGSWEISE TÖDLICH


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allein ist, wegen der Einbrecher. Noch größere Sorgen macht sie sich allerdings wegen der Triebtäter, von denen es dort draußen nur so zu wimmeln scheint. Jammernd fordert mich die Tante auf, wenigstens an das arme Kind zu denken und malt mir aus, wie furchtbar es wäre, wenn mir etwas zustoßen würde, wo es doch nicht mal einen Vater hat. Ihr Mitleid mit mir hingegen scheint sich in Grenzen zu halten. Ein Grund mehr, ihr freundlich, aber nachdrücklich zu erklären, dass ich tagsüber nun mal keine Zeit zum Joggen habe. Fast zeigt sich die Tante einsichtig, bis ihr einfällt, das Joggen an sich völlig überflüssig zu finden.

      „Du rennst doch schon den ganzen Tag herum. Wieso willst du das abends auch noch machen? Du musst doch kaputt sein.“

      „Das ist doch was anderes“, behaupte ich, und dank meiner Vorfreude auf das Wiedersehen mit Bernd bringe ich sogar die Geduld auf, der Tante die Vorzüge des Joggens bis in biochemische Details hinein zu erklären, so dass sie endlich verstummt und mich lieber gehen lässt.

      Beschwingt verlasse ich das Haus und sprinte vor bis zum Zaun. Als ich die Gartentür hinter mir ins Schloss fallen höre, atme ich auf. Endlich allein, genieße ich jeden einzelnen Schritt, den ich die Straße entlanggehe, unterwegs in die Dämmerung und in ein Abenteuer, so absurd banal, dass meine beachtliche Vorfreude darauf umso lächerlicher erscheint. Aber ich genieße dieses alberne Kribbeln im Bauch trotzdem, und mit jedem Schritt, mit dem ich mich Bernds Haus nähere, fühle ich mich ein gutes Jahr jünger. Als ich endlich in den Rosensteg einbiege, scheinen die letzten zwanzig Jahre meines Lebens von mir abgefallen wie eine Last, deren ungeheures Gewicht mir erst in diesem Moment bewusst wird.

      Dieser Rosensteg war schon oft mein Fluchtweg. Unzählige Male benutzt, wenn ich von meinen Eltern während der Ferien in dieses Kaff abgeschoben wurde und vor Langeweile fast wahnsinnig wurde. Ähnlich irre wie jetzt vor lauter Geschäftigkeit: Geschirrspüler ausräumen, Blumen pflanzen, einkaufen gehen, sauber machen, Wasser in die Plansche füllen, Essen kochen, Kaffee trinken, Garten gießen, dem Kind was vorlesen, in den Keller rennen… So geht das den ganzen Tag. Eingeklemmt zwischen zwei hilfsbedürftigen Generationen komme ich weder zum Lesen, noch dazu, mir die Beine zu rasieren. Und abends baumel ich in den Seilen wie dieses blöde Faultier an seinem Ast.

      Vor nunmehr zwanzig Jahren, auf meiner Flucht vor tödlicher Langeweile, war Bernd schon einmal mein Retter gewesen. Auf seinem roten Moped düsten wir übers öde Land, außerdem versorgte er mich mit Cola, Musik und Zigaretten. Dafür bekam er hin und wieder, je nach Laune, einen gelangweilten Kuss von mir. Mehr nicht. Der Junge hatte nämlich Pickel. Vor allem aber hatte er mich viel zu offensichtlich gern.

      Viel zu schnell stehe ich vor dem Nachbargrundstück von Bernds Eltern. Ein vermutlich strahlendweißes Haus erhebt sich inmitten eines auf wild getrimmten Gartens mit kleinen Bäumen, Sträuchern und Blumen, durch den sich ein sauber gepflasterter Weg zur Haustür schlängelt. Während ich die Gartentür öffne und die Steine betrete, sucht mich plötzlich ein Gewitter aus tausend Zweifeln heim und verwandelt mich in einen Alien, so fremd fühl’ ich mich plötzlich in dieser Welt. Doch als hätte ich irgendeine komische Mission zu erfüllen, laufe ich wie ferngesteuert den kleinen Weg entlang und drücke entschlossen den braunen Klingelknopf.

      Ich komme unangekündigt. Na und? Es ist doch erst halb zehn!

      Bernd öffnet die Tür und guckt noch dämlicher als befürchtet. Als hätte ich keine Augen im Kopf, die das sehen können, frage ich möglichst ungezwungen: „Wie wär’s mit einem Bierchen im Monopoly?“

      Halb zehn klingelt hier niemand unangemeldet an der Haustür. Also steht Bernds Frau hinter ihm und lugt ihm neugierig über die Schulter. Um es mir mit der bloß nicht zu verscherzen, stelle ich mich unbeholfen als „Bernds alte Bekannte“ vor, was unglaublich bescheuert klingt, aber immerhin unverfänglicher als „Bernds erste große Liebe“.

      Und siehe da, nur wenige Minuten später sitzen wir zu dritt in hellen Korbsesseln auf der geräumigen Terrasse, halten uns an riesigen Rotweinkelchen fest, in denen lediglich eine kleine rote Pfütze den Boden bedeckt, und Bernd erzählt begeistert von seinem neuen Hobby, dem Surfen. Er trainiert auf dem nahegelegenen Baggersee und ist schon so fortgeschritten, dass er im nächsten Spanienurlaub „den Atlantik rocken“ will. Seiner Frau geht es genauso, und schon bald fachsimpeln die beiden lebhaft miteinander herum und ich tue so, als würde ich das Surfen ebenfalls aufregend finden, reiße die Augen auf und grinse oder nicke ab und zu, je nachdem.

      Verwundert beobachte ich Bernd, bei dem sich die Vorzeichen umgekehrt haben. Aus dem Minus-Mann, der früher unverhältnismäßig viele Zigaretten gegen wenige, lieblose Küsse eintauschte, ist erstaunlicherweise ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Wie ich von der Tante erfahren habe, hat er sich und seiner Familie mit einem florierenden Getränkemarkt eine solide Existenz geschaffen.

      Ein wenig neidisch beobachte ich auch seine Frau, deren Namen ich zu Recht vergessen habe. Hübsch und freundlich ist sie, doch derart oberflächlich, dass sie in mir niemals eine Bedrohung erkennen würde. So eine Defizit-Lady wie mich, die streng provisorisch lebt, mit zum Scheitern verdammten Beziehungen, ständig wechselnden Jobs und chronisch ausgereiztem Dispo, würde die nie als Konkurrenz empfinden. Das gibt mir den Rest. Verunsichert mich völlig. Degradiert mich zu einem bedürftigen Nichts, zu einem bloßen Schatten meiner glamourösen Vergangenheit.

      Die ganze Zeit höre ich also den beiden Möchtegernsurfern zu, dabei sollte ich auch mal was sagen. Doch Bernd und seine selbstzufriedene Trulla – oder hieß sie Anja? – wollen einfach nichts von mir wissen. Außer, ob ich ebenfalls Sport treibe. Obwohl ich durchaus gelegentlich jogge oder Yoga probiere, verneine ich das heftig, weil Sport nun mal nicht zu meinem Image passt. Außerdem finde ich dieses Thema ungefähr so spannend wie eine Vorabendserie von ARD oder ZDF. Auf keinen Fall bin ich hier, um mich über sportliche Aktivitäten auszutauschen.

      Warum aber bin ich überhaupt hier? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden und den Mut, endlich auch mal den Mund aufzumachen, schenke ich mir zuweilen selbst Wein nach, während Bernds Frau immer öfter gähnt. Bald ist die Flasche leer, obwohl die Gastgeber noch immer an ihrem ersten Glas herumnippen.

      „Habt ihr vielleicht noch Wein da?“, frage ich vorsichtig, obwohl ich sicher bin, dass die noch welchen dahaben. Trotzdem scheint meine Frage die beiden zu irritieren. Statt die Wahrheit zu sagen, „Aber natürlich, unten im Keller!“, werfen sie einander Blicke zu, die ich lieber nicht interpretieren will. Dann spuckt Bernd mir mitten ins Gesicht: „Du, wir müssen morgen früh raus.“

      Und gleich noch mal: „Du findest doch allein hinaus, oder?“

      „Natürlich“, entgegne ich trotzig, stehe auf und stolpere, ohne mich umzudrehen, durch ein spärlich eingerichtetes Wohnzimmer und den Flur, zur Wohnungstür hinaus. Als ich wieder auf dem nunmehr stockdunklen Rosensteg stehe, erinnere ich mich bitter daran, wie scheiße ich Ferien auf dem Lande eigentlich finde. Und zwar immer schon. Und das zu Recht.

      Auch am nächsten Tag mache ich wieder alles falsch. Das Fenster in der Küche war über Nacht nicht korrekt verschlossen, das Kind guckt zu viel fern, das Kassler ist zu trocken, weil daran gute Butter fehlt. Und die Spargelschalen hab’ ich doch tatsächlich auf den Mist geworfen! Obwohl die Tante daraus ein schönes Süppchen hatte kochen wollen. Wie das hier alle tun.

      Mich verwirrt diese strenge Ordnung. In der Großstadt, wo mein Leben so zerfasert ist, dass ich längst den Überblick verloren habe, komme ich besser klar. Hier hingegen sind alle Gewohnheiten, ob nun der Tagesablauf von Bernd oder die Marotten der Tante, so festzementiert wie die Fundamente ihrer Häuser.

      Ich gebe zu, dass vieles in meinem Leben krumm und schief läuft. Gern würde ich der Regierung, den Genen oder meinem Sternzeichen die Schuld dafür geben, aber vermutlich liegt es eher daran, dass ich mich einfach zu wenig anstrenge. Doch sogar hier und jetzt, wo ich mir wirklich große Mühe gebe, der Tante alles recht zu machen, gelingt mir das kaum. Meist mache ich alles falsch, so dass die alte Dame mich oft fragend ansieht, als würde sie darüber rätseln, ob ich nun aus Boshaftigkeit oder Dummheit so handle. Und im nächsten Augenblick kann es passieren, dass sie aus einem nichtigen Anlass den Hund überschwänglich lobt und feststellt, wie lieb und intelligent er ist.

      In