Conny Schwarz

BEZIEHUNGSWEISE TÖDLICH


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und dämlich.

      Mein Leben ist eine Baustelle, wenn nicht gar eine Ruine. Entsprechend habe ich schon einiges durch und nehme Niederlagen meist sportlich. Doch dieses übertriebene Lob für den Hund ist zu viel. Tränen rinnen mir übers Gesicht, und schluchzend wie ein kleines Kind frage ich die Tante endlich, was das soll. Warum ich ihr bitteschön nie etwas recht machen kann, obwohl ich den ganzen Tag herumwirtschafte wie eine Blöde und mir wirklich Mühe gebe.

      Die Tante erschrickt. Dann aber verteidigt sie sich. Und am Ende bin ich es natürlich wieder, die etwas falsch gemacht hat: Ihren barschen Ton hätte ich völlig falsch verstanden! Sie könne nun mal nicht anders sprechen, denn ihre Stimme sei alt und rau. Lachend nehme ich ihre Worte als Entschuldigung an. Doch als ich die Tante zur Versöhnung umarme, sind die flüchtigen Mordgedanken in meinem Kopf längst zu einem konkreten Plan geronnen.

      „Hast du den Hund gesehen?“, fragt mich die Tante nach dem gemütlichen Kaffeetrinken unterm schattigen Nussbaum, als ich gerade das schmutzige Geschirr aufs Tablett staple und ins Haus bringen will.

      „Vielleicht ist er ja drin, ich seh mal nach“, schlage ich vor.

      Drin im Haus aber ist kein Hund und im Garten auch nicht. Ich nehme das Kind und ziehe mit ihm los, hinaus auf die nahen Felder, wo wir engagiert immer wieder den Namen des Hundes ins weite Land schreien. Das macht Spaß, ist aber vergeblich.

      Auf dem Rückweg biege ich in die kleine Straße ein, in der Bernd wohnt. Den Hund werde ich dort nicht finden. Vielleicht aber einen kleinen Triumph.

      „Was willst du?“, fragt Bernd, als ich mit dem Kind an der Hand vor seiner Haustür stehe, als bräuchte ich dringend Asyl. Seine Stimme ist ebenfalls rau, doch bei ihm kann das nun wirklich nicht am Alter liegen. „Wir essen gerade Abendbrot.“

      Wie für ein launiges Reklamefoto drapiert sehe ich seine kleine Bilderbuchfamilie vor mir, wie sie unbehelligt von alten Tanten und psychotischen Kötern am liebevoll gedeckten Tisch sitzt, an dem die Stühle so genau abgezählt sind, dass dort auf keinen Fall für Überraschungsgäste Platz ist. Und plötzlich tut mir dieser Bernd, der alles hat, irgendwie leid. Und ich will ihn wirklich nicht weiter stören und suche eilig nach einem triftigen Grund für meinen spontanen Besuch.

      „Ein Kinderfahrrad würde ich mir gern ausborgen, nur für ein paar Tage. Ginge das?“, frage ich harmlos und schenke Bernd mein charmantes Lächeln, das ich soeben wiedergefunden habe.

      Das mit dem Fahrrad geht. Vermutlich gerade so, aber immerhin. Im Schuppen, zu dem wir rübergehen, haben sie genug davon. Vor Erleichterung darüber, dass ich sofort gehen will, nachdem er mir ein kleines grünes Fahrrad rübergeschoben hat, zwinkert Bernd mir zu.

      Das hätte er nicht tun dürfen. Es erinnert mich so an früher, dass ich sentimental werde und meinen guten Vorsatz, ihn bloß nicht stören zu wollen, sofort über den Gartenzaun werfe. Zum Abschied stelle ich mich daher auf die Zehenspitzen, drücke meinen Mund gegen sein Ohr und hauche konspirativ ein paar Worte hinein, die ihn piesacken werden.

      „Samstag um zehn im Monopoly“, diktiere ich ihm direkt in seine verletzlichen Weichteile, in Herz und Lenden. Bernd verzieht das Gesicht, als hätte er starke Schmerzen. Ich aber zucke bloß mit den Schultern, als würde ich mich selbst über diese plötzliche Verabredung wundern, und laufe dem Kind hinterher, das vergnügt auf dem Rad davoneiert. Ich habe wirklich keine Ahnung, was ich von diesem Mann überhaupt will und wie dieser Abend ausgehen wird. Vermutlich werden wir bloß ein paar Gläser Gin Tonic auf die alten Zeiten trinken und einfach dieses gewisse Etwas genießen, das uns vom Tier, das nur fressen und schlafen will, unterscheidet.

      „Ach, der findet schon zurück, der ist doch so intelligent“, sagt die Tante und beißt herzhaft in den frischen Kirschkuchen vom Knöfel. Beachtlich rasch scheint sich die Aufregung um den Hund gelegt zu haben. Dabei ist er nun schon einen ganzen Tag und eine Nacht verschwunden.

      Wieder sitzen wir gemütlich im Garten und reden, wie meistens, übers Wetter und übers Essen. Die Tante überlegt laut, was wir morgen kochen wollen. Ich schlage Rehkeule vor.

      „Was?“

      „Rehkeule!“

      Die Tante ist überrascht.

      „Haben wir die nicht schon gegessen?“

      Als wir die Beilagen diskutieren, werde ich darüber belehrt, dass zum Wild Rotkraut gehört, auf keinen Fall Sauerkraut, was natürlich wieder meine blöde Idee war. Wie auch immer, den Vorschlag mit der Rehkeule hat meine Tante geschluckt.

      Und sie wird noch mehr schlucken müssen.

      Obwohl am nächsten Vormittag die Sonne scheint, ist die Tante äußerst melancholisch. Der Hund beginnt ihr allmählich zu fehlen und ihre Hoffnung, dass er allein zurückfindet, schwindet mit jedem Tag. Als ich verspreche, mich vor dem Kochen noch mal auf die Suche zu begeben, muss die Tante ihre Tränen unterdrücken und behauptet: „Du hast eben doch ein Herz für Tiere, das hab ich doch immer gewusst.“

      Voller Elan pumpe ich mein Rad und das von Bernds Kindern auf und los geht’s. Im Sonnenschein radeln das Kind und ich über die weiten Felder, und zwar keineswegs vergeblich. Den Hund finden wir zwar nicht, dafür aber Störche, die hochmütig über die Wiese stapfen, und Frösche, die sich vergnügt am Rand eines Bachs tummeln. Als uns noch ein paar buntgetupfte Schmetterlinge neckisch um die Nasen fliegen, stimme ich prompt ein albernes Kinderlied an und singe es gemeinsam mit meinem fröhlichen Kind. Und endlich, zum allerersten Mal in meinem Leben, genieße ich die Ferien auf dem Land.

      „Und, hast du ihn gefunden?“, erkundigt sich die Tante, als ich die Küche betrete.

      Ich schüttel den Kopf und gucke dabei so traurig wie möglich.

      „Vielleicht sucht er ja die Oma“, vermute ich, während ich endlich die Keule, diesmal mit extra viel Butter, in den Herd schiebe und mich daran mache, die Kartoffeln zu schälen, und zwar fast so hauchdünn, wie es hier Brauch ist.

      Die Tante nickt.

      „Das könnte sein. Das arme Tier!“

      Ich nicke ebenfalls, obwohl ich darüber völlig anders denke. Dieses arme Tier kam mich nämlich ganz schön teuer zu stehen. Über hundert Euro wollte der Kruschke dafür haben, dass er es fachmännisch geschlachtet und in seine Einzelteile zerlegt hat, die zusammengenommen viel schwerer waren, als ich dachte, so dass ich am Vortag während des Mittagsschlafs zweimal zu seinem kleinen Schlachthof radeln musste, um es heim zu schaffen. Und nun ruht dieses „arme Tier“, falsch beschriftet als „Reh“ oder „Schwein“ – schließlich mach’ ich ja immer alles falsch – in der Tiefkühltruhe. Bis auf das linke Hinterbein, das zusammen mit guter Butter in der Kasserolle vor sich hinschmort und bereits einen herrlichen Bratenduft verströmt, den die Tante zufrieden in sich hineinschnuppert.

      Goldbraun ist der Braten, als ich ihn stolz aus dem Ofen hole, und nachdem ich die knusprige Keule mit einem scharfen Messer zerteilt habe, packe ich der Tante ein extragroßes Stück davon auf den Teller und sage fröhlich: „So, und dieses gute Stück ist für die Frau Seifert!“

      Zufrieden lächelt die Tante. Sie hat einen guten Appetit und lobt den feinen Braten.

      Dieses Mal habe ich offenbar alles richtig gemacht.

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