Dr. Phil. Monika Eichenauer

Für ein Leben unter den Flügeln der Seele - Die heillose Kultur - Band 1


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      Summa summarum sind es also vier Konstanten, die das gegenwärtige Leben bestimmen: Kapitalismus, Cartesianisches Paradigma, Geschlechterverhältnis und fehlende Integration der emotionalen Vergangenheitsbewältigung in der Gegenwart. Geschichtsschreibung orientiert sich an Feldzügen, Siegen, Eroberungen von Land und Gold, aber nicht daran, welcher Fortschritt für das menschliche Wesen, für seine Seele erzielt wurde. Der Mensch wurde wie selbstverständlich als Mittel für materielle Zwecke, Gewinne und Besitzerwerb eingesetzt. Psyche und Seele wurden lediglich zusammengefasst in Diagnosen und Glossaren, um sogenannte Abweichungen von Menschen, die gut angepasst im Alltag und jeweiligen Land funktionierten, zu erfassen.

      Es wurden unzählige Tabubrüche in den letzten Jahrzehnten vollzogen. Auch an den vier genannten Konstanten wurde gefeilt. Aber sie rieben und verzweigten sich in den Konsequenzen im Leben des einzelnen Menschen letztendlich gegenseitig und ragen bis in Zelle und Seele heutzutage hinein. Bisweilen treten emotionale Inhalte in erstarrten Symptomen verkleidet auf und werden Psychotherapeuten als Relikte und Zeugnis menschlicher Geschichte vorgetragen. Die wenigsten Ärzte realisieren, was ihnen Patienten aus ihrer Gefühlslage heraus berichten und erzählen wollen. Der Arzt hat keine Zeit (zu hören) und er ist in dieser Hinsicht nicht – trotz anders lautender Statements aus der Standespolitik – ausgebildet: Es sei denn, es ist ein medizinischer Kollege mit einem kleinen psychotherapeutischen Einblick in das Gebiet der Psychotherapie und hat zumindest ein wenig gelernt, mit Patienten (Menschen) zu sprechen. Für das Hören und Verstehen, was ein Mensch aus seinem Leben erzählt, sind Psychologische Psychotherapeuten und auch medizinische Psychotherapeuten (wenn sie vollständig und gut ausgebildet wurden) zuständig und sie sprechen auch mit ihm, dem Menschen, zum Zwecke der Vollendung einer ursprünglich gemeinten Kommunikation: Dass der eine Mensch sich bezüglich seines Befindens und seiner Gefühle dem anderen mitteile, um zu Linderung von Not, Leid und Schmerz zu gelangen und infolgedessen zur Mehrung und Verbreitung von Freude und Wohlergehen beizutragen.

      Die vier Grundwerte gesellschaftlichen und damit individuellen Lebens wuchsen immer dichter zusammen und erscheinen in der gesellschaftlichen Oberfläche fast wie eine natürliche Einheit. In der Tiefe bilden sie ein ineinander greifendes und kaum noch zu differenzierendes, verwachsenes Wurzelwerk. Diese Verflochtenheit droht die Seele von Menschen zu vernichten.

      Auch wenn ich hier Wurzeln sichte, wofür oftmals das Wort „radikal“ verwandt wird, so möchte ich doch berücksichtigt wissen, dass ich Psychologische Psychotherapeutin bin und unmissverständlich für die menschliche Seele eintrete. Insofern geht es um Evolution und Reflexion und nicht Revolutionen, die eh in ihrer ursprünglichen Bedeutung völlig veraltert ist. Revolution oder besser im Fazit gesehen, die kulturell-ökonomischen Implosionen, besorgen heutzutage nicht die sich im veralterten Begriff „Arbeiter“ summierenden abhängig arbeitenden Menschen, sondern Manager, die radikal ausschließlich für ihre eigene Kaste sorgen. Ein Revolutionär ist als altertümliche Persona non grata verschrien, ein Manager genießt gesellschaftliche Reputation und kann sich auf Verfassung, Gesetz und gleichfalls im Lippenbekenntnis zu Moral und Ethik bekennen, auch wenn er sie weder achtet noch lebt.

      Arbeiter und Angestellte oder kurz, abhängig Arbeitende bleiben trotz der massiven wirtschaftlichen Veränderungen auf Rückzug: „Früher wurde gegen die große Politik demonstriert, heute geht es immer häufiger um Konflikte vor der eigenen Haustüre.“ (Ruhr Nachrichten,30.4.2009) Man fragt sich, wie diese Aussage aufgefasst werden soll: ist sie als Beleidigung und Armutszeugnis für (mittellose) Menschen zu verstehen? Wäre es anders besser? Wenn Menschen also wieder auf die Straße gingen und demonstrierten? Ist der Konflikt vor der Haustüre eine Verschiebung des Konfliktherdes, der in der Gesellschaft lebt und brodelt und auf diese Art und Weise eingegrenzt, fokussiert als individueller Konflikt aufersteht, weil Menschen politisch aufgegeben haben? Hängt den Menschen nicht viel mehr der Staub der unzähligen Versuche, für ihre Interessen und Bedürfnisse öffentlich einzutreten, in den Kleidern, weil sie nicht gehört wurden oder nicht gehört werden sollen? Oder nur so viel öffentlich gehört wird, wie es gerade brauchbar ist, um noch sagen zu können: Das Volk lebt noch?

      Mittels Selbstregulationshypothese in der freien kapitalistischen Marktwirtschaft wird ohne gesetzliche Einschränkung grenzenlos in den Ruin von Millionen von Menschen kreativ hinein experimentiert. Es könnte sich ja am Ende herausstellen, dass der Markt sich wider erwarten günstig entwickelt und stabilisiert. Auch Vorstellungen, wer wo aufgrund welcher „radikalen“ Äußerung politisch einem farblichen Standort oder einer Partei zuzuordnen wäre, sind so veraltert wie die Zeiten vorbei sind, in denen nur in einschlägigen Zeitungen kritische Stellungnahmen zu lesen waren. Diese Entwicklung ist ebenso neu wie die Verschärfung der Profilierung von Globalisierungsgegnern unter Politikern in allen Teilen der Welt. Die politisch vertretenen Inhalte gewinnen an Bedeutung: Das, was auf dem Tisch liegt, ist entscheidend.

      Ironischerweise wurde ausgerechnet ein Artikel des Harvard-Forschers Dani Rodrik unter der Überschrift „Der Konsens über den Tod der Globalisierung“ im „Bordmagazin der aggressiv globalisierenden Fluggesellschaft Emirates veröffentlicht(e)“ wie es in dem Artikel „Das Ende der Globalisierung?“ heißt. (Fischermann, T. Helmling, R. & Schieritz, M. in: Die Zeit, Nr.32, 31.7.2008). Wie es scheint, spitzt sich die existenzielle Lage durch Globalisierung – ob nun in Privathaushalten oder öko-politisch aufgrund von Rohstoffen – dergestalt zu, dass jeder einzelne Mensch sich mehr denn je aufgefordert fühlt, Verantwortung durch bewusste Entscheidungen zu tragen – im großen wie im keinen. Dies betrifft insbesondere auch Menschen mit Kapitalvermögen, die plötzlich in weltweiten Abhängigkeiten politische Probleme spüren. Wenn Manager, Banken oder Kapitalisten Kapital verlieren, verlieren ungefragt Millionen von Menschen gleichfalls, was sie sich erarbeiteten. Deshalb wird gern davon gesprochen, man säße im selben Boot. Letztlich bleibt es aber bei der kapitalistischen Grundvoraussetzung, Gewinne werden privatisiert, Verluste nun verstaatlicht – siehe USA September 2008 und in Deutschland Oktober 2008. Dies bedeutet, der abhängig arbeitende Mensch hat nichts weiter als seinen Arbeitsplatz und nichts vom privaten Gewinn der Unternehmen und zahlt aber mittels Steuergelder deren Verluste ab. Bezüglich eigener misslicher Entwicklungen schaut er in das Äquivalent des Tunnelblicks, nämlich in die berühmte leere Röhre.

      Mein Anliegen in den vorliegenden Büchern leitet sich einzig und allein aus dem Bedürfnis ab, einen Beitrag zu leisten, Mensch und Seele an die erste Stelle der Werteordnung zu bringen. Die Zeiten dafür sind gut. Schließlich sind sie turbulent genug und Prognosen bezüglich einer Umkehrung der Globalisierung machen die Runde. Globalisierung ist radikal, weil sie an existenziellen Wurzeln von Millionen von Menschen fressen! Angst essen Seele auf – Globalisierung ist für Angst und Existenzverlust ein Synonym.

      Globalisierung ist aber auch Synonym für ein Unwort, für einen Begriff, der in unserer heutigen, modernen Zeit nichts mehr verloren hat: Imperialismus. Diese Liberalisierung des Begriffs musste her, damit niemand auf die Idee kommt, die Entwicklung des Kapitalismus würde zwangsläufig im Imperialismus enden, so wie es vorausgesagt war. Nein, der Begriff Globalisierung zeigt, moderne Kapitalisten setzen selbst ihre Marke, ändern Welt und Leben von Millionen von Menschen und haben ökonomische Entwicklungen fest in ihrer Hand und das, was sie tun, ist nirgends beschrieben: Sie setzen ungeahnte, völlig neue, abenteuerliche Prozesse in Gang, die ihrem Denken und Tun entspringen. Marke und Maßstab sind gesetzt.

      Das vorliegende Buch kann trotz des Umfanges nur fragmentarisch und generalisierend die unser Leben beeinflussenden Konstanten und deren Werte aufzeigen. In der Generalisierung liegt immer das Allgemeine, das jeweils das Besondere in den Schatten stellt, ja, bisweilen völlig untergehen lässt. Persönliche wie allgemeine Zerrissenheit differenzieren und klarstellen zu wollen, das nicht auf jeden Mensch, der ein Wirtschaftsunternehmen führt, nicht auf jeden Manager oder jeden reichen oder armen Menschen oder Politiker platt alle Attribute, wie sie sich systemisch aus der kapitalistischen Wirtschaftsform in ihrer Bedeutung für Menschen aufgrund unterschiedlicher Rollen in der Kultur ergeben, zutreffen, verweist andererseits in letzter Konsequenz auf die Einzigartigkeit von Menschen. So sind Menschen Oben und Unten nicht linear einteilbar in die „Guten“ und die „Bösen.“ Auch damit ist es aus!

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