Hans-Jürgen Setzer

Braunes Eck


Скачать книгу

Sie sich auch besser, wenn Sie weitere Fragen haben.“

      „Wir wollen Ihnen wirklich nichts anhängen, Herr Zengler. Wir haben mitbekommen, dass Herr Haberkorn insgesamt nicht sehr beliebt war und das wird ja auch seine Gründe haben. Wir versuchen nur die Hintergründe besser zu verstehen. Vielen Dank für Ihr bisheriges Vertrauen. Dürften wir noch einmal auf Sie zukommen, falls wir noch Fragen haben? Ich habe das Gefühl, sie haben mir noch nicht die ganze Geschichte erzählt“, versuchte sie noch einmal ihr Glück.

      „Erst einmal nicht. Ich habe Ihnen bereits viel zu viel gesagt. Zum Rest habe ich Ihnen doch erklärt, warum ich nicht darüber reden werde.“

      „Hier ist meine Karte, falls Ihnen doch noch etwas einfällt. Sie können jederzeit Kontakt aufnehmen. Oder wenn Sie es sich doch noch anders überlegen sollten.“ Vanessa übergab ihr Visitenkärtchen.

      Sebastian Zengler warf einen Blick darauf. „Bestimmt nicht, Frau … Sportreporterin?“, sagte er und schüttelte mit dem Kopf.

      Sie verabschiedeten sich und Vanessa rief Leon an. Sie berichtete vom überraschenden Verlauf und setzte sich nach einem kurzen Weg auf eine Bank für Spaziergänger.

      Neues vom Förster?

      Leon kam relativ schnell wieder zurück. In der Zwischenzeit hatte sich Vanessa mit geschlossenen Augen ein wenig die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen. Es tat ungeheuer gut, kurz innezuhalten, ganz bei sich und im Hier und Jetzt zu sein.

      Leon begrüßte Vanessa mit einem breiten Grinsen im Gesicht als sie ins Auto stieg. „Du scheinst wohl den besseren Teil abgekriegt zu haben“, sagte sie. „Oder machst du dich etwa über mich lustig?“

      „Was uns am Ende wirklich weiterbringen wird, steht im Moment noch in den Sternen. So ergebnislos war dein Interview vielleicht gar nicht. Ich glaube, das zeigen eindeutig die von dir geschilderten Emotionen von Zengler gegen Ende des Gesprächs. Vielleicht liegt hier sogar genau da der ganz große Schatz begraben. Aber lass mich dir kurz von Förster Gladbeck berichten! Du wirst es nicht glauben, diese Wildkamera speichert nicht nur auf dem internen Speicherchip, sondern sendet zudem per Handysignal ins Internet, damit er von zu Hause aus, sein Waldstück im Auge behalten kann. Er war so sauer auf die Umweltsünder, dass er sie gerne auf frischer Tat ertappen wollte. Für so fortschrittlich hätte ich unsere jagende Zunft gar nicht gehalten. Und was glaubst du, was ich hier habe?“ Leon hielt ihr einen USB-Stick vor die Nase und wackelte damit herum.

      „Nein, echt? Du hast den Film von dieser Hinrichtung? Mensch, das ist ja super. Hast du ihn dir schon angesehen?“ Vanessa wurde wieder lebendig und gewann damit die Freude an den Ermittlungen zurück.

      „Genau den. Lass uns direkt in die Redaktion fahren. Wir sichern vorsichtshalber das Material auf dem Redaktionsserver und schauen uns den Film einmal ganz genau und in aller Ruhe zusammen an. Ich habe ihn selbst noch nicht komplett gesehen, nur eine kurze Sequenz.“

      Gesagt, getan. In der Redaktion sicherten sie vorsichtshalber den Datenstick auf dem Server und Vanessa tippte ihre Erkenntnisse aus dem Interview ebenfalls sorgfältig in den Rechner, solange sie frisch im Gedächtnis waren. Paffrath kam unverhofft in die Redaktion und sicher nicht aus purer Langeweile. Offensichtlich konnte er seine Ungeduld kaum noch zügeln.

      „Wie weit seid ihr?“, fragte er. Vanessa und Leon berichteten abwechselnd von den bisherigen Erkenntnissen, und gemeinsam warfen sie einen Blick in die Filmszene aus der Wildkamera. „Das ist ja echt krank. Was sind das nur für gestörte Typen? Und so etwas bei uns hier in Koblenz? Ihr müsst schneller und viel tiefer graben und zügig mehr herausfinden. Bleibt im engen Kontakt mit unseren Polizeiinformanten. Unsere Leser müssen schnellstmöglich wieder beruhigt werden aber vorher sollen sie das ultimative Kribbeln zu spüren bekommen“, sagte er. „Frau Herzsprung, ihr Engagement gefällt mir sehr gut bis hierhin. Glauben Sie, sie könnten übers Wochenende Walters noch unterstützen und trotzdem den Sportteil schon mit bedienen?“, fragte er.

      „Sicher Chef, das kriege ich hin“, antwortete sie, obwohl ihr bei dem Gedanken mehr als mulmig zumute war. Leon würde sie sicher nicht hängen lassen, um an die nötigen Kontakte und Informationen für den Sportteil heran zu kommen.

      „Sehr schön!“ Paffrath verschwand so schnell wie er gekommen war und schien zufrieden.

      „Und was jetzt?“, fragte Vanessa.

      „Ich versuche mal etwas über dieses seltsame Ritual rund um das Erhängen herauszufinden. Warum sollte sich jemand eine solche Mühe machen? Aufhängen, abhängen, wieder aufhängen. Ist doch mehr als seltsam und völlig ineffektiv, nur um jemanden um die Ecke zu bringen. Das muss irgendeine Bedeutung haben. Und die könnte uns weiterführen“, sagte Leon.

      „Im Gespräch mit Zengler fiel mir auf, dass er Andeutungen zum alten Haberkorn gemacht hat. Ich versuche mal herauszufinden, ob die sich kannten.“

      „Wie willst du das genau machen? Sei bloß vorsichtig. Haberkorn hat überall seine Fäden gesponnen“, warnte Leon.

      „Ich versuche es noch einmal mit Zengler. Irgendetwas hat er mir verschwiegen, das spüre ich. Vielleicht kriege ich am Telefon noch etwas aus ihm heraus. Oder ich finde Freunde, Bekannte und Kameraden von Zengler, die etwas gesprächiger sind. Genau, damit sollte ich vorher anfangen. Ich schaue mir mal die sozialen Netzwerke genauer an. Seine Ex-Freundin wird vermutlich nicht so gut auf ihn und seinen Job zu sprechen sein. Es wäre mit Sicherheit hilfreich, wenn ich die ausfindig machen könnte“, dachte sie laut nach.

      „Wenn mehrere Personen einen Menschen aufhängen und das noch an einem Ort, an dem früher Hexen verbrannt wurden, so dürfte wohl klar sein, dass es eine Hinrichtung war, auch wenn der Erhängte offensichtlich vorher betäubt wurde. Es ging also nicht um die eigentliche Qual, sondern die symbolische Vollstreckung eines Todesurteils. Vielleicht auch um ein Signal an irgendwen, falls die selbst auch mitgefilmt haben, um es später jemandem zu zeigen. So wie die Enthauptungen des IS. Es sieht für mich nämlich so aus, als würde einer mit dem Handy mitfilmen“, murmelte Leon.

      Er stöberte über eine Internetsuchmaschine nach Hinweisen zum Hintergrund von Hinrichtungen durch Erhängen. Die Todesstrafe durch Erhängen sollte möglichst human und schmerzlos sein und wurde im Laufe der Zeit von vielen Ländern genutzt. Eine moderne Variante wurde durch eine königliche Kommission in Großbritannien Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Dabei wurde beabsichtigt, ein Zerreißen des Rückenmarks ohne Abreißen des Kopfes zu Erreichen. Die Stricklänge wurde individuell an Hand des Körpergewichts des Verurteilten berechnet und man ließ ihn meist durch eine Bodenklappe fallen. Die Technisierung durch die Bodenklappe sollte das Ritual humaner wirken lassen. Der Henker musste ja nur einen Hebel betätigen und nicht wirklich Hand anlegen. Im Irak unter Sadam Hussein war der Tod durch Erhängen zunächst ein mögliches Urteil für 114 Verbrechensarten. Nach einer Phase der Abschaffung wurde diese Form der Bestrafung später insbesondere für Mord, Kidnapping und Drogenhandel wieder eingeführt.

      „Vielleicht führt uns das weiter“, dachte Leon. „Im vorliegenden Fall wurde nicht gequält und gefoltert. Dies geschah eher bei spontanen Hinrichtungen durch den Mob oder bei radikalen Gruppierungen. Aber Tobi wurde für irgendetwas bestraft. Was hatte er wohl in den Augen seiner Vollstrecker angestellt? Wofür genau wurde er bestraft?“, grübelte Leon weiter.

      „Du, Leon“, platzte Vanessa vom Nachbarschreibtisch in Leons Gedankenwelt.

      Leon schaute noch etwas in Gedanken versunken zu ihr hinüber.

      „Zengler und beide Haberkorns, der alte und der junge, sind in der gleichen Reservistenkameradschaft aktiv. Könnte das nicht ein wichtiger Zusammenhang sein?“, fragte Vanessa voller sprühender Begeisterung endlich einen Ansatz gefunden zu haben.

      „Schon möglich. Wirklich komisch, Zengler ist noch gar kein Reservist. Was macht der also dort? Ich bin gerade bei der Todesstrafe auch immer wieder auf den Irak gestoßen. Vielleicht sollten wir versuchen herauszufinden, ob einer oder sogar