Hans-Jürgen Setzer

Braunes Eck


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jederzeit bis Schulschluss vorbeikommen“, führte er aus, um sie auf den neuesten Stand zu bringen.

      „Alle Mann anschnallen. Wir starten“, witzelte Vanessa.

      Nach wenigen Minuten parkten sie vor der Turnhalle und begaben sich zum Eingang.

      Tobis Trainer ließ die Klasse Volleyball spielen. Es dürfte von Alter und Größe her eine der Abschlussklassen der Realschule gewesen sein.

      „Herr Stadtmüller?“, fragte Leon.

      „Ja? Leute, ihr kommt jetzt mal einen Moment ohne mich klar. Sven, du übernimmst die Schiedsrichterfunktion bis ich zurück bin.“ Er übergab eine Trillerpfeife, indem er sie einem jungen Mann salopp zuwarf und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und ging auf Leon und Vanessa zu.

      „Darf ich vorstellen, meine Kollegin Vanessa Herzsprung, eigentlich hauptamtlich in der Sportredaktion. Sie werden sicher früher oder später noch miteinander zu tun bekommen“, erklärte Leon und deutete mit der rechten Hand auf Vanessa.

      „Ah, das freut mich besonders. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er, nachdem er beiden die Hand geschüttelt hatte.

      „Wir berichten über Tobi Haberkorn und suchen nach weiteren Hinweisen. Alles kann wichtig sein. Was war er für ein Mensch? Hatte er Feinde? Gab es enge Freunde?“, fragte Leon für den Anfang.

      Bernhard Stadtmüller warf einen kurzen Blick auf den Basketballkorb, an dem Tobi gefunden wurde. „Schlimm, schlimm. Ausgerechnet hier in der Halle am Basketballkorb. Und das Leben hier geht einfach so weiter, als wäre nie etwas passiert. Nicht einmal ein Bild vom Toten mit schwarzem Balken war hier im Sportbereich erwünscht. Er liebte Basketball, warf hier oft seine Bälle, spielte seit fast zwei Jahren in unserer 1. Mannschaft. Tobi hatte wirklich Talent. Er war obendrein noch sehr ehrgeizig, im Sport jedenfalls. Schade, so jung, viel zu jung. Er war häufiger alleine hier in der Halle, hatte mich um einen eigenen Schlüssel gebeten, weil er oft bei Hallenleerstand noch alleine übte. Jetzt mache ich mir natürlich Vorwürfe“, führte der Lehrer aus.

      „Tobi wurde ermordet. Es war kein Selbstmord. Das haben wir gerade eben in der Pressekonferenz erfahren. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn er den Schlüssel von Ihnen hatte“, ging Vanessa auf ihn ein und erntete dafür ein kurzes Nicken.

      „Haben Sie Konflikte, Ärger, Feindschaften mitbekommen?“, fragte Vanessa als Erinnerung.

      „Tobias war wirklich gut, sah auch noch gut aus und war immerhin der Sohn von Professor Haberkorn. Mehr muss ich doch nicht sagen, oder? Da hat man natürlich auch Neider. Aber Feindschaft wäre sicher zu viel gesagt. Ich habe jedenfalls nichts Außergewöhnliches in dieser Richtung mitbekommen“, erklärte er.

      „Kennen Sie Milena, seine Freundin?“, fragte Leon.

      „Ja, klar. Sie ist auch aktiv in unserem Verein. Kommt in letzter Zeit jedoch kaum noch, seit sich die beiden getrennt haben und ich glaube, sie studiert inzwischen irgendwo Medizin. Sie hat häufiger zugeschaut bei den echten Spielen. Von den Haberkorns sah man hingegen nie jemand hier. Tobi hat so sehr gehofft, sein Vater würde sich irgendwann einmal wenigstens eins seiner Spiele anschauen. Er hat mir mal auf einer Trainingsfreizeit erzählt, wie sehr der Vater seinen Sportspleen, wie er es nannte verabscheute. Schade, und so etwas bei dem Talent. Deshalb war Milena ganz wichtig für ihn und seine Leistung. Lob, Bestätigung und Erfolg waren sehr wichtig für Tobi. Er vergötterte Milena regelrecht. Ein schönes Paar waren die beiden außerdem. Wenn die mal Kinder bekommen hätten...“

      „Wenn Lob, Bestätigung und Erfolg so wichtig für ihn waren, was passierte, wenn er Fehler machte, den Korb nicht traf, Kritik einstecken musste?“, fragte Vanessa.

      „Man soll ja nicht schlecht über Tote sprechen. Das war aber zugegebenermaßen nicht seine Welt. Er war ein Siegertyp. Bei schlechten Leistungen zog er sich sofort nach dem Spiel zurück, wollte nicht angesprochen werden. Wer es dennoch versuchte, musste mit allem rechnen“, erklärte er.

      „Was soll das genau heißen, mit allem?“, hakte Leon nach.

      „Mindestens Streit, im schlimmeren Fall Androhung von Prügeln. Mehr als einmal habe ich ihm erklärt, dass es auch für den Verein nicht gut aussieht oder sogar eine Strafe vom Verband geben kann, wenn er so ausflippt. Er hatte sich manchmal nicht unter Kontrolle, wenn man ihn angriff. Sebastian Zengler hat das sogar einmal ein gebrochenes Nasenbein gekostet. Die Mannschaft verlor, weil Tobi in der letzten Minute den entscheidenden Korb nicht warf. Unter Sportkameraden macht man nicht mehr draus, sonst hätte es für Tobi übel ausgehen können. Ich habe damals sogar noch vermittelt, damit es Ruhe gab unter den jungen Hitzköpfen“, sagte er und lachte.

      „Sebastian Zengler? Wo finden wir ihn?“, fragte Leon.

      „Zengler ist Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Sie glauben doch nicht, er hat etwas damit zu tun. Die alte Sache ist längst abgehakt, glauben Sie mir“, spielte er die Sache schnell herunter und winkte mit der Hand ab.

      „Keine Sorge. Wir versuchen nur ein besseres Bild von Tobi zu bekommen. Und Sebastian hat ihn ja offensichtlich mindestens einmal deutlicher zu spüren bekommen“, beruhigte Leon.

      „Verzeihen Sie, ich kann meine Schüler nicht so lange alleine lassen. War es das?“, würgte Bernhard Stadtmüller das Gespräch ab.

      „Vielen Dank Herr Stadtmüller. Wir sollten zusammen mal über etwas Angenehmeres berichten. Es wäre schön, wir sehen uns bald wieder“, bahnte Vanessa ihren neuen Sportkontakt.

      „Das würde mich wirklich freuen. Bis dann also. Tschüss, ich muss jetzt auch, wie Sie sehen“, sagte er und winkte zum Abschied und lief wieder zu seiner Schulklasse.

      „Hm, was meinst du?“, fragte Vanessa im Rausgehen. „Sebastian Zengler? Er steht ohnehin auf meiner Liste“, sagte sie und wanderte mit dem Finger einen Zettel aus ihrer Jackentasche ab. „Koblenz-Arzheim. Fahren wir mal kurz auf die scheel Seit (andere Rheinseite)“.

      Uff der scheel Seit

      Sie wollten gerade aufbrechen, als Leon auf seinem Smartphone eine Textnachricht erhielt. Sie stammte von einem Kontaktmann im Polizeiumfeld. Leon rief ihn direkt zurück. Die Information schien wirklich Gold wert zu sein. Ein Förster meldete am frühen Morgen völlig aufgelöst einen Vorfall bei der Polizei. Bei der Auswertung seiner ausgelösten Wildkamera in der Nähe von Gintgens Galgen, an der Dreispitz in Koblenz-Arenberg, musste er eine Hinrichtung als bewegungsgesteuerten Kurzfilm mitverfolgen. Eigentlich war die Kamera an einem Zufahrtsweg zum Wald aufgehängt, um Zeitgenossen dingfest zu machen, die eher üble Dinge im Schilde führten, wie z. B. illegal ihren Müll im Wald zu entsorgen, wenn sie nicht gerade zu anderen Zwecken mit ihrer Süßen in den Waldweg abgebogen sind. Sie reagierte sowohl bei Tag als auch bei Nacht per Bewegungssensor, machte dabei einzelne besser auflösende Fotos und etwas schlechtere Kurzfilmchen von ein bis zwei Minuten Dauer. Die Kamera hing, für die meisten Passanten unbemerkt, in einem Haselnussstrauch. Bisher erhielt der Förster damit eigentlich nur wunderschöne Tieraufnahmen, kleine Sexfilmchen, nichts ahnende Spaziergänger und andere langweiligere Inhalte.

      Dieses Ereignis fand bereits vor Sonnenaufgang statt und wurde somit automatisch im Infrarotmodus der Kamera aufgezeichnet. Entsprechend gewöhnungsbedürftig war die Ansicht in schwarz-weiß. Drei vermummte Personen hängten mit Hilfe einer Trittleiter eine bewegungslose Person an einem Baum mit diversen starken Seitenästen auf. Es folgte ein seltsames Ritual. Später wurde der Körper wieder vom Baum entfernt und in einem VW-Bus verstaut. Der Bus stand leider seitlich zur Kamera. Die Autokennzeichen waren im gesamten Film nicht erkennbar.

      Es fand sich somit natürlich keine Leiche vor Ort, wie auch, sie war ja mit diesem Bus hingebracht und wieder abgefahren worden. Er meldete den Vorfall der Polizei, ging aber eher von einer Challenge, einem satanistischen Ritual oder einem üblen Scherz aus. Es sah vom Gewicht und der Beweglichkeit her schon wie ein echter menschlicher Körper aus, nicht wie eine Schaufensterpuppe. Die Chipkarte aus der Kamera