Monika Kunze

Immer wieder diese Sehnsucht


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noch stammelte, kam ihr selbst nicht sonderlich plausibel vor.

      „Ursächlicher Zusammenhang? Hm, ich weiß nicht so recht … wenn auch … meine Ärztin mir erklärte, dass Magen, Herz und Schilddrüse auf Dauerstress irgendwann sehr empfindlich reagieren können … zumal, wenn man nicht mehr so ganz jung ... “

      Um Himmels willen, was redete sie da? Schweißperlen traten auf ihre Stirn, schlossen sich zu kleinen Rinnsalen zusammen und tropften über Augenlider und Wangen. Sie nestelte in ihrer Tasche herum, und noch ehe sie ein Taschentuch gefunden hatte, wusste sie es: Dieser Anflug von Ehrlichkeit war ein nicht wieder gutzumachender Fehler gewesen. Wie konnte sie nur! Sie fühlte, wie sie vor Ärger auf sich selbst ganz rot wurde.

      Um vielleicht doch noch etwas zu retten, setzte sie schnell ein abwiegelndes Lächeln auf. Seht her, wie gut ich mich nach meiner Krankheit wieder fühlte, wie gesund und voller Tatendrang! Doch niemand nahm diese Botschaft, als die das Lächeln gedacht war, noch ernst. Es war einfach schon zu spät. Der Ball war längst angekommen. Im eigenen Tor.

      „Na, dann!“ hatten Verlagsleiter und Chefredakteur wie aus einem Munde gerufen, und es klang ziemlich erleichtert. Wenn dem so sei, dann gebiete es ja schon die Fürsorgepflicht des Unternehmens, dass man das Arbeitsverhältnis lösen müsse, man würde sich schon einigen, versteht sich. Dem waren lange Erklärungen darüber gefolgt, was man unter der Fürsorgepflicht zu verstehen habe, und dass man nicht nur Martina gegenüber eine solche hätte, der man schließlich nicht zumuten könne, ihre Gesundheit noch weiter zu gefährden, sondern auch ihren Kollegen gegenüber, denen man ebenso wenig zumuten könne, ihre, Martinas, Arbeit immer wieder mit zu erledigen, falls sie wohlmöglich wieder ausfiele.

      Sie hatte damals den Worten gelauscht, kerzengerade aufgerichtet auf ihrem Stuhl gesessen, obwohl sie sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als dass sich jeden Moment der Erdboden vor ihr auftun möge, damit sie, klein, unscheinbar und geschlagen, darin versinken könne.

      Ganz nebenbei und wie automatisch hatte sie registriert, dass in dem unsäglichen Redeschwall sechs Mal das Wort man vorgekommen war, obwohl es zum kleinen Einmaleins eines Journalisten gehörte, niemals das Wort m a n zu verwenden, wenn m a n weiß, wer m a n ist.

      Trotzdem versuchte sie, Haltung zu bewahren. Das gelang sogar, wahrscheinlich wegen der Tabletten. Sie hielt jeden Muskel ihres Gesichts unter Kontrolle, selbst das Lächeln war zur Maske erstarrt – und das nicht erst am Ende des Gesprächs, dessen Ausgang nur die anderen wohl schon von Anfang an gewusst hatten.

      Das Wesentliche konnte sie sowieso erst viel später begreifen: Quasi von einer Minute zur anderen war sie wertlos geworden: Müll, Schrott, altes Eisen.

      Wen wunderte es da noch, dass sie offenbar auch nicht imstande war, eine Beziehung dauerhaft und problemlos aufrecht zu erhalten?

      Wenn sie auch in ihrer dritten Ehe schon auf mehr als ein Dutzend Jahre zurückblicken konnte, so waren sie ihr doch vorgekommen wie eine Strafe. Die Höchststrafe lebenslänglich konnte sie nur verkürzen, indem sie einen endgültigen Schlussstrich zog. Eine dritte Scheidung kam für sie jedoch auf gar keinen Fall mehr in Frage.

      Dass sie trotz allem ein glühender Verfechter der Ehe gewesen war, hätte sie wohl niemandem so richtig erklären können. Jedenfalls wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, alles gleich hinzuwerfen, sobald etwas nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte.

      Und doch war sie schon zweimal davon gelaufen, allerdings erst zu einer Zeit, als ihr Leben und später auch das ihres Sohnes völlig aus den Fugen zu geraten drohte.

      Und jetzt?

      Jetzt handelte es sich nur noch um ihre eigene Unzulänglichkeit. Die wollte und konnte sie nicht mehr länger ertragen. Es konnte aus ihrer Sicht also nur ein folgerichtiger Entschluss sein, den sie an jenem Donnerstag gegen Mitternacht gefasst hatte: Sie wollte lieber sterben, als so weiterzuleben, ohne ihren Beruf und dazu noch mit diesem Makel der Beziehungsunfähigkeit behaftet.

      Nach jenem letzten Gespräch in der Redaktion war ihr freigestellt worden, ob sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist noch in der Redaktion weiter arbeiten wollte oder nicht. Sie hatte sich entschieden, es nicht zu wollen. Sie hätte es unter den gegebenen Umständen auch gar nicht gekonnt. Sie gab sich selbst die Schuld an ihrem Scheitern, und so dauerte es nicht lange, bis sie einen Zusammenbruch erlitt.

      Fortan fühlte sie sich nur noch untauglich, nicht nur als Journalistin, Ehefrau und Mutter, sondern im Grunde für das Leben selbst.

      Vielleicht hätte sie eine Chance gehabt zu lernen, mit dieser Untauglichkeit zu leben, wenn ihr der Boden nur in e i n e m wichtigen Lebensfeld entzogen worden wäre. Dann hätte sie ja versuchen können, wenigstens auf dem a n d e r e n ihre Bestätigung zu finden.

      Aber sie hatte ihre Arbeit verloren – und gleichzeitig ihren Partner.

      Das Wort Partner war wohl in diesem Zusammenhang sowieso fehl am Platze, denn, ehrlich gesagt, hat es eine richtige Partnerschaft zwischen ihnen noch niemals gegeben. Schon bald nach der Hochzeit ahnte sie mehr als dass sie es wusste: Auch mit Hans hatte sie wieder die falsche Wahl getroffen. Ihnen fehlte einfach eine gemeinsame Basis. Rein äußerlich gesehen, war ihr Mann zwar noch immer da, aber er war absolut nicht der Mensch, der ihr in dieser Situation hätte Halt geben können. Vermutlich ebenso wenig wie sie ihm. Wie hatten sie es nur geschafft, schon über vierzehn Jahre so nebeneinander her zu leben?

      Die Zeit der Illusionen war für sie doch schon nach der zweiten Scheidung vorbei gewesen. Und trotzdem hatte sie geglaubt, dass zwei erwachsene Menschen auch ohne Liebe gut miteinander auskommen könnten. Wenn sie daran zurückdachte, schämte sie sich für ihre absurde Naivität.

      Hatte sie sich nicht sogar geschmeichelt gefühlt, als er sich so offenkundig für sie interessierte? Ja, das musste sie sich eingestehen, wenn sie auch in erster Linie froh gewesen war über sein Interesse an ihrem Sohn Karsten.

      Was für ein Unterschied zu ihrem zweiten Mann! Zu schmerzlich klang ihr noch immer dessen Forderung "Entweder der Bengel oder ich!“ in den Ohren.

      Martina hatte sich damals für den Bengel entschieden, obwohl sie sich noch immer nicht sicher sein konnte, ob diese Entscheidung überhaupt richtig gewesen war.

      Und dann war, kurz vor Karstens siebzehntem Geburtstag, plötzlich dieser Hans in ihr Leben getreten. Eine Freundin hatte ihn ihr vorgestellt als „Hans im Unglück“, der jemanden brauchte, der seinen Schriftkram erledigte. Er sei Handwerker, deshalb im Schreiben nicht so sehr bewandert, und Martina könne ihm doch gewiss helfen beim Formulieren von Antworten auf unliebsame Behördenpost.

      Natürlich konnte Martina. Warum denn auch nicht? Sie half ja vielen anderen auch. Hans kam sie fast jeden Tag besuchen, schmeichelte ihr unbeholfen, schenkte ihr Blumen und andere kleine Aufmerksamkeiten. Mit so viel Dankbarkeit hatte Martina gar nicht gerechnet. Sie brachte es schon nach kurzer Zeit nicht mehr fertig, ihn wegzuschicken, wenn er bleiben wollte. Die Gefahr, dass sie sich ineinander verlieben könnten, bestand nicht. Hans hatte ihr gleich zu Beginn ganz offen erzählt, dass er nach einer schweren Infektionskrankheit impotent geworden war. Es konnte sich also nur um Freundschaft handeln, ihr sollte es recht sein. Selbst mit dem Gedanken, eine Wohngemeinschaft zu gründen, konnte sie bald anfreunden, vor allem, weil Hans und Karsten einen guten Draht zueinander zu haben schienen. Oft traf Martina die beiden schon gemeinsam an, wenn sie von der Arbeit kam: Sie saßen am Tisch, redeten ganz entspannt und lachten sogar miteinander. Solche Bilder machten Martina das Herz warm, weil sie so etwas bisher weder von Karstens leiblichem Vater noch von Jochen, ihrem zweiten Mann, kannte. Manchmal tranken sie auch ein Gläschen oder rauchten eine Zigarette. Das sah Martina zwar nicht so gern, aber sie sagte nichts, um das harmonische Bild nicht zu zerstören.

      Von weitem hätte jeder die Beiden für Vater und Sohn halten können. Eines Nachts hatte sich der Bahnarbeiter, der irgendwann auch einmal Schneider gelernt hatte, sogar an die Nähmaschine gesetzt, um Karstens Jeans zu reparieren.

      Das hatte wohl bei Martina den letzten Ausschlag gegeben. Sie sagte sich: Einer, der mitten in der Nacht für einen fremden Jugendlichen Jeans näht, könne kein schlechter Mensch