Monika Kunze

Immer wieder diese Sehnsucht


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seinem zähen Werben schließlich nach.

      Martina hatte sich, auch aus Vernunftgründen, tatsächlich vorgenommen, diesem Mann eine gute Frau zu sein. Vom Hörensagen wusste sie ja, dass es schon seit eh und je sehr viele Ehen gab und gibt, die auf dieser Basis recht gut funktionierten. Die romantische Liebe hatte sie schon einmal überbewertet, vielleicht gelang ihr ja diese Beziehung, rein freundschaftlich und gänzlich ohne Romantik und ohne Sex ja besser - und vor allem dauerhafter?

      Von Anfang an hatte sie Hans reinen Wein eingeschenkt, ihm gesagt, dass sie nicht mehr imstande sein würde, sich richtig zu verlieben. Schließlich sollte er wissen, worauf er sich mit ihr einließe. Aber er lachte nur verständnislos und sagte, das käme schon mit der Zeit, sie sei doch eine tolle Frau - und vielleicht ließe er sich ja auch medizinisch behandeln. Sie stutzte, weil er ihre Bemerkung auf sich selbst, auf seine Impotenz, zu beziehen schien. Nein bloß nicht, dachte sie, sagte aber nichts, um ihn nicht zu verletzen. Und schließlich sollte es auch nur um eine Wohngemeinschaft gehen.

      Dann kam die Zeit, da er ihr fast täglich einen Heiratsantrag machte. Selbst Karsten bedrängte sie in dieser Richtung (Mensch, Mutter, dann sind wir wieder eine richtige Familie!) und ließ nicht locker.

      Irgendwann war ihr Widerstand gebrochen, und so willigte sie schließlich doch noch ein in diese absurde Hochzeit. Ihre dritte. Es wurde kein Aufhebens davon gemacht. Auf dem Standesamt ließen sie sich einfach zusammenschreiben, wie Hans es nannte.

      Und praktisch ab der Minute, da er den Trauschein in der Hand hielt, begann das Interesse des Mannes an seiner Frau spürbar zu schwinden. Martina hingegen wollte ihr Versprechen, ihm eine gute Frau zu sein, die ganze Zeit über einlösen. Das bedeutete für sie unter anderem auch, sich um seine Weiterentwicklung zu kümmern. Als hätte er ihre Gedanken erraten, tat er den ersten Schritt sogar selbst. Wie freute sie sich, als er ihr stolz verkündete, dass er ohne ihr Zutun eine Meisterschule begonnen habe.

      Doch nach vierzehn Tagen wollte er schon wieder alles hinwerfen.

      „Alles Quatsch, viel zu schwierig …“ schimpfte er mit gequältem Gesichtsausdruck.

      Seine Frau machte ihm Mut, half ihm anfangs bei den Hausaufgaben, nach einigen Wochen erledigte sie seine Arbeiten ganz und gar, während er sich gemütlich auf dem Sofa austreckte und ein Nickerchen hielt.

      Auch später fanden sie keine gemeinsamen Interessen, keine für beide interessanten Gesprächsthemen, keine gemeinsamen Hobbys und schon gar keine gemeinsamen Freunde.

      Zugegeben, auch am Anfang waren sie sich nicht sonderlich nahe gewesen, auch wenn Hans anderen gegenüber immer den Eindruck erwecken wollte. Aber mit dem Tag der Trauung entfernten sie sich innerlich immer mehr voneinander. Statt der insgeheim doch erhofften Vertrautheit wuchs die Fremdheit zwischen ihnen unaufhaltsam.

      Die Wendezeit erlebten sie beide ganz unterschiedlich. Während sie sich zunächst freute, vor allem, weil sie glaubte, die Zeit der Zensur in der Presse sei nun vorbei und sich auch beim Runden Tisch und im neuen Stadtparlament engagierte, war ihm das Geschehen völlig gleichgültig. Er hatte schon vor der Wende seine Arbeit aufgegeben und vergeblich nach einer neuen gesucht, wie er ihr gegenüber immer versichert hatte. Inzwischen wusste Martina, dass er gar nicht gesucht hatte.

      Als dann am 9.November die Mauer fiel, betrank er sich sinnlos und schrie sie an: "So, nun ist er da, der Kapitalismus, nun kriege ich erst recht keine Arbeit mehr!" So war es dann ja auch gekommen. Martina arbeitete in der Lokalredaktion, verdiente gutes Geld. Er blieb zu Hause und ließ sich von seiner Frau ernähren.

      Karsten war inzwischen erwachsen und ausgezogen, bald war er ganz und gar verschwunden und sie wussten lange nicht, wo er sich überhaupt aufhielt. Mit ihrer Sorge um Karsten musste Martina allein zurechtkommen, denn morgens, wenn sie zur Arbeit fuhr, schlief ihr Mann noch und spät abends, wenn sie heimkam, war er entweder gar nicht zu Hause oder sie war zu müde, um noch mit ihm zu sprechen. So hatte sie resigniert und sich bald mit dem erdrückenden Schweigen abgefunden.

      Der Gipfel der Entfremdung schien erreicht zu sein, als Martina ihrem Mann erzählte, dass sie entlassen worden war und nun nicht mehr das lukrative Gehalt einer Redakteurin nach Hause bringen würde.

      Was also sollte er noch von ihr wollen?

      Als Martina das richtig begriff, zweifelte sie zum ersten Mal daran, ob sein Interesse überhaupt jemals ihr (oder Karsten) gegolten habe. Er war wohl nur froh gewesen, nicht mehr allein in seinem Bauwagen leben zu müssen. Sie war selbst schuld, wenn sie ihm ermöglichte, ohne materielle Sorgen mit einer leidlich hübschen Frau in einer modernen Neubauwohnung am Rande der Stadt zu wohnen.

      Vorwürfe von ihrer Seite wären da wohl vollkommen unangebracht. Schließlich war es auch bei ihr nicht die Liebe, die sie zum Schritt aufs Standesamt bewogen hatte, sondern wohl eher die Angst, für immer allein bleiben zu müssen. Dieses Eingeständnis ihrer Schuld machte jedoch nichts leichter. Aber wie sollte sie mit dieser Schuld weiterleben? Das wollte und konnte sie nicht.

      Doch was ging das alles diese Leute hier an?

      Wie aus weiter Ferne drangen jetzt wieder die Stimmen der anderen an ihr Ohr, die so genannte Montagsrunde war anscheinend noch immer nicht eröffnet, denn alle redeten durcheinander.

      Martina hörte einen Mann fragen, ob es denn heute wieder diesen wunderbaren S c h i n k e n zum Abendbrot gäbe …

      Als hätten Angst und Ekel nur auf dieses Stichwort gewartet, riefen sie auf Martinas Haut einen kalten Schauer hervor.

      War es möglich, dass so ein harmloses Wort wie Schinken mit einem Schlag alles wieder lebendig werden lassen konnte?

      Partyzeit

      Martina war müde und abgespannt nach Hause gekommen, obwohl sie ja eigentlich gar nichts Richtiges getan hatte. Aber das ewige Flimmern des Bildschirms auf dem Arbeitsamt, sie hatte dort unzählige Stellenangebote angeschaut, ausgedruckt und wusste doch, dass es in ihrem Alter so ziemlich sinnlos war, sich bei größeren Tageszeitungen zu bewerben.

      Sie kannte ja die Antworten schon zur Genüge.

      „Die Stelle ist leider schon vergeben!“ oder „Tut uns Leid, Ihnen mitteilen zu müssen...“ kam in den freundlichsten vor.

      Nicht alle antworteten freundlich, nicht wenige hielten es für Überflüssig, ihr überhaupt eine Antwort zukommen zu lassen. Wahrscheinlich ließen sie die schönen neuen Passbilder und die gediegene Bewerbungsmappe einfach in den Rundordner unter ihrem Schreibtisch fallen.

      Doch sie wollte nicht aufgeben. Wenn es ihr gelänge, eine Arbeit zu finden, würde es ihr vielleicht auch gelingen, die Beziehung zu ihrem Mann wieder ein wenig erträglicher zu gestalten. Ein Strohhalm nur, aber sie klammerte sich daran. Monatelang.

      Kaum hatte sie die Wohnungstür aufgeschlossen, schallten ihr die Worte ihres Mannes entgegen: „Wir gehen heute Abend noch zu einer Party, ein Kumpel von mir will seine neue Wohnung einweihen!“

      War das Gedankenübertragung? War das ein Versuch ihres Mannes, die häusliche Atmosphäre wieder etwas entspannter zu gestalten? Immerhin hatte er mit ihr geredet ohne jegliche Aggressivität. Das hatte es lange nicht gegeben.

      Wenn sie auch heftige Kopfschmerzen quälten, so wagte sie dennoch nicht zu protestieren. Aber es wäre ohnehin schon zu spät für ein Veto gewesen, denn Hans war schon dabei, seine Jacke anzuziehen.

      So begnügte sie sich damit, ihm müde zuzulächeln und ins Bad zu verschwinden. Eine Tablette und viel kaltes Wasser sollten helfen, ihre Müdigkeit und die stechenden Kopfschmerzen zu vertreiben. Mal ganz davon abgesehen, dass sie nichts so sehr fürchtete wie langwierige Auseinandersetzungen, hätte sie heute auch gar keine Kraft mehr dafür gehabt.

      Viel zu lange war sie sinn- und ziellos durch die Stadt gepilgert, wäre das Kino nicht schon seit langem geschlossen, hätte sie sich dort vielleicht sogar noch die Abendvorstellung angeschaut, um auf andere Gedanken zu kommen.

      Sie würde also mitgehen, wenn sie auch schwankte zwischen der Hoffnung auf vielleicht