Hedwig v. Knorre

DAS Erste Große BetrugsOpferBUCH


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doch, oder.

      Als ich Jochem kennenlernte, hatte ich nach ca. 10 Wochen eine intensive Misstrauensphase. Da habe ich mit mehreren vertrauten Menschen über ihn gesprochen und ihn intensiv kontrolliert. Das war sehr belastend. Beinahe wäre die Beziehung daran zerbrochen. In der Rückschau wäre das natürlich gut gewesen. Aber es gelang Jochem, meinem Misstrauen vertrauenswürdig zu begegnen, es zu zerstreuen und mein Vertrauen zu ihm wieder zu gewinnen, zu stärken. Wäre Jochem „echt“ gewesen, hätte ich beim Bruch der Beziehung einen wertvollen Menschen verloren. Doch ob „echt“ oder „unecht“ - damals hatte ich nicht die Kriterien in der Hand, um es unterscheiden zu können.

      Misstrauen

      Durch schlechte Erfahrungen lernten wir im Laufe unseres Lebens, auf bestimmte Signale zu achten, bei denen unsere inneren Alarmglocken läuten: „hier vertraue ich nicht!“ Dann erwarten wir nichts Gutes und lassen uns auf die Personen oder Situationen nicht vertrauensvoll ein.

       Im Alter von 4 Jahren wohnte ich eine Zeitlang bei einer verwandten Familie. Eine Tochter war 8 Jahre alt, also 4 Jahre älter als ich. Sie kaute einen Kaugummi. Ich bat sie, mir auch einen Kaugummi zu geben. Sie sagte, sie hätte nur den einen, den sie im Mund hat, keinen anderen – den könne sie mir geben! Das fand ich über die Maßen eklig und zog meinen Wunsch zurück. Nun bestand sie darauf, mir doch einen Kaugummi zu geben, sie hätte noch einen: „Mund auf, Augen zu, kommt ein Mann mit Gummischuh!“ sagte sie und wollte, dass ich die Augen schließe und meinen Mund öffne... ich war sehr misstrauisch und ließ mich lange nicht darauf ein. Sie probte ihre Überredungskünste und wurde immer überzeugender, bis ich mich endlich „breit schlagen“ ließ. Ich schloss meine Augen, öffnete meinen Mund – und hatte ihren ekligen angekauten Kaugummi drin! Dieser Cousine vertraute ich von da an nie mehr. Ich hielt mich von ihr fern und spielte nicht mehr mit ihr: ich wusste ja jetzt, wozu sie in der Lage war. Davor wollte ich mich schützen. Und Mädchen, später Frauen, die ihr von Mimik und Gestik her ähnelten, unterzog ich langwierigeren Kontrollen als andere, bis ich ihnen eventuell vorsichtig ein wenig Vertrauen entgegen brachte.

      Errichten von Misstrauenshürden

      Menschen lassen gewöhnlich nicht alle, sondern nur gewisse Personen in ihre vertraute Nähe. Das sind Personen, die ihnen keine Verletzung zufügen, ihnen gut tun. Der Nachbarin vertrauen wir den Wohnungsschlüssel an, damit sie die Katze füttert, Blumen gießt und den Briefkasten leert, während wir im Krankenhaus oder im Urlaub sind. Geschäftspartnern geben wir Aufträge, weil wir wissen, dass sie ordentlich ausgeführt werden und ihre Zahlungsmoral gut ist. In Freundschaften vertrauen wir einander persönliche Erlebnisse an, teilen Philosophien, Reli-gionen, Weltbilder und persönliche Erlebnisse. In Liebesbezie-hungen bestimmt tiefes Vertrauen und große Nähe die Beziehung: Menschen teilen ihre Wohnung, ihren Körper, ihre innersten Werte miteinander, tragen die Verantwortung für das gemeinsame Leben miteinander, verlassen sich auf einander.

      Natürlich wird nicht jedeR in den Kreis dieser Vertrauten aufgenommen. Denn auch schlechte Erfahrungen gehören zum Leben. Diese werten wir aus: wir errichten innere Misstrauens-hürden. Taucht ein unbekannter Mensch in unserem Umfeld auf, und zeigt dieser Mensch Interesse an einer Vertrauensbezie-hung, unterziehen wir diese Person unwillkürlich einer gründlich Prüfung im Hinblick auf seine Vertrauens-würdigkeit. Sie wird einige Misstrauenshürden zu überwinden haben.

      Bei manchen Menschen sind diese Misstrauenshürden schier unüberwindlich hoch. Sie können niemanden mehr an sich heran lassen und vereinsamen innerlich, oft auch äußerlich. Aufgrund schlechter Erfahrungen haben sie sich in eine Art "freiwilliger Schutzhaft" begeben. Damit geht es ihnen nicht gut. Und es schützt sie nicht einmal vor Betrug.

      Überwinden von Misstrauenshürden

      Doch im Normalfall sind Misstrauenshürden mit der Zeit und bestimmten Methoden überwindbar, so dass im Lauf des Lebens neue Menschen in den Kreis der Vertrauten aufgenommen werden können. Diese Möglichkeit zur Offenheit, zum Überwinden der Misstrauenshürden "Fremden" gegenüber ist sehr wichtig, da das Leben viele Veränderungen bereit hält. Es gehört zum Überlebensprogramm, über den Kreis der Menschen hinaus, die von Kindheit an da sind, auch zu Fremden neue Vertrauensbeziehungen zu entwickeln.

      Ganz besonders wichtig ist dies für Menschen in Missbrauchs-familien – die gibt es ja leider auch! Die sind in der Regel beson-ders misstrauisch. Vertrauen sie sich TherapeutInnen an, verordnen diese irgendwann „Familienabstinenz“ und ermutigen, neue Kontakte einzugehen, die sich hoffentlich stärkender, stützender und vertrauensfördernd (!) auswirken.

      Misstrauischer sein!

      Der erste Mythos in der Sammlung ist der Vorwurf ungenü-genden Misstrauens durch die Justiz: „Ein Betrugsopfer war nicht vorsichtig / nicht misstrauisch genug.“ Dieser Vorwurf beinhaltet die Forderung an Betrugsopfer: „sei von nun an misstrauischer!“ sowie die Forderung an die Allgemeinheit: „seid allesamt misstrauischer, um keine Betrugsopfer zu werden!“

      Darauf möchte ich hier noch einmal ausführlicher eingehen. Ich kenne zahlreiche Betrugsopfer, die zu den „sehr misstrauischen“ oder gar „übermäßig misstrauischen“ Menschen gehören. Sie haben wenig Vertrauenswürdigkeit erlebt und eine entspre-chend geringe Vertrauensfähigkeit entwickelt. Trotzdem wurden sie durch Betrüger schwer geschädigt, einige sogar total ruiniert.

       S chützt verstärktes Misstrauen vor Betrug?

      Betrüger „knacken“

      auch hohe Misstrauenshürden

      es ist ihr „Sport“, ihr Ehrgeiz

      sie sind stolz, wenn sie es schaffen

      es ist ihnen einen besondere Herausforderung

      ein „höherer Level“ in ihrem Spiel

      sehr misstrauische Menschen

      sind einsam in ihrem extremen Misstrauen

      Der Betrüger legt es darauf an,

      gerade ihnen warm und „menschlich“ zu begegnen

      es gelingt ihm

      dann vertrauen sie ihm TOTAL

      und dann legt er los...

      extremes Misstrauen

      schützt eben NICHT vor Betrügern!

      Hohe Misstrauenshürde schützt nicht vor Betrug!

      Die Realität zum ersten Mythos lautet:

       Das Opfer war ebenso misstrauisch und vorsichtig wie immer, ebenso wie sein nicht-betrogenes Umfeld.

      Natürlich sollen wir nicht „blind“ vertrauen. Das tun wir aber sowieso nicht. Wie immer sollen wir auf unsere inneren Alarmglocken hören und bei Unsicherheiten „nachhaken“. Das tun wir. Wir sollen weiterhin mit vertrauten Personen über neue Kontakte sprechen. Wir sollen weiterhin neue Informationen und Aspekte in unser inneres Abwägen mit einbeziehen. Und wir sollen weiterhin vorsichtig sein und größere Distanz einlegen, wenn uns etwas unangenehm oder zwielichtig erscheint. Wie bisher.

      Das alles tun wir sowieso und werden es weiterhin tun. Darum geht es also nicht. Was meinen die Staatsanwälte, Richter und Kriminalbeamten eigentlich, wenn sie Betrugsopfern dieses Vorwurf machen?

      Ich nehme an, sie haben diese Sprüche gelernt, in ihrer Aus-bildung, in Fortbildungen, in Studiengängen. Ihre Lehrer, Dozenten und Professoren haben diese Sprüche auch irgend-wann gelernt und in Büchern gelesen und in Bücher geschrieben. Mit der Realität haben sie diese Sprüche nie abgeglichen. Wozu auch? „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ - sie leben