Stefan Nym

Prominent


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Arme nach oben, so dass sich kurz die Decke hebt. Es ist einfach zu niedlich, wenn er so aufgeregt ist. Schön, dass ich ihn heute Abend noch ins Bett bringen kann.

      „Aber was ist denn so aufregend?“, versuche ich noch einmal.

      „Alles! Das ist alles so aufregend. Freut sich Mama über mein Geschenk? Was bekommt sie sonst noch geschenkt? Wer kommt alles zu Besuch? Was bringen die für Geschenke mit?“

      Er macht eine kurze Pause. Teils um nachzudenken, teils um Luft zu holen. Dann schließt er, fast seufzend:

      „Das ist alles aufregend.“

      „Na, wenn das so ist, dann solltest du jetzt schnell schlafen. Dann ist schnell morgen und du bekommst schnell die ganzen Antworten auf alle deine Fragen.“

      „Ja!“

      Die Antwort kam voller Überzeugung und ich bin froh, dass er so schnell bereit ist zu schlafen. Ich hätte noch ewig weiter mit ihm über seine Aufregung reden können. Aber es ist spät. Florian soll schlafen. Ich habe Hunger. Schnell gebe ich ihm noch einen Kuss und sage:

      „Gute Nacht.“

      Dann stehe ich rasch auf, bevor er es sich anders überlegen kann, und höre noch im Rausgehen sein „Gute Nacht.“

      Unten im Flur treffe ich Ulrike. Sie will direkt an mir vorbeigehen. Mit einem ausgestreckten Arm fange ich sie ab und ziehe sie zu mir heran. Zuerst werden ihre Augen groß. Sie spielt erschrocken. Dann das sanfte Lächeln, für das ich alles tun würde. Dann folgt eine enge Umarmung und ein langer Kuss, bei dem die Umarmung immer enger wird.

      Wie gesagt, ich liebe es die Kinder ins Bett bringen zu können. Ich liebe die Kinder. Aber der Moment, wenn sie dann im Bett sind, hat zweifellos auch sehr angenehme Seiten. Endlich bin ich mit meiner Frau allein.

      „Oh, es ist ja schon gleich halb zehn.“

      Manchmal enden solche Momente viel zu abrupt. Meistens bin ich es, der ein solches Ende einläutet. Oder die Kinder. Aber diesmal war es Ulrike.

      „Ich gehe jetzt fernsehen.“

      Das Wort ‚Ich’ betont sie ganz besonders, denn sie wollte jetzt schließlich ‚Katjas Woche’ schauen. Mein Interesse daran hält sich, wie sie genau weiß, in Grenzen. Da der Quatsch offensichtlich schon angefangen hat, ergänzt sie lächelnd:

      „Dein Abendbrot musst du dir leider selber machen. Ich habe schon mit den Kindern gegessen.“

      Zusammen mit ihrem Lächeln verschwindet sie ins Wohnzimmer. Ich blicke ihr noch nach und gehe in die Küche. Schnell mache ich mir ein Sandwich, schenke mir eine Cola ein und gehe zu ihr auf die Couch. Der Fernseher läuft bereits und Katja Niemann erklärt gerade, wieso der in die Jahre gekommene Tennisstar, Jan Beul, seine Villa in Beverly Hills verkaufen muss. Oh, der Arme hat Ärger mit seinen Nachbarn, einem amerikanischen Footballspieler nebst Familie. Während wir Luftaufnahmen der beiden Villen sehen, erklärt uns Frau Niemann, dass alle Amerikaner sich ausschließlich mit dem Auto bewegen. Sie sagt tatsächlich ‚alle’ und ‚ausschließlich’. Offensichtlich kennt Frau Niemann sie alle, diese Amerikaner, und beobachtet sie tagtäglich. Na ja, Übertreibung veranschaulicht.

      „… die vielen Besucher, die der Footballstar empfängt, müssen alle dicht an dem Anwesen von Jan Beul vorbeifahren und stören ihn nicht nur den ganzen Tag, sondern auch in seiner Nachtruhe …“

      Der Arme.

      „… die gesamte Familie des Tennisstars leidet unter der Situation …“

      Moment mal. Auf den Luftbildern liegt Beuls Villa doch mindestens zweihundertfünfzig Meter von der Zufahrt des anderen Grundstücks entfernt.

      „… daher ließ Beul jetzt durch seinen Anwalt erklären, dass sein Anwesen zum Verkauf steht…“

      Dafür braucht der einen Anwalt? Na gut.

      „… gleichzeitig ließ er alle Gerüchte dementierten, dass finanzielle Probleme seinerseits den Verkauf erforderlich machen …“

      Ach so, nee, nee, da ist sicher nur der Verkehrslärm schuld.

      Drei Minuten Sendezeit, in denen ich Dinge erfahren habe, die ich überhaupt nicht wissen wollte. Wenigstens habe ich die erste Hälfte meines Sandwichs gegessen. Also war die Zeit nicht ganz vergeudet.

      „Paul Heesterings …“

      Wer ist das denn?

      „… trennt sich von seiner Frau Jennifer. Das erklärte der Anwalt des Paares …“

      Schon wieder ein Anwalt, der für seine prominenten Klienten sprechen muss. Können die nicht selbst sagen, dass sie sich trennen?

      „…noch vor wenigen Tagen wurde Heesterings mit dem fünfzehn Jahre jüngeren Topmodel Jessica Panten …“

      Ich glaube, den Namen habe ich wenigstens schon mal gehört. Oder nicht?

      „… in einem New Yorker Szeneclub gesehen …“

      Mein Gott, bin ich eigentlich der einzige Mensch, den das nicht einmal ansatzweise interessiert?

      „… die 27-jährige hatte sich erst vor kurzem von ihrem langjährigen Freund und Manager Marc van Boven getrennt …“

      Den kenne ich auch wieder nicht. Ich habe so große kulturelle Bildungsdefizite.

      „… wie eine Freundin Jessica Pantens verriet, sollen die beiden einen gemeinsamen Urlaub planen …“

      Wie unbedeutend muss diese arme Freundin Jessica Pantens sein, wenn sie nicht einmal namentlich genannt wird. Wenigstens muss ich mich nicht wieder ärgern, dass ich auch ihren Namen nicht kenne.

      Innerhalb von dreißig Sekunden habe ich jetzt vier Nachrichten zu vier verschiedenen Personen gehört. Alles Leute, die ich vorher nicht einmal kannte. Und dabei sind der Anwalt der Heesterings und die Freundin von Jessica Panten noch gar nicht mitgerechnet. Schließlich sind die ja auch nicht namentlich genannt worden.

      Wissen die beim Fernsehen eigentlich welche Menge von Informationen sie zu den einzelnen Prominenten in solchen Sendungen ausstrahlen. Gibt es da Messwerte? Gibt es so etwas wie ‚Prominentennachrichten pro Minute’, den sogenannten PpM-Wert? Sozusagen die Menge an Müll über Prominente, den eine Fernsehmeldung enthält. Vier Nachrichten in dreißig Sekunden, das macht 8 PpM auf der nach oben offenen Katja-Niemann-Skala. Das macht die ganzen Magazine doch erst vergleichbar. Vielleicht sollte man eine solch innovative Idee irgendwo anmelden. Wer weiß, wahrscheinlich gibt es so etwas schon.

      Immerhin habe ich jetzt das ganze Sandwich aufgegessen. Und da erscheint auch wieder das ewig lächelnde Gesicht der Katja Niemann auf dem Bildschirm.

      „Und nun zur Nachricht des Tages …“

      So etwas gibt es bei denen auch? Nachrichten zu Prominenten, die wichtiger sind als andere Nachrichten zu anderen Prominenten? Gibt es womöglich ganze Nachrichtenhierarchien? Man kann also auch die Wichtigkeit der Nachrichten messen? Nicht nur die Anzahl Prominentennachrichten pro Minute?

      Das eingeblendete Bild von Uwe Berghaim schreckt mich auf. Dazu Katjas immer freundliche Stimme.

      „… der 39-jährige hat der Hilfsorganisation ‚Kinder - Unsere Zukunft’ sagenhafte fünf Millionen Euro gespendet …“

      Hoffentlich war mein Interview von heute Nachmittag nicht für Katjas Woche. Welcher Sender war das denn eigentlich? Oben in der Ecke des Bildschirms prangt das Logo von SuperSat. Und was stand da vorhin auf dem Mikrofon? Ich weiß es nicht mehr.

      „… mit dieser Spende soll die in eine finanzielle Schieflage geratene Organisation ‚Kinder - Unsere Zukunft’ vor dem sicheren Aus bewahrt werden…“

      Bisher weiß ja niemand, dass ich überhaupt vor einer Kamera war. Ich habe ja auch Ulrike nichts von dem Interview erzählt. Das glaubt sie mir eh nicht.

      „Auf einer Pressekonferenz kündigte der deutsche Formel-1-Star am Vormittag die Spende