Stefan Nym

Prominent


Скачать книгу

verlangt, dass ich ihr alles erzähle. Vom ersten Ansprechen bis zum Nachgespräch mit der Redakteurin. Am Schluss erzähle ich auch noch, dass ich der Dame meine persönlichen Daten gegeben habe.

      „Na hoffentlich kommt da nicht noch was nach.“

      Jetzt wird sie spöttisch. Eigentlich bin ich es, der immer so vorsichtig ist mit unseren Daten. Meistens ermahne ich auch Ulrike, vorsichtig zu sein. Wenn sie dann doch irgendwo persönliche Daten von uns herausgibt, sage ich oft so Sätze wie, ‚Na hoffentlich kommt da nicht noch was nach.’

      Natürlich will Ulrike auch das diskutieren, was ich gesagt habe. Sie meint, ich hätte mich da ganz schön reingesteigert. Zum Teil auch etwas dick aufgetragen. Wann mir das denn eingefallen sei, fragt sie. Wie ich denn darauf käme, eine solche Spende so negativ zu sehen. Dass ich grundsätzlich etwas gegen alle Prominenten hätte, egal ob Sport, Film oder Show, wusste sie ja, aber dass ich mich hinreißen ließ, eine eigentlich gute Sache so negativ zu sehen und so anzugreifen, das kann sie nicht verstehen. Ich versuche es zu erklären.

      Ich verstehe nicht, dass jemand zweistellige Millionenbeträge im Jahr damit verdient, dass er im Kreis fährt, eineinhalb Stunden einem Ball hinterherläuft oder einfach nur zwei Stunden lang eine Unterhaltungssendung moderiert. Ich versuche zu erklären, dass diese Leute nicht wirklich etwas schaffen, also eigentlich nur von dem leben, was andere schaffen. Und sie leben nicht schlecht. Aber vor allem auf meine Kosten. Ich rede und rede.

      Inzwischen ist es fast zwölf. Ich könnte stundenlang weiter diskutieren. Dabei weiß ich nicht, ob Ulrike mich versteht. Aber immerhin akzeptiert sie meine Meinung. Offensichtlich hat sie aber so langsam sowieso genug. Ein vorsichtiger Versuch von ihr, das Thema zu wechseln:

      „Was hattest du eigentlich heute in der Stadt zu suchen?“

      Ich zögere.

      „Ich musste noch was besorgen.“

      „Ah, der Herr war also noch shoppen. Ich hatte eigentlich gehofft, du kämst etwas früher nach Hause und hilfst mir bei den Vorbereitungen für morgen.“

      Verdammt, jetzt wird sie doch noch sauer. Unbemerkt blicke ich auf die Uhr. Fünf nach zwölf. Meine Rettung.

      „Moment, mein Schatz.“

      Ich springe auf.

      „Ich kann dir das erklären.“

      Mit beiden Zeigefingern zeige ich auf sie und versuche mein überzeugendstes Lächeln.

      „Du musst nur einfach hier sitzen bleiben.“

      Sie schaut mich erstaunt an, bleibt aber sitzen. Ich eile hinaus zu meinem Aktenkoffer und hole die Uhr heraus. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme lächelt Ulrike bereits.

      „Ich musste doch heute noch etwas abholen.“

      Ich reiche ihr das Schächtelchen und setze mich zu ihr.

      „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“

      Sie weiß nicht was drin ist. Das ist sicher. Gespannt reißt sie die Schleife auf, öffnet die Schachtel und strahlt, als sie die Uhr erblickt. Da strahle ich auch. Sie nimmt die Uhr heraus, schaut sie sich an und entdeckt die Gravur. ‚In Liebe, Sven’. Nicht sehr einfallsreich. Fast schon ein bisschen kitschig. Aber Ulrike fällt mir um den Hals. Ich glaube die Uhr gefällt ihr. Arm in Arm gehen wir nach oben. Schön, dass sie vorher ein wenig sauer war. Jetzt können wir uns versöhnen.

      Tag 2: Samstag

      Ein fröhliches ‚Happy Birthday to You’ holt mich aus meinen Träumen. Mein Wecker zeigt sechs Uhr siebenunddreißig. Die Kinder sind offensichtlich ins Schlafzimmer geschlichen, um ihre Mutter zu überraschen. Ich muss lächeln. Auch wenn ich sehr müde bin, freue ich mich darüber, wie eifrig die Kinder sich bemühen, ihrer Mutter eine Freude zu machen. Auch wenn sie jetzt etwas unbeholfen dastehen und aufgeregt ihre Geschenke übergeben.

      Wochenlang hatten sich die beiden auf diesen Moment vorbereitet. Sie waren gemeinsam in den Ort gefahren, um alles für die Geburtstagsgeschenke auszusuchen und hatten sich stundenlang in ihren Zimmern eingeschlossen, um ungestört gemeinsam basteln zu können. Zum ersten Mal hatte ich mich im Vorfeld nicht eingemischt. Die treibende Kraft war dieses Jahr allein Sahra. Sie hatte alles organisiert und vorangetrieben. Wie immer zog Florian mit und folgte seiner Schwester mit Begeisterung. Nun stehen sie da, mit ihren Päckchen in den kleinen Händchen.

      Florian kommt als erster an die Reihe. Mit Küsschen, ‚Herzlichen Glückwunsch!’ und anschließender Umarmung übergibt er seiner gerührten Mutter das kleine, hübsch eingepackte Päckchen mit den vielen Schleifen. Beim Auspacken kommt ein kleines Wolltierchen zum Vorschein. Im Kindergarten hatten sie schon so etwas gebastelt und Ulrike hatte es so niedlich gefunden. Jetzt bekommt sie eines in ihrer Lieblingsfarbe und strahlt.

      „Danke.“

      Dann folgt Sahra. Dieselbe Prozedur, vom Küsschen bis zur Umarmung. Auch das zweite, genau so schön verpackte Paket wird sofort von der leicht verklärt strahlenden Mama geöffnet. Sahra hat ihr ein Bild gemalt. Ein Herz auf einer richtigen Leinwand auf einem richtigen Keilrahmen. Viele Farben, schöne Strukturen. Das ist richtig schön geworden. Damit stellt sie ja sogar mein Geschenk in den Schatten. Bei dem Gedanken muss ich amüsiert lächeln.

      „Danke, meine Süße.“

      Hat sie tatsächlich feuchte Augen? Na ja, ein bisschen stolz bin ich ja auch. Insbesondere deshalb, weil sie das ganz allein hinbekommen haben.

      „Und wo ist dein Geschenk, Papa?“

      Florian fängt mit seiner Aufregung genau da an, wo er gestern aufgehört hat. Ulrike erklärt ihm, dass sie das schon vor dem Schlafengehen bekommen hat und dass wir in ihren Geburtstag ‘rein gefeiert haben. Als sie den Kindern die Uhr mit der Gravur zeigt, sind sie dann auch zufrieden.

       Ulrike steht als Erste auf und macht das Frühstück. Sie steht immer als Erste auf. Meistens hole ich die Brötchen, während sie das Frühstück zubereitet. So läuft es auch heute. Eigentlich wollte ich ja selbst das Frühstück machen, heute, an ihrem Geburtstag. Ich bin morgens eben nicht gerade der Schnellste.

      Schon auf dem Weg zum Bäcker bereite ich mich gedanklich auf den Rest des Tages vor. Die komplette Familie kommt zu Besuch. Den ganzen Nachmittag. Nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Einzeln mag ich sie ja alle sehr gern. Ich mag sie auch sonst. Aber wenn alle gleichzeitig zusammentreffen…

      Da kann ich mir auch etwas Schöneres vorstellen. Zum Glück ist morgen Sonntag. Wenigstens noch ein freier Tag zum Genießen.

      Ulrikes Mutter ist bestimmt die Erste. Sie ist immer die Erste. Ich glaube, sie will immer noch ein paar Minuten mit den Kindern haben, bevor die anderen kommen. Eigentlich will sie sowieso gern viel mehr Zeit mit uns verbringen, das heißt, mit den Kindern. Seit ihr Mann vor fünf Jahren verstorben ist, ist sie halt ein wenig einsam. Sagt jedenfalls Ulrike. Ich denke dann immer, dass es doch vor seinem Tod auch nicht anders war, aber das sage ich natürlich nicht. Was soll’s auch. Außerdem ist sie doch inzwischen wieder eine richtig zufriedene und vergnügte Frau. Auf mich wirkt sie jedenfalls so.

      Als nächstes kommen meine Eltern. Ich mag meine Eltern. Ich liebe sie sehr. Aber, in diesen Familientreffen mit den Bräuers fügen sie sich nach meinem Empfinden zu gut ein. Es läuft immer gleich ab: Alle sitzen zusammen. Alle reden. Alle gleichzeitig. Und ich mittendrin.

      Die einzige Ausnahme ist Stephanie, Ulrikes Schwester. Sie ist Single. Was ich überhaupt nicht verstehe. Sie ist sehr sympathisch, attraktiv und vor allem angenehm zurückhaltend. Die ersten beiden Eigenschaften würde ich Stephanie nicht in Ulrikes Gegenwart zusprechen, das mag sie nicht so. Schließlich kannte ich Stephanie zuerst. Das brachte früher schon ab und zu mal Spannungen mit sich. Aber dass ich Stephanie wegen ihrer Zurückhaltung sehr schätze, weiß Ulrike und amüsiert sich gelegentlich darüber. Stephanie erscheint kurz nach meinen Eltern, aber keiner bemerkt es so richtig.

      Der Kaffeetisch ist längst gedeckt. Alle setzen sich und Ulrike und ich servieren Kaffee und Kuchen. Alle bedienen sich. Alle reden.