Stefan Nym

Prominent


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ich immer nicht so genau, woran ich bin. Sie sagt ja nicht viel.

      Das wäre geschafft. Alle sind weg. Selbst Ulrike atmet tief durch. Auch sie ist offensichtlich erleichtert. Aber die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an.

      „Ihr macht euch jetzt fertig fürs Bett!“, sage ich zu den Kindern. Zum Glück sind sie zu müde um zu widersprechen und gehen wortlos nach oben. Nachdem wir das Gröbste aufgeräumt haben ruft auch schon Sahra von oben:

      „Wir sind fertig!“, und unsere Rituale des Gutenachtsagens werden zelebriert.

      Gerade als ich die Treppe herunterkomme, klingelt das Telefon. Ich bin mir sicher, dass es für Ulrike ist. Trotzdem gehe ich ran:

      „Holstmann.“

      „Hallo Brüderchen!“, erklingt die fröhliche Stimme meiner Schwester am anderen Ende. Simone lebt schon seit drei Jahren in der Schweiz. Daher kann sie nicht an jeder Familienfeier teilnehmen. Mir fehlt sie schon sehr. Sie ist immer so lebendig und aufgedreht. Trotzdem kann man sich auch sehr ernsthaft mit ihr unterhalten.

      „Eigentlich wollte ich ja deiner besseren Hälfte zum Geburtstag gratulieren, aber da ich dich schon mal dran habe“, für einen Moment unterbricht sie sich selbst:

      „Ist die Bagage schon weg?“

      Ich muss lachen.

      „Ja, alle weg.“

      „Fein. Dann haben wir ja Zeit. Kann es sein, dass ich dich gestern im Fernsehen gesehen habe?“

      Oh, damit habe ich nicht gerechnet. Wurde mein Interview sogar in der Schweiz ausgestrahlt?

      „Ja, kann sein“, antworte ich abwartend.

      „Wir können ja mit der neuen Satellitenanlage jetzt alle deutschen Sender sehen. Und gestern habe ich ein wenig herumgezappt und plötzlich warst du in meinem Fernseher.“

      Sie lacht.

      „Aber egal. Ich fand das ganz schön mutig. Bei euch daheim ist der Berghaim doch bestimmt immer noch total populär. Noch populärer als bei uns.“

      „Ja und?“, frage ich verwundert.

      „Na ja, selbst hier in Luzern gibt es Berghaim-Fan-Clubs, die jedes Mal, wenn er gewinnt einen Autokorso starten.“

      „Echt?“

      „Ja, sicher.“

      „Ich glaube, hier käme das nicht so gut an, wenn jemand auf den losgeht.“

      „Ist es dir peinlich, so jemanden als Bruder zu haben?“

      „Nein, nein…“

      „Weiß ja keiner, dass ich dein Bruder bin“, unterbreche ich sie lachend.

      „Nein, das nicht …“

      „Aber?“

      „Nichts aber“, druckst sie herum. So nach und nach kommt sie dann doch mit der Sprache heraus:

      „Na ja, so eine Spende ist doch eine gute Sache.“

      Oh nein. Selbst meine Schwester sieht die Sache anders. Vielleicht liege ich ja doch falsch. Ich versuche ihr die Sache zu erklären. Bringe meine ganzen Argumente noch einmal hervor. Sie hört mir geduldig zu. In einigen Punkten stimmt sie mir zu, aber im Großen und Ganzen kann ich sie nicht überzeugen. Dann setzt sie ihr Hauptargument an:

      „Wo das Geld herkommt, ist doch genau genommen zweitrangig. Hauptsache, es dient dem guten Zeck.“

      Ich bin erschrocken. Meint sie das so oder gehen ihr nur die Argumente aus?

      „Meinst du das ernst?“

      Sie antwortet nicht sofort und ich setzte nach:

      „Meinst du wirklich der Zweck heiligt die Mittel?“

      Wieder antwortet sie nicht und knurrt nur ein wenig.

      „Stell dir mal vor, das Geld würde aus irgendeinem Verbrechen stammen. Ein Überfall, eine Entführung…“

      „Du hast ja recht“, stimmt sie mir zu, will aber noch nicht aufgeben:

      „Aber trotzdem.“

      „Das ist aber auch nebensächlich. Ich sage ja nicht, dass die Spende schlecht ist, weil es aus unlauteren Quellen kommt. Ich sage nur, dass es aus Quellen kommt, die es nicht rechtfertigen, dass der Spender dafür zum Volkshelden wird. Verstehst du?“

      Sie stimmt mir mit einem leisen Brummen zu, obwohl ich selbst nicht genau weiß, ob das jetzt so ganz logisch klingt. Aber ich kann es ad hoc einfach nicht besser ausdrücken. Die Diskussion mit Simone ist nicht schlecht. Ich merke, dass ich mich überall rechtfertigen muss. Was habe ich da bloß angerichtet. Ist meine Meinung denn so falsch?

      Noch einmal wiederhole ich meine komplette Argumentation, diesmal mit anderen Worten. Simone hört geduldig zu. So geduldig hört einem nur eine Schwester zu. Mein Schwager hätte längst aufgelegt. Ich drehe die Sache hin und her und merke, dass Simone mich immer besser versteht.

      „Na ja, irgendwo hast du ja recht“, meint sie schließlich.

      In dem Moment kommt Ulrike an mir vorbei und fragt leise, mit wem ich denn da so lange telefoniere.

      „Ist ja eigentlich auch nicht so wichtig“, sage ich zu Simone, „eigentlich wolltest du ja deine Schwägerin sprechen und nicht mich.“

      Ulrike lächelt.

      „Schließlich ist sie heute die Hauptperson.“

      Simone stimmt mir zu. Wir verabschieden uns und ich gebe den Hörer an Ulrike weiter. Die beiden reden noch eine ganze Zeit. Ich höre nicht zu, sondern lege mich auf die Couch. Langsam wird mir das Ganze zu viel.

      Irgendwann setzt sich Ulrike zu mir. Es ist spät.

      „Wir sollten ins Bett gehen“, sage ich, doch Ulrike scheint noch gar nicht so müde zu sein. Oder sie ist einfach noch ein wenig aufgedreht.

      „War aber doch nett heute, oder?“, fragt sie vorsichtig. Ich versuche genau so vorsichtig zu antworten:

      „Ja, für ‘ne Familienfeier schon recht nett.“

      „Fand ich auch.“

      „Das ist ja auch das Wichtigste“, ich versuche jetzt einen ruhigen Ausklang, „schließlich ist es ja dein Geburtstag. Da sollst du dich wohl fühlen.“

      Ich setze mich auf und gebe ihr einen Kuss. Sie lächelt. Aber damit ist sie noch nicht zufrieden:

      „Aber musstest du so verbissen mit meinen Bruder diskutieren?“

      So einfach ist es denn doch nicht, den Abend nett ausklingen zu lassen.

      „Ach komm, so schlimm war es doch gar nicht.“

      Ich versuche auszuweichen. Muss ich mich denn schon wieder rechtfertigen? Diesmal für meine eigene Rechtfertigung?

      „Also ich fand das schon ein wenig unangenehm.“

      Offensichtlich muss ich mich rechtfertigen. Und wieder fange ich von vorne an. Ulrike hört noch einmal meine ganze Argumentation. Diesmal in Kurzform, aber dafür ja auch schon zum vierten Mal.

      „Aber du weißt doch, dass Thomas ein Berghaim-Fan ist. Und das schon seit Jahren.“

      „Ich kann doch nichts dafür, dass dein Bruder Berghaim-Fan ist. Das tut doch auch gar nichts zur Sache. Ich kann doch nicht bei so einem Straßeninterview berücksichtigen, dass ich vielleicht etwas sage, was meinem Schwager nicht passt.“

      Ulrike schaut mich nickend an.

      „Und dass das, was ich gesagt habe, nicht jedem passt, merke ich selbst. Auch meine Schwester hat sich eben beschwert. Aber die hört mir wenigstens zu, im Gegensatz zu deinem Bruder.“

      „Ja, aber er ist halt fanatisch von Berghaim überzeugt.“