Stefan Nym

Prominent


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die Bude. Die beiden haben tausend Dinge zu erzählen. Von dem Moment als sie zur Tür hereinkommen reden sie ohne Unterbrechung. Ich habe das schon lange nicht mehr erlebt. Höchstens als ich letztes Jahr krank war. Die Kinder können sich offensichtlich noch erinnern. Sie wundern sich nicht einmal darüber, dass ich zu Hause bin.

      „Geht das hier Mittags immer so zu?“, frage ich und Ulrike antwortet:

      „Nein.“

      Sie schmunzelt.

      „Normalerweise ist es noch schlimmer.“

      Zum Glück macht sie wieder Späße. Ein gutes Zeichen. Es geht ihr offensichtlich etwas besser. Ich genieße den Trubel fast ein bisschen. Er bringt mich auf andere Gedanken. Fast vergesse ich das verdammte Interview. Fast.

      Am Tisch werden die Kinder langsam ruhiger. Entweder gehen ihnen die Themen aus oder sie haben bei dem guten Essen keine Lust mehr zu erzählen. Nach einer kurzen Zeit der Stille platzt es plötzlich aus Sahra heraus:

      „Papa?“

      „Ja?“

      So fangen viele Dialoge zwischen meiner Tochter und mir an. Entweder, sie will etwas von mir, oder, sie traut sich nicht so recht, eine bestimmte Frage zu stellen. Nach diesem Auftakt und angespornt durch mein Bemühen um ein aufmunterndes Lächeln, traut sie sich doch:

      „Hast du wirklich der ‚Kinder - Unsere Zukunft’ fünf Millionen Euro weggenommen?“

      So schnell kommt man auf den Boden der Tatsachen zurück.

      Und das mit einer so einfachen Zusammenfassung. Die letzten drei Tage in einem Satz. So geht das. Kindermund tut Wahrheit kund. Sagt man jedenfalls.

      „Du hast einfach gesagt, die sollen das Geld nicht haben? Stimmt das?“

      „Wo hast du das denn her?“

      „Kim hat das gesagt.“

      „Wer ist Kim?“

      Ulrike springt ein und erklärt, dass Kim mit Sahra in eine Klasse geht. Dabei habe ich wieder das Gefühl, viel zu wenig von meinen Kindern zu wissen. Aber das bilde ich mir sicher nur ein. Welcher arbeitende Vater kennt schon alle Klassenkameraden seiner Kinder?

      „Und wo hat Kim das denn her?“, frage ich weiter. Irgendwo muss es ja herkommen. Selbst ausgedacht haben sich die Kinder das sicher nicht. Bisher haben wir mit den Kindern darüber ja noch nicht gesprochen. Mal sehen, was sie jetzt so sagt.

      „Kim hat gestern mit ihren Eltern die Nachrichten gesehen. Und da hat sie dich erkannt, hat sie gesagt.“

      Sahra schaut mich fragend an. Da ich nichts sage, fährt sie fort.

      „Sie hat dann ihre Eltern gefragt, warum du im Fernsehen bist. Ihr Vater hat ihr dann erklärt, dass du im Fernsehen sagst, dass dieser Uwe Berghaim, oder wie der heißt, kein Geld für ‚Kinder - Unsere Zukunft’ spenden soll. Und dabei wollte er fünf Millionen Euro spenden. Und die hätten das Geld dringend gebraucht, um armen Kindern zu helfen. Und nun bekommen die das Geld nicht.“

      Es dauert fast eine Stunde, Sahra einigermaßen verständlich zu machen, was da passiert ist. Es ist auch schwer das zu erklären. Die Zusammenhänge sind einfach viel zu komplex. Die Situation im Büro heute Morgen habe ich schon weggelassen. Doch dann meldet sich Florian zu Wort:

      „Kann ich jetzt auch mal was fragen?“

      „Ja klar.“

      Hoffentlich hat ihn jetzt nicht auch noch jemanden auf das Thema angesprochen.

       „Was ist denn eigentlich dieses ‚Kinder - Unsere Zukunft’?“

      Ich atme tief durch.

      „Weißt du, es gibt bei uns in Deutschland viele Kinder, denen es nicht so gut geht. Meistens haben sie oder besser ihre Eltern nicht genug Geld. Zum Beispiel weil die Eltern krank sind. Oder arbeitslos. Oder ein Elternteil ist sogar gestorben. Sie haben einfach nicht genug, um sich satt zu essen oder ordentlich anzuziehen. Und für Spielsachen ist dann erst recht nicht genug Geld da. Und ‚Kinder - Unsere Zukunft’ ist eine Organisation - also so eine Gruppe von Menschen - die sich darum kümmern, dass es den Kindern besser geht. Sie sorgen dafür, dass alle Kinder genug zu Essen haben, genug zum Anziehen und vielleicht auch mal in den Urlaub fahren können.“

      „Aha“, sagt Florian zögerlich, scheint aber nicht so richtig zu verstehen. Da hakt Ulrike ein:

      „Bei euch in der Schule bekommen doch einige Kinder mittags was zu essen?“

      „Ja!“

      „Siehst du, und das Essen machen die von ‚Kinder - Unsere Zukunft’.“

      Ich sollte Ulrike so was immer gleich erklären lassen. Damit scheint mir die Sache erledigt, aber weit gefehlt:

      „Aber das Essen schmeckt nicht!“

      „Woher weißt du das?“, frage ich irritiert.

      „Basti sagt, da gibt es immer nur Kohlsuppe oder Milchreis. Nie mal irgendwas mit Fleisch. “

       „Basti geht in Florians Klasse. Sein Vater ist seit zwei Jahren arbeitslos“, versucht Ulrike meine offensichtlich nicht zu übersehende Wissenslücken zu schließen.

      „Und Basti war auch noch nie im Urlaub, hat er gesagt.“

      „Weißt du, ‚Kinder - Unsere Zukunft’ versucht allen Kindern zu helfen, aber sie haben nicht genug Geld, um jeden Tag für alle Kinder Fleisch zu kaufen, oder allen Kindern jedes Jahr einen Urlaub zu bezahlen.“

      Florian schaut mich enttäuscht an:

      „Aber dann hätten die doch das viele Geld wirklich gebrauchen können. Wieso hast du denn gesagt, sie sollen das nicht kriegen?“

      Es ist wirklich nicht einfach, den Kleinen das klar zu machen. Aber ich fange einfach noch einmal von vorne an. Hoffentlich verstehen sie mich diesmal besser.

      Irgendwie macht es mir Angst, dass meine Kinder glauben, ich würde ‚Kinder - Unsere Zukunft’ das Geld wegnehmen. Wenn die beiden das von mir glauben, was glauben dann erst Menschen, die mich nicht kennen. Was habe ich da nur angerichtet. Hoffentlich ist der ganze Spuk bald vergessen.

      In dem Moment, in dem ich zurück in mein Arbeitzimmer komme, klingelt mein Handy. Perfektes Timing. Zum Glück hat vorher niemand angerufen, sonst hätten wir den Kindern das Ganze immer noch nicht erklären können. Ich schließe die Tür und gehe ran. Es ist Berger. Er braucht Hilfe. Klar helfe ich ihm wo ich kann. Aber irgendwie ist die Verbindung gestört. Ich bitte ihn über das Festnetz anzurufen. Dann kann ich auch das bessere Headset benutzen. Nach dem Auflegen schalte ich das Handy aus.

      Fünf Minuten warte ich auf Bergers Rückruf. Dann erst prüfe ich das Telefon. Tod. Was hab ich da denn wieder falsch gemacht? Klar, ich habe alle Telefon auf meines gelegt. Aber meines habe ich sonst immer, und eben auch jetzt, auf das im Wohnzimmer gelegt. Deswegen konnte auch den ganzen Tag keiner anrufen. Der Fehler ist schnell behoben und sofort klingelt das Telefon. Es ist Berger. Er mault ein wenig rum, dass er mich nicht gleich erreichen konnte. Ich erspare uns einen Erklärungsversuch.

      Für die Projektliste brauchen wir etwas länger. Der Berger ist ein intelligenter Kerl, aber viel Erfahrung hat er noch nicht. Für ihn ist es sicherlich kein Klacks, alle meine Projekte zu übernehmen. Wir brauchen über drei Stunden. Aber er macht sich gut. Er sieht das für sich als Chance, sagt er. Soll er ruhig. Dann gibt er sich jedenfalls Mühe. Wir verabreden täglich miteinander zu telefonieren. Das wird schon werden.

      Nach dem Auflegen dauert es keine zwei Minuten und das Telefon klingelt erneut. Thomas ist dran.

      „Hallo Schwager, was machst du denn um diese Zeit zu Hause?“

      „Home Office“, antworte ich knapp. Hätte ich doch bloß nicht abgenommen. In meinem Arbeitszimmer-Telefon habe ich kaum Nummern der Familie abgespeichert. Darum wurde auch nur die Nummer angezeigt und die kenne ich natürlich nicht auswendig. Sonst hätte ich sicher nicht abgenommen.