Stefan Nym

Prominent


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sich auch heute gleich zurück in Florians Zimmer. Ulrike hat ihnen dort einen eigenen Tisch gedeckt, den Katzen-Tisch.

      „Hallo, du Fernsehstar“, begrüßt mich Monika.

      Sie hat mich also gesehen.

      „Wir haben dich gestern zufällig gesehen.“

      Ulrikes Bruder hat es also auch gesehen.

      Nach dem allgemeinen ‚Hallo’ sind nun alle Plätze am Kaffeetisch besetzt. Wieso muss ich eigentlich zwischen Ulrikes Bruder und ihrer Mutter sitzen? Von der anderen Seite des Tisches lächelt mir Stephanie zu. Weiß sie was ich denke? Bei ihr bin ich mir da nie so sicher. Ich lächle zurück. Obgleich alle außer uns beiden zu reden scheinen, glaube ich einen Moment lang, dass wir die beiden Einzigen sind, die sich wirklich verstehen. Verlegen schaue ich auf meinen Teller. Dann rüber zu Ulrike. Sie unterhält sich angeregt mit ihrer Mutter. Sie sitzt zwischen unseren beiden Müttern und scheint sich da auch sehr wohl zu fühlen.

      Thomas stößt mich von der Seite an. Damit stellt er sicher, dass ich mich in jedem Fall zu ihm umdrehe. Irgendwie sträuben sich bei mir in solchen Momenten immer meine Nackenhaare. Es ist irgendwie unangenehm aufdringlich.

      „Sag mal, was war das denn gestern? Da hast du ja ganz schön auf den Putz gehauen. Ein Wunder, dass die so etwas überhaupt senden. Das kann doch nicht dein Ernst sein. Hast du denn überhaupt keinen Respekt vor dem Mann? Uwe Berghaim. Achtmal Formel-1-Weltmeister. Der Mann hat so viel geleistet. Er hat aus Deutschland wieder eine Größe in der Formel-1 gemacht.“

      Er redet sich richtig in Rage.

      „Und jetzt noch diese Spende. Fünf Millionen Euro. Für die Kinder hier im Land. Für die Zukunft Deutschlands.“

      Er hat nichts von dem verstanden, was ich in dem Interview gesagt habe.

      „Und du kommst daher und kritisierst den Mann. Was denkst du dir eigentlich dabei?“

      Ohne Punkt und Komma redet er drauf los. Stellt eine Frage nach der anderen, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten. Thomas kommt so richtig in Fahrt und wird sogar etwas laut. Jetzt hören alle am Tisch zu.

      „Als ob du mehr leistest.“

      Soll ich drauf eingehen? Na gut, er will es so.

      „Es geht doch nicht darum, was ich geleistet habe. Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und die habe ich geäußert.“

      „Was für eine schwachsinnige Meinung…“

      Ich lasse mich nicht unterbrechen.

      „Hast du denn überhaupt zugehört, was ich da gesagt habe?“

      „Du hast mit deiner sogenannten Meinung eines der wenigen deutschen Idole in den Schmutz gezogen.“

      „Nein, nein. Meine Frage war, ob du gehört hast, was ich gesagt habe? Nicht was deiner Meinung nach meine Äußerungen bewirkt haben.“

      Thomas schaut mich fragend an.

      „Ob du verstanden hast was ich da gesagt habe?“

      „Ja, du hast gesagt, die Spende sei doch ‘ne ganz alberne Show.“

      „Siehst du!“

      „Was sehe ich?“

      „Du hast offensichtlich nicht ein Wort verstanden. Du denkst dir doch nur deinen Teil und ziehst Schlussfolgerungen aus deinen Gedanken.“

      Das überfordert Thomas endgültig. Dafür springt jetzt seine Frau für ihn ein.

      „Du meckerst doch nur an allem rum.“

      Das ist zu albern um ernsthaft darauf einzugehen. In aller Ruhe erkläre ich meine Sicht der Dinge: Berghaim verdient viel Geld. Das Geld erwirtschaftet er nicht, da er nichts produziert. Das Geld verdient er vorrangig mit Werbung, bekommt es also vom kleinen Mann, der sich dagegen gar nicht wehren kann. Für sein Einkommen zahlt Berghaim in Deutschland kaum Steuern, da er im Ausland lebt. Dem Staat fehlt das Geld, das ja eigentlich in Deutschland erwirtschaftet wurde. Beispielsweise fehlt es bei der Versorgung hilfsbedürftiger Kinder. Dass Herr Berghaim nun einen Teil des Geldes als Spende zurück nach Deutschland fließen lässt, macht ihn eben nicht zum Volkshelden. Dazu wird er erst durch die Medien, die dabei auch noch mitverdienen.

      Für einen Moment ist Ruhe. Ich denke jetzt haben sie es verstanden, da holt mich Monika wieder in die Realität zurück:

      „Aber das kannst du doch nicht im Fernsehen sagen.“

      „Wenn ich aber doch danach gefragt werde, und zwar vom und im Fernsehen?“

      „Trotzdem.“

      Monikas Antwort ist so entwaffnend sinnfrei, dass sie mir die Sprache verschlägt. Zum Glück eilt Ulrike mir zur Hilfe.

      „Aber selbst Katja Niemann hat gesagt: ‚… und vielleicht hat ja auch jeder für sich, mit seiner Meinung irgendwo recht.’ Und damit hat sie bestimmt Sven gemeint.“

      Ich staune über meine Frau. Oder will sie nur die Diskussion beenden, damit wieder Frieden in der Familie herrscht? Oder hält sie es nur deswegen für richtig, weil Katja Niemann es gesagt hat? Nein, da tue ich meiner Frau unrecht.

      „Und irgendwo hat jeder das Recht auf seine Meinung.“

      Sie will also doch nur Frieden schaffen. Und ihre Mutter hilft ihr dabei, wenn wahrscheinlich auch nur ungewollt.

      „Mir hat die Sendung gestern sowieso nicht so gefallen. Ich hatte schon nach der Hälfte umgeschaltet …“

      Sie spricht jetzt wieder mehr zu Ulrike und das allgemeine Gemurmel setzt wieder ein. Mir geht schon wieder alles auf die Nerven. Mit den Worten „ich seh’ mal nach den Kindern“ stehe ich auf. Gehört hat mich sowieso keiner, aber das interessiert mich jetzt auch nicht.

      Ich steige die Treppe hinauf. Anstatt ins Kinderzimmer gehe ich ins Schlafzimmer und schaue aus dem Fenster.

      Ich bin achtunddreißig Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Beruflich relativ erfolgreich. Und jetzt schleiche ich hier in meinem eigenen Haus herum und verstecke mich vor meinen Gästen. Irgendwas stimmt hier nicht. Wer bin ich denn eigentlich?

      Ein paar Augenblicke schaue ich noch auf die Straße. Zwei oder drei Autos fahren vorbei, dann eine Horde spielender Kinder. Ein ganz normaler Samstag.

      In Florians Zimmer wird artig gegessen. Sahra versucht bei den Kleineren für Ordnung zu sorgen. Erstaunlicherweise sogar mit Erfolg.

      Langsam gehe ich wieder hinunter und setze mich an den Tisch. Still sitze ich da und höre, wie sie darüber sprechen, wie anstrengend die Fahrt hierher war, wie schön der Sommer ist, wie krank irgendeine Nachbarin ist, die ich nicht kenne, und so weiter und so weiter.

      Warum nennt man das eigentlich ‚Geburtstagsfeier’? Sitzen, essen, reden. Ist das eine ‚Feier’? Und was bedeutet es dann, ‚jemanden zu feiern’? Muss man denjenigen, den man feiert, sitzen lassen? Muss man ihn gar essen? Mit ihm reden? Was ist denn überhaupt eine ‚Feier’? Plötzlich verstehe ich dieses Wort nicht mehr. Habe ich das Wort überhaupt schon mal verstanden? Es kommt mir plötzlich absurd vor. Über das Wort ‚Feier’ nachzudenken ist besser, als den anderen zuzuhören. Und es ist besser, als über mich selbst nachzudenken. Oder über die ganze Welt nachzudenken. Wie wäre es mal mit gar nicht denken?

      Meine Blicke kreuzen sich mit denen von Stephanie. Sie sagt die ganze Zeit überhaupt nichts. Ich ja auch nicht. Mit ihr könnte man vielleicht das Wort ‚Feier’ diskutieren. Vielleicht aber auch nicht. Mit ihr aber am ehesten.

      Der Kaffeetisch wird abgedeckt. Die Kinder kommen kurz herunter, langweilen sich aber nur und verschwinden wieder. Das Abendessen wird serviert. Und nach ein paar Stunden ist die Feier zu Ende. Wie immer brechen alle auf einmal auf. Die Kinder werden gerufen. Vor der Toilette bildet sich eine Schlange. Alle verabschieden sich von allen, umarmen einander und bedenken sich gegenseitig mit netten Abschiedsfloskeln.

      Auch Stephanie umarmt mich und sagt leise: