Stefan Nym

Prominent


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meint mich.

      „… ich lasse mich nicht von irgendeinem verwirrten Menschen, in den Dreck ziehen…“

      Ich fasse es nicht.

      „… nach reiflichen Überlegungen habe ich daher - zusammen mit meiner Familie - beschlossen…“

      Jetzt macht er auch noch auf Familie.

      „… von meinem Spendenvorhaben Abstand zu nehmen.“

      Er grinst in die Kamera. Sein dümmlich überhebliches Grinsen unter seiner noch dümmlicheren Mütze. Wer trägt schon in irgendeinem Hotel in einem Veranstaltungsraum während einer Pressekonferenz eine Mütze. Nur diese Spinner, die mit den darauf abgebildeten Markenzeichen auch noch Geld verdienen. Der verdient jetzt mit der Rücknahme der Spende auch noch Geld. Unglaublich.

      Und wieder meldet sich die Stimme des Nachrichtensprechers:

      „Damit fehlen ‚Kinder - Unsere Zukunft’ fünf Millionen Euro. Fünf Millionen Euro, die der Hilfsorganisation das Überleben gesichert hätten.“

      Jetzt wird der ja schon fast polemisch.

      „Schauen wir doch noch einmal, wie es zu dieser Situation kommen konnte …“

      Mein Bild erscheint auf der Mattscheibe.

      Ja, ja, ich war’s.

      „Dieser Mann hatte die Spende für die Hilfsorganisation am Freitag in einer Spontanumfrage des Senders SuperSat heftig kritisiert…“

      Ich habe nicht die Spende kritisiert. Was ist das denn für eine Berichterstattung?

      Der Originalton setzt ein:

      „Das ist doch ‘ne ganz alberne Show.“

      Noch einmal wird das Interview in voller Läge ausgestrahlt. Jedenfalls die Version in der es bei SuperSat gelaufen war. Fassungslos sehe ich mir selbst zu. Bis zum bitteren Ende. Bis wieder der Nachrichtensprecher zu sehen ist. Ich höre nicht mehr zu. Nehme kaum noch etwas wahr.

      Plop.

      Ich drücke die Fernbedienung und der Fernseher wird schwarz. Ulrike schaut mich entsetzt an.

      „Die machen dich fertig.“

      Ich weiß nicht was ich antworten soll. Dafür ergänzt Ulrike:

      „Die machen uns fertig!“

      „Ach was, nun mach dich mal nicht verrückt. Morgen ist das Ganze schon wieder vergessen.“

      Wem versuche ich da etwas vorzumachen? Die Pressekonferenz ist vor zwei, vielleicht drei Stunden gelaufen. Wir hatten seither elf Anrufe. Das wundert mich jetzt gar nicht mehr. Vor allem wundert mich der Anruf von Susanne Häusler nicht mehr. Die wird sich sicher morgen wieder melden. Hoffentlich gibt sie meine Daten nicht weiter. Aber warum sollte sie das tun. Noch hat sie mich exklusiv.

      Das Telefon reißt mich aus den Gedanken. Offensichtlich haben noch mehr Bekannte oder Verwandte mich im Fernsehen erkannt. Ich ziehe einfach den Stecker vom Telefon aus der Dose und gehe nach oben. Ulrike kommt nach. Wir sprechen kein Wort mehr, außer einem leisen ‚Gute Nacht’.

      Tag 4: Montag

      „Schönen guten Morgen, Herr Holstmann.“

      Kann es sein, dass unsere Empfangsmitarbeiterin heute besonders freundlich ist? Oder bin ich nur besonders schlecht gelaunt.

      „Morgen Frau Schreiber.“

      „Sie werden schon von allen Seiten gesucht.“

      „Ich bin sicher, Sie haben mir zu allen Anrufen ‘ne Mail geschickt.“

      „Aber sicher!“

      Frau Schreiber ist sehr nett und freundlich. Immer hilfsbereit und sehr zuverlässig. Aber heute Morgen geht sie mir ein wenig auf die Nerven. Ohne ein weiteres Wort gehe ich in mein Büro. Hoffentlich treffe ich jetzt niemanden auf dem Flur. Geschafft. Am liebsten würde ich mich einschließen. Sogar im Radio habe ich von meinem Interview und den Folgen gehört. Wahrscheinlich suchen mich jetzt deshalb auch alle. Habe ich zu Hause überhaupt den Telefonstecker wieder eingestöpselt? Egal. Hat Ulrike wenigstens ihre Ruhe.

      Aber wenn was Wichtiges ist? Ich sollte sie anrufen. Aber wie, wenn doch das Telefon nicht an ist? Ich bin heute echt nicht gut drauf. Ich kann ‘s ja am Handy versuchen. Später vielleicht.

      Auf meinen Schreibtisch liegt eine Zeitung. Was soll das denn? Die ‚News’. Die berühmte Zeitung mit den vier Buchstaben. Die, die niemand kauft und alle lesen. Die Tageszeitung mit der höchsten Auflage im ganzen Land. Wer hat die denn hier hingelegt?

      Oh nein. Jetzt erkenne ich es erst. Das bin ja ich auf dem Foto. Links auf der Titelseite. Und rechts daneben, Uwe Berghaim.

      Die Überschrift ist der Hammer: „Dieser Mann stoppt Berghaims Großzügigkeit!“ Ich habe das Gefühl, mein Herz bleibt stehen. Den Text brauche ich eigentlich gar nicht erst zu lesen. Klar, was da drin steht. Ich komme auch gar nicht dazu. Als ich das Blatt in die Hand nehme fliegt auch schon die Bürotür auf.

      „Was machst du denn hier?“

      Mein Chef ist bekannt dafür, sich nicht mit langen Vorreden aufzuhalten. Normalerweise weiß ich diese Eigenschaft sehr zu schätzen, aber heute fliegt er wirklich mit der Tür ins Haus, respektive ins Büro.

      „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Dieter.“

      „Komm’ mir jetzt nicht so.“

      Ich habe Dieter noch nie so erlebt. Was regt ihn denn bloß so auf? Es muss ihm doch klar sein, dass ich nichts dafür kann, wenn plötzlich alle über mich herfallen. Aber er fängt gerade erst an.

      „Was denkst du dir bloß?“

      „Ich kann …“

      Er lässt mich gar nicht zu Wort kommen.

      Dieter ist sonst die Ruhe selbst. Wir kommen bestens miteinander klar. Genau genommen hält er mir immer den Rücken frei. Ein idealer Chef so zusagen. Sicherlich setzt er auch mal seine Meinung durch. Gelegentlich geraten wir auch aneinander. Aber so ein emotionales Gespräch hatten wir sicherlich noch nie.

      „Was denkst du denn, wie die Kunden darauf reagieren?“

      Ah, daher weht der Wind. Dieter hat immer die Kunden besser im Blick als ich. Fachlich macht er mir sicherlich nichts vor, aber mit den Kunden kann er eindeutig besser. Da brauche ich ihn einfach. Aber übertreibt er jetzt nicht? Kann mein Interview und das ganze Drumherum wirklich eine Kundenbeziehung gefährden?

      „Der Schmidt hat mich heute Früh schon auf dem Handy angerufen.“

      Es kann.

      „Schon vor acht. Eine Stunde habe ich mit ihm telefonieren müssen.“

      Herr Schmidt ist der Organisationsleiter eines großen Chemie-Unternehmens, NCL. Unser wichtigster Kunde. Ich begleite zwar nur ein Projekt der NCL, aber insgesamt machen wir einen Großteil unseres Umsatzes mit denen.

      „Er hat sich maßlos aufgeregt.“

      Ist der auch Berghaim-Fan. Aber dann würde er sich doch nicht so aufregen. So fanatisch kann der doch nicht sein. Das hätte ich doch schon vorher mal gemerkt. Ich schau Dieter fragend an.

      „Du hast keine Ahnung, oder?“

      Ich schaue immer noch fragend.

      „Du machst ja einen Superjob hier. Keiner arbeitet so schnell und zuverlässig wie du. Du führst Projektteams wie kein anderer. Damit hältst du jedes Projekt in der Waage. Alle Kunden sind superzufrieden mit dir. Aber manchmal fehlt dir echt der Überblick.“

      Er lacht kurz und trocken und schüttelt den Kopf. Ein tiefes Seufzen.

      „Fast schon naiv kommst du daher.“

      Jetzt reicht es aber.

      Er holt die Zeitung von meinem Schreibtisch und tippt auf das