Stefan Nym

Prominent


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ja wohl doch nichts.“

      Das wird sicherlich kein langes Telefonat. Ich stehe vom Stuhl auf und gehe schon mal Ulrike suchen.

      „Da hat der Berghaim dir ganz schön einen reingewürgt, hm?“

      Ulrike steht in der Küche und bereitet das Abendbrot vor.

      „Hab’ ich dir doch gleich gesagt, dass du dem nicht das Wasser reichen kannst. Du kannst doch so einen Typen nicht in der Öffentlichkeit ans Bein … na, du weißt schon.“

      Er lacht. Über sich selbst.

      „Ist doch klar, dass du da den Kürzeren ziehst.“

      „Du wolltest bestimmt mit deiner Schwester sprechen?“, unterbreche ich ihn und rede auch sofort weiter, ohne eine Antwort anzuwarten, „ich geb’ sie dir mal.“

      Ulrike rollt mit den Augen, greift aber direkt nach dem Telefonhörer. Ich gehe hinaus. Ich will sicherlich nicht hören, was die zu besprechen haben. Zurück im Arbeitszimmer lehne ich mich zurück. Thomas dieser Idiot. Der hat doch überhaupt keine Ahnung was passiert ist. Der hat grundsätzlich keine Ahnung.

      Hoffentlich setzt er jetzt nicht auch noch Ulrike zu. Zuzutrauen wär’s ihm. Rücksicht und Einfühlungsvermögen zählen leider nicht zu seinen Stärken. Vielleicht hat er ja Recht. Aber das hätte ich doch alles so nicht kommen sehen können. Hätte ich wissen müssen, dass die das senden, dass Berghaim das sieht, dass Berghaim darauf so reagiert, dass einer der Sponsoren unser Kunde ist, dass alle, selbst die Klassenkammeraden meiner Kinder, darüber sprechen? Hätte ich das alles vorhersehen können?

      Vor meinen Augen taucht eine Hand mit einem Telefonhörer auf.

      „Wo bist du denn?“, fragt Ulrike, die das Telefon zurückbringt.

      „Hab’ nur geträumt. Gab ‘s noch was Neues?“

      „Nein, er wollte nur wissen, was wir mit Mutters Geburtstag machen wollen. Sie wird immerhin 70 dieses Jahr.“

      Na, da hat mein Schwager richtig wichtige Themen gehabt. Oder den richtigen Vorwand. Wahrscheinlich versucht er schon den ganzen Tag anzurufen. Egal, Hauptsache er hat Ulrike nicht wegen des Interviews genervt.

      Ich bekomme noch einen Kuss von meiner Frau, beginne gerade ihn zu genießen, da klingelt das Telefon schon wieder. Sie lächelt mich an und geht zurück in die Küche.

      „Holstmann.“

      „Susanne Häusler, guten Tag Herr Holstmann. Erinnern Sie sich noch an mich.“

      „Aber sicher, wie könnte ich die Redakteurin des einzigen Fernsehinterviews vergessen, das ich je gegeben habe.“

      Sie lacht.

      „Und je geben werde!“

      „Wenigstens haben Sie Ihren Humor noch.“

      „Viel mehr bleibt mir ja auch bald nicht mehr.“

      „Berghaims Reaktion hat ihnen ganz schön zugesetzt, hm?“

      „Nicht nur das.“

      „Wieso?“

      Ich erzähle ihr von meinem Morgen im Büro, vom Home Office, davon, dass das Telefon permanent klingelt und davon, dass selbst meine Kinder zeitweise glauben, ich würde ‚Kinder - Unsere Zukunft’ das Geld wegnehmen.

      „Das tut mir leid.“

      „Sie können ja nichts dafür.“

      „Ein wenig schon. Schließlich habe ich auch dafür gestimmt, dass Ihr Interview gesendet wird.“

      „Danke.“

      Ich sage das leicht gereizt, meine es aber nicht so.

      „Aber ich habe der Niemann auch den Schlusssatz formuliert. Sie wissen schon: ‚Na ja, das sieht dann wohl jeder etwas anders … und vielleicht hat ja auch jeder für sich, mit seiner Meinung irgendwo recht.’“

      „Das waren Sie. Die Niemann sagt so was nicht einfach so?“

      Sie lacht verhalten aber sichtlich amüsiert.

      „Was denken Sie denn. Okay, bei uns wird Satz für Satz von der Redaktion formuliert, redigiert, noch mal redigiert und zum Schluss zwei Mal genehmigt. Dann erst darf die Niemann alles vorlesen. Das ist bis ins Detail geplant.“

      Ich bin beeindruckt.

      „Das ist nicht bloß alles Zufall?“

      „Ganz sicher nicht.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Okay, ich erkläre ihnen das Ganze jetzt einmal. Aber kommen Sie ja nicht auf die Idee mich irgendwo zu zitieren! Haben Sie mich verstanden?“

      Meine Aufmerksamkeit ist plötzlich wieder voll da.

      „Aber sicher. Alles was Sie sagen bleibt unter uns.“

      „Jeder in diesem Spiel weiß genau was er sagt und tut. Zumindest meistens. Jeder Prominente muss da hart dran arbeiten. Und wer sich nicht sicher ist, was er sagen oder tun soll, der lässt sich beraten. PR-Berater, Medien-Berater und Was-Weiß-Ich-Berater für die Prominenz aus Sport, Film und Entertainment. Reporter, Redakteure und Chefredakteure für die Moderatoren und alle, die in den Medien sichtbar sind. Alles ein offenes Spiel. Jeder gegen jeden. Wer einen Fehler macht ist draußen. Deswegen legt sich jeder seine Strategie zurecht. Jeder einzelne Zug ist wohl inszeniert. Eine mediale Inszenierung sozusagen.“

      Ich habe das Gefühl, von einem Wisssenden in die Absurditäten einer fremden Welt eingeweiht zu werden. Frau Häusler bringt mir in meiner Unwissenheit eine Offenbarung.

      „Auch bei Berghaim ist jede Aktion geplant. Jedes Lächeln, das er uns über die Kamera schenkt, jeder Satz, den er spricht, und vor allem jede Spende ist wohl geplant.“

      Jetzt sitze ich senkrecht auf meinem Stuhl und hänge an jedem Wort von ihr.

      „Wissen Sie, wofür Herr Berghaim Werbung macht?“

      „Für Motorenöl“, sage ich voller Stolz auf mein heute neu erworbenes Wissen, muss mich aber im nächsten Moment belehren lassen.

      „Nein, nein, dass sind die Sponsoren. Die zahlen im Prinzip nur an den Rennstall. Aber es gibt auch Firmen für die Berghaim direkt Werbung macht.“

      Nach kurzem Nachdenken antworte ich:

      „Diana Kaffee und Sahro Bonbons.“

      „Stimmt, oder besser: Stimmte. Diana hat den Vertrag vor drei Monaten auslaufen lassen und Sahro verzichtet seit sechs Monaten auf seine Mitarbeit und vor allem auch auf die Ausstrahlung seiner Spots. Und wissen Sie auch warum?“

      „Ich habe keine Ahnung.“

      „Keine Ahnung? Das lief doch überall und stand in allen Zeitungen.“

      „Den Teil der Zeitungen lese ich üblicherweise nicht.“

      „Und die Sendungen, in denen so etwas vorkommt, schauen Sie auch nicht“,

      sagt sie zustimmend und atmet hörbar tief durch.

      „Okay, vor acht Monaten hat Berghaim zwei kleine Jungs, die Autogramme von ihm wollten, ein wenig zur Seite geschubst. Eigentlich eine Lappalie. Leider stolpert einer der Jungs und verletzt sich am Kopf. Dennoch hätte normalerweise niemand Notiz davon genommen. Da aber eine Kamera das Ganze eingefangen hat, war es für die breite Öffentlichkeit dokumentiert. Der Junge war auch noch Ausländer. Italiener. Auch nicht schlimm, aber ein zusätzlicher Aufhänger für die Medien. Am nächsten Morgen hatte die News ein Standbild von Berghaims Schubser auf der Titelseite. Dazu die Überschrift: ‚Misshandelte Berghaim diesen jungen Italiener?’ Auf Seite drei dann ganze sechzehn Standbilder von der Kameraaufzeichnung. Wie sich die Jungs vor Berghaim hinstellen, der Schubser, der Fall des Jungen, das Aufschlagen der Kopfes und so weiter und so weiter, bis zur Großaufnahme des Kratzers am Kopf. Dieser wurde in der News allerdings als offene Wunde bezeichnet. Die Bilder wahnsinnig vergrößert