Manfred Rehor

Gerrit aus Neukölln


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der Arm drückte fester zu.

      „Ich arbeite für Ahmed“, presste Gerrit heraus. Erleichtert spürte er, wie der Druck nachließ. Der Arm gab ihn frei.

      „Ahmed, wa? Kann jeder sagen. Lass dich mal ansehen.“

      Mit einem Ruck wurde Gerrit herumgedreht. Hinter ihm stand ein zwei Meter langer Kerl mit hellen Lockenhaaren. Er trug eine schwere Goldkette um den Hals und hatte viel zu breite Schultern. In der Linken hielt er lässig eine Zigarette.

      Der Mann grinste, schnippte die Zigarette in eine Ecke des Raumes und griff nach Gerrits Sporttasche. Widerwillig ließ Gerrit die Tasche los. Der Zuhälter warf einen Blick hinein, prustete abschätzig und gab sie ihm zurück. „Stimmt. Sieht aus, als wärst du einer aus seinem Kindergarten. Wie alt bist du?“

      „Sechzehn.“ Gerrit ärgerte sich schon lange nicht mehr über solche Fragen. Weil er klein und schmal gebaut war, wurde er meist jünger geschätzt.

      „Mit sechzehn hast du hier erst recht noch nichts zu suchen. Verschwinde! Hehlerware kann uns das Geschäft verderben. Sag Ahmed, ich will sein Kroppzeug hier nicht mehr sehen, verstanden?“

      „Ja, klar. Mache ich.“ Gerrits Gedanken rasten. Er wollte nicht jetzt schon wieder hinaus auf die Straße, wo er vermutlich erwartet wurde. Sollte er den Zuhälter nach einem Hinterausgang fragen? Aber das hätte nur Gegenfragen provoziert.

      „Sag mal, wie heißt du eigentlich?“, fragte ein zweiter Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

      „Gerrit.“ Irgendwie kam der Mann ihm bekannt vor, ein hagerer, südländischer Typ. Aber Gerrit fiel nicht ein, wo er ihn schon mal gesehen hatte.

      „Und? Wie weiter?“

      „Gerrit Klein.“

      „Dachte ich mir. Du bist der Sohn von Jürgen, stimmt‘s?“

      „Genau“, gab Gerrit zu.

      „Ich bin Giorgio. Falls dein Alter noch in Thailand ist, grüß ihn von mir. Er soll mich mal anrufen.“

      „Worum geht es denn?“, wollte Gerrit wissen. Nur wenige Leute redeten über seinen Vater und wenn, dann meist nicht sehr nett.

      „Frag nicht, tu‘s einfach. Und jetzt hau ab.“

      „Tschüs, Süßer. Besuch uns mal wieder“, riefen ihm die Frauen nach, als er die Bar verließ.

      Die Metalltür schloss sich mit einem lauten Knall hinter ihm.

      Gerrit stand alleine auf dem Gehsteig und war bereit, zu rennen oder zu kämpfen. Wo waren seine Gegner?

      Endlose Minuten blieb er vor der Bar stehen. Er starrte auf die dunklen Stellen zwischen den geparkten Autos und in den Hauseingängen auf der anderen Straßenseite. Niemand ließ sich blicken. Erst, als ein Taxi vor ihm hielt, kam wieder Leben in ihn. Zwei Betrunkene stiegen aus, die sich gegenseitig stützten. Sie wollten in die Bar. Gerrit ging langsam weiter.

      Es war bereits heller Vormittag in Thailand. Die Hauptstadt Bangkok quoll über von Einheimischen und Touristen. Trotz der drückenden Schwüle waren viele Menschen unterwegs. Es gab Viertel, in denen fast nur männliche Touristen auf den Straßen waren. Jeder von ihnen auf der Suche nach dem Abenteuer, für das er die teure Reise gebucht hatte. Manche gingen verschämt und mieden die Blicke der Passanten, andere stolzierten aufrecht und überheblich. Bar reihte sich an Bar. Wenn Polizisten zu sehen waren, so taten sie, als würden sie den Straßenstrich nicht bemerken.

      Jürgen Klein schlenderte durch dieses Viertel, als wäre er hier zu Hause. Manchmal nickte er einem Touristen zu, den er vom Sehen kannte. Dann wich er einer Gruppe angetrunkener Männer aus, die nach einer durchfeierten Nacht auf dem Weg zurück in ihr Hotel waren.

      Dass er nicht wirklich hierher gehörte, zeigte sich, als er vor einem Lokal stehenblieb. Prompt wurde er von den davor wartenden Mädchen angemacht, als wäre er irgendein Tourist. Er vertrieb sie mit einem thailändischen Schimpfwort, von dem er selbst nicht wusste, was es eigentlich bedeutete.

      Eine Polizeistreife kam die Straße entlang. Jürgen tat, als würde er die Fotos in den Aushängen der Bar studieren. Dabei drehte er sich weg, damit die Polizisten sein Gesicht nicht sahen. Erst, als sie vorübergegangen waren, ohne ihn zu beachten, betrat er ein rötlich erleuchtetes Etablissement im Nachbarhaus.

      Es befanden sich keine Gäste in der Bar. Die letzten der Nacht waren wohl gerade weg, die ersten des Vormittags noch nicht erschienen. Solche Bars kannten keine Tageszeiten. Hier war man immer bereit, die Wünsche der ausländischen Kunden zu erfüllen. Die Musik spielte in akzeptabler Lautstärke, so dass Gespräche möglich waren. Mädchen saßen in kleinen Gruppen an den Tischen. Sie unterhielten sich und sahen auf, als Jürgen hereinkam, weil sie einen Freier erwarteten. Kaum erkannten sie, wer gekommen war, wandten sie sich wieder ab.

      Jürgen schlenderte zum Tresen, von wo ein thailändischer Zuhälter ihm entgegen sah. Mit jedem Schritt wurde Jürgen nervöser. Aber er konnte dieses Gespräch nicht länger aufschieben, wenn ihm sein Leben lieb war. Die Gepflogenheiten in der hiesigen Halbwelt waren um einiges härter, als er es aus Berlin gewohnt war. Mehr als einmal war sein Leben während der ersten Monate in Gefahr gewesen. Es hatte lange gedauert, bis er hier Fuß gefasst hatte. Immerhin, der Lerneffekt war enorm. Seit einigen Jahren schaffte er es, sich Ärger weitgehend vom Hals zu halten.

      „Hi. Äh, hallo. Here am I“, begann er zögernd. In solchen Momenten verfluchte er seine Unfähigkeit, fremde Sprachen zu erlernen. Sein Englisch bestand aus wenigen Worten und sein Thailändisch reichte nur zum Fluchen und zum Bestellen von Bier. Er begann zu schwitzen.

      „You have money?“, wollte der Zuhälter in ebenso schlechtem Englisch wissen.

      „No. I have not. Aber bald. Soon.“

      „No good.“ Der Zuhälter gab seine lässige Haltung auf und stellte sich gerade hin. Er war klein, wie die meisten Thailänder, wirkte aber so bedrohlich wie eine gereizte Bulldogge.

      „Six weeks.“ Jürgen wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sah, wie sich die Miene des Mannes verdüsterte. „Okay. Five weeks. Mein Sohn schickt mir ... Äh, I become it from my son, Gerrit. Aus Deutschland. Er wird mich nicht im Stich lassen, garantiert. He has the money, in Germany. Berlin, you understand?“

      Der Zuhälter war von diesem Versprechen, wenn er es überhaupt verstand, nicht beeindruckt. Er zeigte zwei Finger seiner rechten Hand. Die Fingerkuppen fehlten. „Two weeks.“

      „Aber ... but ... you know that I am new in this business ...“

      Ohne Vorwarnung rammte der Zuhälter Gerrits Vater die Faust in den Bauch.

      Jürgen Klein taumelte zurück, würgte und richtete sich unter Schmerzen wieder ein wenig auf. „Okay, two weeks“, stammelte er. Der Zuhälter zeigte zur Tür. Jürgen verließ zusammengekrümmt mit unsicheren Schritten die Bar.

      Durch die Straßen schleppte er sich zurück zu seinem Hotel. Um die Passanten kümmerte er sich nicht. Die sahen in ihm vermutlich nur einen weiteren betrunkenen Touristen. Als er in bessere Viertel kam, begegnete er einer Gruppe gutgekleideter Deutscher. Sie sahen aus wie Lehrerehepaare auf einer Studienreise. Er hörte, wie sie sich empört über ihn äußerten. Solche Leute ruinieren den Ruf der Europäer in dieser schönen Stadt, sagten sie. Als wären sie selbst mit ihrem neureichen Gehabe nicht ebenso störende Fremdkörper in dieser Kultur.

      Nur allmählich ließen der Schmerz und die Übelkeit nach. Jürgen Klein war ein zäher Bursche, so schätzte er sich jedenfalls ein. Deshalb versuchte er, sobald es ging, die Folgen des Tiefschlags zu ignorieren. Er dachte an die Zukunft, die er sich so schön ausgemalt hatte. Nun war sie wegen dieser einen dummen Sache gefährdet.

      Es war eine bescheidene Summe, die er dem Zuhälter schuldete. Aber wenn er sie nicht bezahlte, waren seine glänzenden Aussichten hier in Bangkok schon wieder vorüber. Vergleichsweise bescheiden kam ihm diese Summe jedenfalls vor. Denn demnächst, vielleicht in wenigen Monaten schon, würde er ein Vielfaches davon verdienen. Aber so viel Zeit hatte