Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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seine Stimme. Sie klingt schwer beherrscht. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du dich erdreisten, meinen Sohn derart zu verleumden?“ Er atmet sehr tief durch, um sich zu beruhigen. Am liebsten hätte er jetzt laut los gebrüllt. Doch er ist der Herr und er ist der Richter. Und so wird er das Problem auch lösen. Überhaupt ist das ja auch gar kein Problem. Das ist eine Unverschämtheit einer Bauerngöre, die er entsprechend bestrafen wird.

      „Du lügst, Mädchen. Und das weißt du auch. Doch bin ich hier nun Richter und nicht Vater oder Herr. Und also werde ich auch handeln. Ich weiß, dass der Beschuldigte, mein Sohn, zu dieser Zeit gar nicht hier war. Die Gräfin wünscht, ihn in ritterlicher Weise erziehen zu lassen und so schickte ich ihn schon vor Monaten zu den Buodingern. Dort lernt er die höfische Manier. So kann er auch nicht hier gewesen sein. Zufällig aber ist er gerade heute hier und man kann ihn befragen.“

      Laut ruft er nach einem Diener und befiehlt, seinen Sohn zu holen. Dieser erscheint nach kurzer Zeit in gut gelaunter Stimmung.

      Hermann ist ein schlanker junger Mann im 19. Lebensjahr, fast schon so groß wie sein Vater. Er hat dunkle Haare, die einen leichten Stich ins rötliche haben, wenn das Licht günstig darauf fällt, braune Augen und eine lange Nase. Auch seine Kleidung zeigt deutlich, dass er aus reichem Hause kommt. Sie ist sogar noch ein wenig aufwändiger, als die des Grafen. Als er Magda und ihren Bauch erblickt, wechselt die Stimmung mit einem Schlag. Böse ist sein Blick zu ihr. Doch auch der ändert sich schnell wieder, als er sich seinem Vater zuwendet. „Ihr habt mich rufen lassen, Vater?“

      „Ja! Kennst du dieses Mädchen?“

      „Natürlich, Vater. Arbeitet sie nicht auf deinen Feldern, mit den anderen dreckigen Bauern?“ Er spricht in sehr geringschätzigem Tonfall und genauso ist sein Blick, den er Arnfried zuwirft. Magda übersieht er ganz.

      „Hast du ihr etwas getan?“, fragt Graf Guntbert.

      „Ja, Vater!“ Die Antwort lässt den Grafen erstaunt aufblicken, nachdem er während der Befragung nur Magda mit seinem strengen Blick fest hielt. Das kleine Mädchen blickt mit leeren Augen zurück. Nichts deutet daraufhin, dass sie überhaupt zuhört.

      „Und was hast du ihr getan?“ Mit diesen erstaunten Worten nimmt der Graf nun seinen Sohn ins Auge.

      „Ich habe sie schon mal an den Zöpfen gezogen oder ihr ein Bein gestellt. Wie Kinder halt so spielen, wenn sie klein sind. Bis Mutter mir verbot, mit den Bauern zu spielen. Sie hat ja auch recht.“

      „Hast du ihr am letzten Frühlingsfest Gewalt getan?“, fragt der Graf genauer nach.

      „Herr Vater, Ihr selbst schicktet mich zu den Buodingern.“ Hermanns Antwort ist deutlich entrüstet. Damit ist die Frage natürlich nicht beantwortet, doch das stört den Grafen im Moment nicht.

      „So hast du gehört und deine Lüge ist entdeckt, Magda. Was soll nun mit dir geschehen?“

      Diese Frage bringt Arnfried wieder in Bewegung. Er holt aus und ehe sich Magda versieht landet seine rechte Hand so fest in ihrem Genick, dass sie vornüber und auf die Knie fällt. Erneut rinnen Tränen über ihr Gesicht herab. Gleichzeitig fällt auch Arnfried auf die Knie. Allerdings einen Schritt weiter vor und dem Grafen flehend die Hände entgegen gestreckt. „Herr, wie konnte ich ahnen, welche Schlange dieses Kind meines jüngeren Bruders ist. Nie hätte ich gedacht, …..“

      Auch hier unterbindet der Graf mit einer Handbewegung den Redefluss. Er will jetzt nicht das Gejammer eines unfreien Bauern hören.

      „Du brauchst nichts zu sagen, Bauer.“, sagte er, wobei das letzte Wort nun auch bei ihm verächtlich klingt. „Doch rate ich dir, Herr deiner Familie zu sein und mehr auf Ordnung und deine Munt zu achten. Ich denke es ist ausreichend, wenn ihr als Sühneabgabe ein paar Sack Mehl mehr meinem Meier schickt. Das dürfte euch ausreichend beschäftigen, sodass keiner mehr auf solche verleumderischen Gedanken mehr kommt. Doch hütet euch, mir weiteren Ärger zu bereiten. Leicht könnte mir auch für euch eine schmerzlichere Strafe einfallen.“

      Das ist hart für Arnfried. Lieber hätte er Schläge mit dem Stock genommen. Als Sühneabgabe ein paar Sack Mehl mehr war unheimlich schwer zu leisten. Die ganze Familie musste nun noch länger auf dem Feld stehen und sicher auch von dem abgeben, was für den Eigenbedarf war, um das zu erfüllen. Und im Winter würde wieder Essen fehlen, wo es so schon kaum reichte. Sehr gerne hätte er erneut Magda geschlagen, doch Graf Guntbert kommt ihm zuvor und schickt ihn weg.

      „Geht, Arnfried, und kümmert euch um eure Dinge. Das Bruderkind wird nicht mehr dazu gehören. Ein Esser weniger in eurer Kate. Das macht die Strafe wohl etwas leichter. Nicht wahr?“

      Ja, es war ein Esser weniger, doch auch eine Arbeitskraft. Magda bekam nie soviel zu essen wie sie erarbeitete. Sie war ja auch nicht sein eigenes Kind und nur geduldet. Deswegen war es eigentlich sogar noch eine Strafverschärfung. Doch unterwürfig sagt Arnfried: „Natürlich, Herr. Danke, Herr. Wie ihr sagt, Herr.“ Dabei buckelnd ging er rückwärts zur Tür und dann ganz schnell raus. Muntrecht, von wegen. Zu Hause würde sein Weib wieder zetern, ob des missratenen Kindes und der Strafe und ihrer Armut und wegen der schlimmen Zeiten, wo es ihnen doch früher als freier Bauer so gut ging. Und dann war er wieder an allem Schuld. Und er musste es über sich ergehen lassen; sie war stärker. Herr der Familie, pah.

      „Und nun zu dir!“, spricht der Graf, als die Tür hinter Arnfried zu gefallen ist. Auch Hermann war mit einer Entschuldigung wegen seiner Studien wieder gegangen. Nicht ohne Magda einen triumphierenden und hämischen Blick zuzuwerfen.

      „Was mache ich nun mit dir? Stell ich dich an den Pranger? Oder lass ich dich mit Peitsche oder Stock schlagen? Dein Vergehen kennst du wohl, Mädchen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten spricht Graf Guntbert weiter: „Du bist nicht die Erste, die auf so dreiste und unverschämte Weise versucht, einen besseren Stand zu erreichen. Noch nie wurde aus einer Bauerndirne eine Gräfin.“ Nun schon mehr sinnierend und zu sich selbst gesprochen: „Sind nicht die Huren im Nachbarort? Ach nein, ein Kind mit einem Kind im Bauch nehmen die nicht mit. Vielleicht zahlen die Zigeuner gut für dich. Doch auch diesmal nein. Der Bauch! Und wenn ich es so bedenke, …“

      Magda hat aufgehört zu weinen. Weinte sie doch auch nicht wegen des Schlages, sondern wegen der bösartigen Lüge des jungen Grafen. Du bist so dumm, schimpft Magda in Gedanken mit sich selbst. Was hast du erwartet? Dachtest du, er würde laut jubeln und dich zum Weibe nehmen? Sicher bin ich nicht die Einzige, mit der er sich vergnügte. Was nun?

      „Herr, euer Sohn lügt!“, platzt es aus ihr heraus. Magda sucht ihr Heil im Angriff. Nichts mehr hat sie zu verlieren. „Er war hier und eure Frage hat er nicht richtig beantwortet.“ Das hat sie wohl bemerkt, doch setzt sie das Argument falsch und erklärt es nicht weiter.

      Damit hat sie des Grafen Gedanken jäh unterbrochen. „Was soll das noch, dummes Balg?“ Zornig steht Graf Guntbert auf und geht auf das immer noch kniende Kind zu. „Mein Sohn lügt nicht. Doch du willst nicht einsehen, dass ich dich und deine Frechheiten durchschaut habe. Ich weiß nun, was ich mit dir tun werde. Der Zufall will´s und ein Mönch ist hier auf der Durchreise auf dem Weg nach dem Kloster droben gen Uulthaha. Dort mag man dich erziehen und Gehorsam und Ehrfurcht lehren. Erst dann sollst du wieder zu mir zurück kommen, damit du deine Schuld abarbeitest.“

      „Herr, er hat nicht gesagt, dass er nicht hier war!“, versucht Magda trotzig erneut. Starke Hände heben sie vom Boden und schleppen Sie zur Tür. Auf des Grafen Wink haben Diener das Mädchen gegriffen und bringen es nun in Verschluss.

      „Morgen wirst du uns verlassen, um geläutert zurück zu kehren. Mögen die Brüder ein gutes Werk vollbringen.“, ruft er ihr ärgerlich hinterher.

      * * * * *

      Des Abends hat sich die gräfliche Familie zu Tisch versammelt. Die Dienerschaft bringt die Speisen aus der Küche, die genau unter diesem Raum ist, damit die Hitze des Herdfeuers auch darüber noch für behagliche Wärme sorgt. Eine Auswahl an Fleisch und Fisch und Käse und auch Eintöpfen wird gereicht.

      „Mein