Rainer Seuring

Eringus, der Drache vom Kinzigtal


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      „Ach, als hätte ich es mir nicht gedacht. Ich bin mir sicher, er will immer noch erforschen, wo du zum Frühlingsfest warst. Wie kann er sich darüber nur so unnötig erregen. Das ist die Sache doch nicht wert.“ Sie ist gespielt entrüstet, weiß sie doch schon, dass es dieses Schreiben gibt. Schnell ist der Brief geöffnet. Im Gegensatz zu ihrem Mann hat sich die Gräfin der Mühe unterzogen und von dem Priester auf dem Hofe Lesen und Schreiben gelernt. Guntbert tat immer nur so als sei er dieser Kunst mächtig und es fiel keinem auf, wenn er die Papiere falsch herum hielt. Sie brauchte keinen, der ihre Geheimnisse dadurch erfuhr, dass ihm diktiert wurde. Deshalb hatte sie schon von dem Brief und seinem Inhalt gewusst und den Meier angewiesen, ihn zum Schein auf genau diese Weise weiter zu leiten. So konnte ihr Sohn nichts verraten, der von diesen Abmachungen ebenso wenig wusste, wie sein Vater. Der Junge würde noch früh genug erfahren, wie man im Leben weiter kommt. Bis dahin war er erst einmal nur Mittel zum Zweck. Im Übrigen hatte sie die nötigen weiblichen Mittel zur Verfügung, sich Leute gefügig zu machen. Dies hatte auch Didericus, der Priester, am eigenen Leib erfahren. Nun ist er ihr verfallen und hörig. Manchmal machte dies sogar auch noch Spaß.

      „Lieber Buodo!“, liest sie laut. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass zum letzten Frühlingsfest mein Sohn nicht an eurem Hof weilte, sondern hier in der Gegend gesehen worden sein soll. Da hier eine Klage vorgebracht wurde und ich es für meine Pflicht halte, dies eingehend zu prüfen, bitte ich euch, mir entsprechendes mitzuteilen. Ich danke euch für eure Bemühungen und grüße euch herzlichst.

      Guntbert von Lanczengeseze“.

      Die Gräfin lässt das Schreiben sinken und schaut ihren Sohn an. „Er ist dumm wie seine Bauern, nur reicher.“ Ist es Hass, der aus ihren Worten spricht? Gräfin wurde sie durch Guntbert, doch nun ist ihr Gemahl nur noch ein Hindernis für ihre Pläne und fast zu nichts mehr für sie nütze. Die Vermählung mit dem Grafen war nur einer ihrer Schritte auf dem Weg nach ganz oben. An des Königs Hof will sie. Zuerst glaubte sie, ihren Mann zu solchem Ehrgeiz bringen zu können. Doch dieser war dem König abgeneigt. Nun will sie mittels ihres Sohnes des hehre Ziel erreichen. Wer und was ihr auf diesem Weg in die Quere kommt, wird gnadenlos beseitigt. Gräfin Hildgard ist jedes Mittel recht und jeder wird zu ihrem Werkzeug, der sich von ihr verstricken lässt.

      Geliebt hat sie ihren Mann nie. Nur durch Lug und Trug war sie zu seiner Frau geworden. Gut, dass der dumme Kerl damals die frühe Geburt geglaubt hat. Seine Ehre gebot es ihm dann, sie zum Weib zu nehmen. Es hatte sie gutes Geld gekostet, die Amme zu bestechen. Doch das hatte sie sich wieder geholt, als die Alte tot war. Feist, der Meier, hatte ihr diesen Dienst erwiesen. Damit wurde er zwar zu einem kleinen Problem, doch es wird sich sicher noch einer finden, der dies gerne für sie lösen wird. Hermann war nicht Guntberts Sohn. Doch auch das wusste der einfältige grundehrliche Narr von einem Grafen nicht. Und so würde es auch bleiben, dafür würde sie sorgen. Es gab auf dem Hof Männer, die sie wirklich verstanden und die auch gerne taten, was sie verlangte. Eventuell mal die eine oder andere Nacht geopfert war nicht schlimm. Mit deren Hilfe würde schon bald sie über die Ländereien und Bauern herrschen. Mit strenger Hand. Was ihr Mann als Abgaben verlangte, war in ihren Augen viel zu wenig. Die Leute hatten noch viel zu viel Zeit zu feiern. Ihr Sohn würde dann der Graf werden und brav tun, was Mutter ihm sagt. Mit seiner Hilfe soll der königliche Hofstaat in greifbare Nähe rücken. Sie wollte nur noch den rechten Zeitpunkt abwarten, um sich unauffällig des Grafen zu entledigen. Graf Buodo war Guntberts Saufkumpan und seine Beziehungen zum König durfte sie nicht außer Acht lassen. Würde der Verdacht schöpfen und läge der Makel eines Mordes auf ihr, wären all ihre Bemühungen vergebens gewesen. Es durfte keine Nachforschungen geben und nichts, was auf sie hindeuten könnte. Mit der Zeit würden dann auch ihre Helfer irgendwie das Schicksal des Grafen teilen. Es lässt sich immer ein Weg finden. So alt war sie nun auch noch nicht und sicher ließe sich noch so ein junger reicher Emporkömmling im Hofstaat finden, der sie heiraten würde. Den könnte man sich schon erziehen und dann hätte sie noch mehr Geld und Macht. Doch jetzt galt es erst einmal, diesen Schwachsinn zu klären und auch weiterhin die Beziehungen der Grafen zu unterbinden.

      Wie jedes Mal nimmt sie Pergament und Feder und schreibt anstatt des Buodingers die Antwort für ihren Mann. Noch nie hatte ein Brief der Männer den anderen erreicht. Dank der Aufmerksamkeit des Meiers.

      „Mein bester Guntbert,“, spricht sie während sie schreibt, „wie freue ich mich, von dir zu hören. Es betrübt mich, dass Klage über deinen Sohn Hermann geführt wird. Es ist an dem, dass die jungen Burschen natürlich gerne einmal aus sind, zu jagen. Doch, wie ich mich erinnere, hielten meine Bauern just zu dieser Zeit selbst ein Frühlingsfest, an dem die jungen Herren ein wenig zu tief in die Krüge schauten. Seid versichert, mein lieber Guntbert, jegliche Klage ist eine Lüge. Möge Gott der Herr den Kläger strafen.

      So gehabt euch wohl mit Gottes Segen.

      Euer Buodo“

      Die Gräfin legt die Feder zur Seite und verschließt den Brief. Dann reicht sie ihn Hermann. „Sende dieses Schreiben nach deiner Ankunft nach hier. Dein Vater wird, wie bei den anderen Briefen, glauben, er stamme von seinem Saufkumpanen. Wie gut, dass die Kerle sich nicht mehr sehen können. Buodos Frau weiß wie ich, dies zu verhindern. Nur hat sie sicher andere Gründe als ich.“ Sie lächelt, bei dem Gedanken an das geheime Treffen der Frauen. Sie waren sich einig geworden, dass es nicht zur neuen Religion passe und nicht erlaubt sei, wenn sich die Männer der Trunksucht weiter ergeben würden. Dies musste man verhindern. Gerne hat Buodos Frau ihr zugestimmt, fürchtete jene doch um ihr Ansehen am königlichen Hofe. Das kam Gräfin Hildgard sehr zu pass. Jedes Schreiben zwischen den Männern wurde von Hildgard abgefangen und beantwortet. So war es den Frauen gelungen dafür zu sorgen, dass sich die Grafen seit nunmehr fast vier Jahren nicht mehr gesehen hatten. Es gab ja so viele gräfliche Verpflichtungen, die man genau dann wahrzunehmen hat, wenn der Freund um ein Treffen bittet.

      Zufrieden mit ihrem Werk entlässt sie Hermann nach Boudingen in der Sicherheit, alles unter Kontrolle zu haben.

      * * * * *

      Es dauert doch noch zwei Tage, bis der Mönch sich nach des Grafen Urteil wieder auf den Weg macht. Bis dahin hat Magda auf dem Hof arbeiten müssen. Fegen, Stall ausmisten, Unrat weg schaffen, Jauchegrube lehren und all die Arbeiten, die man nicht gerne macht. Natürlich unter strenger Aufsicht des Meiers, der es sichtlich geniest, sie zu schikanieren. Es gibt für sie keine Möglichkeit, fort zu laufen. Aber wohin denn auch. Ins Dorf kann sie nicht zurück. Ihre Familie würde sie davon jagen. Sicher war auch schon in den anderen Siedlungen das Gerede über sie los gebrochen. Trotz großer Entfernungen gingen Gerüchte um wie ein Lauffeuer. Wovon hätte sie auch leben sollen. Es gibt noch nicht sehr viel in Wald und Flur, das man hätte essen können. Also wartet sie darauf, mit dem Mönch nach Uulthaha zu gehen.

      Servatius nennt sich der Bruder. Er ist zu Fuß unterwegs, das Heil zu verkünden und im Auftrag des Bischofs zu Moguntia Orte für neue Klostergründungen zu suchen. Seine braune Kutte ist so staubig, dass selbst Flöhe wohl einen Hustanfall bekommen hätten. Und sie ist so weit, dass sie trotz der Schnur, die sich der Mönch um die Hüften gebunden hat, um den hageren Körper herum schlabbert. Sicher war ein früherer Besitzer weitaus kräftiger im Umfang gewesen, als Servatius. Die Sandalen sind auch bald nicht mehr zu gebrauchen. Das Leder ist spröde und rissig.

      Die Sonne steht schon hoch und es ist sehr heiß. Magda schwitzt sehr und auch der Mönch ist nass im Gesicht. Die Kapuze hängt auf seinem Rücken. Die Fliegen sind in dieser Jahreszeit im oft sumpfigen Chynzgebiet ein ständiger Begleiter. In Schwärmen summen sie um die Menschen herum und saugen ihnen das Blut aus. Magda fragt sich, wie schon so oft, was diese Mücken fressen, wenn keine Menschen des Weges kommen.

      Das alles bringt Servatius nicht aus der Ruhe. Fröhlich singt er verschiedene Lieder über Gott und Engel und Paradies. Magda hört nicht zu. Sie ist müde und erschöpft. Viel zu essen hat ein Mönch nicht. Ab und zu kann er an einer Hütte klopfen und einen Kanten Brot oder eine Schale Brei erbetteln. Dazu Wasser aus der Chynz und was sich halt so am Wegesrand essbares finden lässt. Dabei ist er nicht wählerisch. Es darf auch schon einmal ein Wurm oder ein Käfer sein. Vielleicht bin ich noch nicht hungrig genug, denkt sich Magda, die es immer