Edgar Sigmanek

Sally - Magierin wider Willen


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habe noch nie so wundersame Sachen gesehen”, antwortete Sally und nahm den Kristall in die Hand um ihn von allen Seiten zu betrachten. Er schillerte in allen Farben des Regenbogens und tief in seinem Innern glomm ein schwaches Fünkchen. Sally schloss die Hand um den Kristall und spürte eine leichte Wärme. Das Fünkchen schwoll an zu einem leichten Glimmen. Dann schloss Sally die Augen und konzentrierte sich auf den Stein. Das Glimmen verstärkte sich zu einem Leuchten und die Wärme in Ihrer Hand nahm spürbar zu. Erste Umrisse ließen sich erahnen. Erst Schatten, dann deutlicher werdend der Palast Elmonas. Das Licht im Innern des Kristalls begann zu pulsieren. Gleichzeitig veränderte sich das Bild vor Sallys innerem Auge. Der Palast wurde immer kleiner und sie bewegte sich in einem rasenden Tempo über Wiesen und Wälder hinweg, überquerte mühelos Schluchten und Berge, bis schließlich in der Ferne ein anderer Palast auftauchte. Es war ein großer Palast mit zwölf kleinen Türmen, die sechseckige spitze Dächer hatten und einem großen dreizehnten Turm in der Mitte des Palastes, auf dessen Dach sich ein riesiger Kristall befand, der ebenfalls in einem hellen Licht pulsierte.

      Dann wurde der Blick auf einen Balkon frei, auf dem eine Person in schwarzem Umhang stand. Sie starrte Sally entgegen, die Hände in Richtung des großen Kristalls gerichtet. Sally war jetzt ganz dicht an der Person dran und starrte in hasserfüllte Augen. Plötzlich drangen Worte zu ihr durch, leise aber deutlich wahrnehmbar.

      “Du hast dich gegen mich erhoben, dafür wirst du büßen! Ich werde dich zermalmen wie ein Gerstenkorn und deine Seele wird meine Kraft ins Unermessliche steigen lassen. Es gibt keinen Ort, an dem du dich verstecken kannst, ich werde dich überall finden. Reich mir deine Hand und ich werde deine Qualen verkürzen.”

      Gehorsam streckte Sally langsam die Hände in Richtung der bösen Saldera aus.

      Dann wurde sie wie in einer Achterbahn durchgerüttelt und öffnete erschrocken die Augen.

      “Mach die Augen auf! Komm zurück! Du darfst ihr nicht gehorchen!”

      Das Bild der Saldera war verschwunden und vor ihr stand Elmona und rüttelte sie an den Schultern.

      “Das war knapp!”, sagte Elmona mit schreckgeweiteten Augen. “Ich glaubte schon, wir hätten dich verloren. Was ist nur passiert? Was hast du gesehen?”

      “Ich habe erst deinen Palast aus großer Höhe gesehen und bin dann über die Ebene geflogen, über Wälder und Flüsse, bis ich schließlich zu einem großen Schloss kam. Dort hat eine schwarz gekleidete Person versucht, mich zu sich zu holen.”

      “Aber das ist unmöglich! Das ist vorher noch nie jemandem gelungen. Noch nie ist es jemandem gelungen, mit Hilfe des Steines durch die Gegend zu reisen, geschweige denn die Gespräche anderer zu hören.”

      Fassungslos starrte Elmona sie an.

      “Aber sie hat ja gar nicht zu mir gesprochen. Ich meine, sie hat nicht wirklich ihren Mund bewegt, ich habe ihre Stimme direkt in mir gehört.”

      “Dann musst du eine besondere Gabe haben, eine Gabe, die sonst niemand hier hat. Das macht es aber auch für dich besonders gefährlich. Du solltest die dir anvertrauten Gegenstände so wenig wie möglich benutzen. Augenscheinlich ziehst du die Aufmerksamkeit Salderas an, wenn du dich der Zauber bedienst.”

      “Aber wenn sie mich überall ausfindig machen kann, wie soll ich mich ihr dann unbemerkt nähern?”

      Resignierend ließ Sally die Schultern hängen, den Tränen nah.

      “Ein Nachteil kann sich durchaus zum Vorteil wandeln, wenn man es versteht, richtig damit umzugehen” antwortete Elmona.

      “Ich verstehe nicht, was du damit meinst”, sagte Sally immer noch zweifelnd, ob sie es jemals schaffen würde, Saldera zu besiegen.

      “Nun, wenn du lernst, den Kristall richtig zu benutzen, könntest du Saldera irreführen. Du könntest ihr vorspielen, dass du dich aus einer ganz anderen Richtung näherst, solltest dich aber niemals zu dicht an sie heranwagen, sondern immer rechtzeitig den Kontakt abbrechen. So wird sie ihre Kraft an der falschen Stelle konzentrieren und dir wird es leichter fallen, in ihr Schloss einzudringen.”

      Hoffnung machte sich in Sally breit.

      “Und du meinst, dass es klappen könnte?”

      “Warum nicht? Einen Versuch wäre es allemal wert. Sollte es nicht klappen, kannst du immer noch auf den Gebrauch des Kristalls verzichten.”

      “Also gut, ich werde es probieren, aber ich brauche deine Hilfe. Ich muss ein bisschen üben, um mich an den Gebrauch des Kristalls zu gewöhnen und du solltest bei mir sein, um mich rechtzeitig zurückzuholen, falls irgendetwas schief geht.”

      So übte Sally zusammen mit Elmona den ganzen Vormittag über den Gebrauch des Kristalls.

      Mal besuchte sie die Köchin und schaute ihr beim Mittagessen bereiten zu, dann wieder schmuggelte sie sich zwischen Elmonas Leibwache und stiftete Verwirrung, indem sie ihnen unverständliche Worte zuflüsterte. Sie versuchte in den Wald der Träumenden einzudringen, kam aber nie mehr als einen halben Meter bis an ihn heran. Schließlich war es soweit.

      “Du solltest nun aufbrechen, nachdem du so viel Verwirrung unter meinem Volk gestiftet hast.”

      “Entschuldige bitte, aber die Versuchung war einfach zu groß. Ich hoffe es ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.”

      “Mach dir darüber mal keine Gedanken”, antwortete Elmona. “Schließlich ist es für einen guten Zweck und niemand wird es dir übel nehmen.”

      Ziofotta betrat den Raum und half Sally, alle Sachen in einen kleinen Rucksack zu verstauen, den sie sich auf den Rücken schnallte, Dann prüfte sie noch einmal den Gurt, der Schnurz als Reisegelegenheit diente und verabschiedete sich von Elmona und Montanella.

      Die kleine Gesellschaft begann ihre Reise in das Ungewisse, mit dem einen Ziel, der Vernichtung Salderas und der Befreiung der gefangenen Seelen.

      Der Aufbruch

      Elmonas Untertanen hatten sich im Hof des Palastes eingefunden und bildeten ein Spalier, das sie bis an den Rand des Waldes der Träumenden führte. Als sie sich im näherten, begann sich wie schon einmal auf unheimliche Weise ein Gang zu bilden, um die drei hindurch zu lassen. Kaum waren sie ein paar Meter gegangen, da schloss sich auch schon wieder hinter ihnen der Wald und als sich Sally umblickte, waren sie allein inmitten des Waldes voller fremdartiger Geräusche und dem Gestöhne der verlorenen Seelen.

      Ohne miteinander zu reden, schritten sie schneller aus, um den Wald schon bald hinter sich zu bringen. Schließlich wurde es vorne hell und Sally, Ziofotta und Schnurz kamen aus dem Wald heraus. Da waren sie nun, ganz allein, ohne den Schutz des Waldes und der Zauberkraft Elmonas.

      “Wir sollten uns beeilen, von hier wegzukommen”, sagte Ziofotta. “Salderas Spitzel können hier überall auf uns lauern. Sie streifen ständig um den Wald herum, nur um eine Gelegenheit zu finden, in ihn einzudringen.”

      Sally nickte zustimmend. “Ja, du hast Recht. Lass uns in die Richtung des großen Baumes dort gehen. Wenn ich mich richtig an meine letzte Begegnung erinnere, dann bin ich in die entgegengesetzte Richtung auf direktem Wege zu Saldera geflogen. Sie wird uns also von dort erwarten. Wir sollten diesen Umweg einschlagen, dann wird sie uns nicht so schnell entdecken.”

      “Das könnte klappen”, stimmte Ziofotta zu.

      “Man könnte meinen, du machst so etwas öfter”, bemerkte sie in einem sonderbar fragenden Tonfall.

      “Es wäre schön, wenn ihr eure Unterhaltung woanders fortführen könntet, ich spüre nämlich, dass sich aus südlicher Richtung etwas Unangenehmes nähert, dem ihr bestimmt nicht begegnen wollt.”

      Fragend schaute Schnurz die beiden Mädchen an. Schnell schlugen sie die Richtung ein, die Sally vorgeschlagen hatte und waren dank des hohen Grases, das dort wuchs, schon bald nicht mehr zu sehen. Aus weiter Ferne hörten sie nun ein enttäuschtes Jaulen, das sie bis ins Mark erschüttern ließ.

      “Das war knapp”, sagte Ziofotta.

      “Weißt