Bettina Lorenz

Yasirahs Erbe - Die Prophezeiung


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neuerdings immer wiederkehrende, für sie ach so untypische Unpünktlichkeit. Aber es kam nichts! Während die Beiden schweigend nebeneinander herliefen, merkte Celina aber sofort, dass das Donnerwetter noch nicht ganz überstanden war und Anne angestrengt nachdachte. Ihre Freundin hatte die nette Eigenart, sich beim Grübeln die ganze Zeit auf der Unterlippe herumzukauen. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie etwas mitzuteilen hatte und nur nicht wusste, wie sie anfangen sollte. Noch ein Grund mehr sie zu mögen: sie verstellte sich nie und man wusste immer, woran man bei ihr war. Als Celina das Warten zu lang wurde, unterbrach sie ihre Gedanken: «Nun sag schon. Haben wir ein Problem?» Anne blieb stehen und musterte sie eindringlich. Celina sah ihren Blick und wusste sofort, dass ihr nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte. Ihre normale Reaktion darauf folgte auf den Fuß. Sie blockte ab und sah Anne durchdringend an.

      Wag es ja nicht, dachte sie und hasste sich im gleichen Augenblick dafür, dass sie manchmal so anstrengend sein konnte.

      Es würde ihr ganz recht geschehen, wenn Anne sie jetzt in aller Öffentlichkeit zur Schnecke machen würde und man merkte auch, dass diese einen ganz kleinen Augenblick tatsächlich darüber nachdachte. Doch dann schüttelte sie kaum merklich den Kopf und ihr Blick wurde merklich weicher. Sie fragte mit sanfter Stimme:

       «Hattest du schon wieder diesen merkwürdigen Traum?»

       Celina wusste, dass sie die Antwort bereits kannte, aber sie nickte trotzdem zur Bestätigung. Ihr wurde schon schlecht, wenn sie nur daran dachte:

      Nacht für Nacht derselbe nervenaufreibende Alptraum…

       Celina lief in absoluter Finsternis und versuchte irgendeinen Orientierungspunkt zu finden, aber ihr kam nichts bekannt vor und sie wurde langsam müde.

       Nach gefühlten Stunden des ziellosen Umherirrens in der Dunkelheit kam dann auch noch dieser schreckliche Nebel dazu und plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Die Müdigkeit wurde sofort von Angst abgelöst, als ihr klar wurde, dass sie besser um ihr Leben rennen sollte. Erst nach einer Weile lichtete sich der Nebel wieder. Celina wusste, dass sie unter gar keinen Umständen stehen bleiben sollte, aber sie war mittlerweile so erschöpft, dass es ihr kaum möglich war, auch nur einen weiteren Schritt zu machen. Obwohl sie genau spürte, dass sie immer noch verfolgt wurde, war sie gezwungen, stehen zu bleiben. Als sie sich langsam umdrehte und schon mit dem Schlimmsten rechnete, war das, was ihre Panik ausgelöst hatte, schon verschwunden. Sie versuchte ruhig durchzuatmen, aber jeder Atemzug versetzte ihr einen Stich und sie schaffte es einfach nicht, ihre Nerven wieder zu beruhigen.

       Nur deshalb wusste sie auch, dass es noch nicht vorbei war.

       Das Bedürfnis sich schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen, drängte sich ihr immer weiter auf. Wieder sah sie sich um, aber die Gegend um sie herum, war ihr vollkommen fremd und schien verlassen zu sein.

       In einiger Entfernung war ein Hügel und endlich regte sich ein kleiner Funken Hoffnung in ihr.

      Vielleicht ist es möglich, von dort aus herauszufinden, wo ich bin, denkt sie und geht einfach weiter.

      Der Weg war zwar steil, aber mit jedem Schritt, den sie ging, fühlte sie sich sicherer. Endlich oben angekommen, bewunderte sie die Schönheit des Anblicks, der sich ihr bot. Direkt vor ihren Augen erstreckte sich, soweit das Auge reichte, ein Wald und obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, hatte sie das merkwürdige Gefühl, endlich angekommen zu sein.

       Nach einer viel zu langen Reise hatte sie den einzigen Ort erreicht, der ihr Schutz und Zuflucht zu verheißen schien.

       Celina konnte ihr Glück kaum fassen. Langsam schloss sie die Augen und atmete ganz tief durch.

       Aber das war ein Fehler!

       Sobald sie sie wieder öffnete, war der Wald verschwunden und sie war erneut in Dunkelheit und Nebel gehüllt. Unter Tränen brach sie zusammen und blieb regungslos liegen. Was auch immer sie verfolgt hatte, war urplötzlich wieder da. Abermals fühlte sie die Panik, aber dieses Mal schaffte sie es einfach nicht, weiter zu rennen. Ihr Verstand versuchte sie zur Flucht zu zwingen, aber sie hatte einfach keine Kraft mehr. Ihre letzte Hoffnung hatte sich einfach in Luft aufgelöst und nichts auf der Welt würde sie jetzt noch retten können. Sie war verloren und ergab sich endgültig in ihr Schicksal.

       Langsam schlich sich die alles umgreifende Dunkelheit in ihr Herz.

       Verzweiflung, Kälte, Tod…

      Bevor Ihr Ende kam, erwachte sie schweißgebadet, weinend und hoffnungslos verloren. Nach diesen Alpträumen konnte sie meist erst nach Stunden wieder einschlafen und am nächsten Morgen wachte sie auf und fühlte sich wie gerädert. So war es auch an diesem Morgen gewesen. Kein Wunder also, dass sie so langsam durchdrehte.

       Es war echt zum Verzweifeln!

       Celina und Anne hatten schon an die tausend Mal darüber gesprochen, weil Anne der Meinung war, dass jeder wiederkehrende Traum irgendeine Bedeutung haben musste. Celina konnte sich aber nicht vorstellen, was man ihr damit sagen wollte, außer vielleicht, dass es langsam Zeit wurde, sich einen echt guten Psychiater zu besorgen, bevor die ganze Sache noch eskalieren würde. Sie war es einfach nur leid, darüber zu sprechen. Es reichte ihr vollkommen, dass sie diesen ganzen Mist schon in der Nacht über sich ergehen lassen musste und deshalb hatte sie nur wenig Lust auch noch ihre Tage mit dem Thema zu vergeuden.

       Aber Anne wollte einfach nicht nachgeben:

       «Ich war jetzt sechs Wochen nicht da und bin eigentlich davon ausgegangen, dass das nur ein stressbedingtes Symptom war. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass dir die Prüfung überhaupt irgendwelche Probleme bereitet haben. Du hättest sie wahrscheinlich sogar im absoluten Delirium noch mit Bestnote bestanden. Wie lange soll das den jetzt noch so weiter gehen?»

       Hilflos zuckte Celina mit den Schultern. Wie gesagt: Sie war das Thema einfach nur leid! Dementsprechend sackte ihre Laune auch immer mehr in den Keller und sie wollte sich einfach nur noch verkriechen. Anne sah ihr sofort an, in welch düstere Richtung ihre Gedanken abschweiften und doch sprach sie einfach weiter:

       «Dein Innerstes will dir bestimmt sagen, dass du lieber als Eremit im Wald leben solltest, damit du von der ganzen bösen Außenwelt abgeschieden bist und dich nicht mehr mit mir rumärgern musst.»

       Ihr Ton war jetzt neckend und als Celina ihre Freundin verständnislos ansah, sah sie das breite Grinsen in Annes Gesicht, das ihr schon des Öfteren den Tag gerettet hatte.

       So auch dieses Mal.

       «Du…» ein Schwall nicht gerade damenhafter Schimpftiraden wollte Celina gerade über die Lippen kommen, als ihr Blick auf die Uhr am Hauptgebäude fiel und sie erschrak.

       «Verdammt, wir müssen uns echt ranhalten…», rief sie und rannte schon los.

       Anne folgte ihr lachend.

      Die Tür zum Vorlesungssaal stand immer noch sperrangelweit offen. Kein gutes Zeichen! Als sie den Saal betraten, wäre Celina am liebsten rückwärts wieder rausgegangen. Sie hasste Menschenmassen. Zu eng, zu laut und sie hatte jetzt schon das Gefühl, dass im Raum nicht annähernd genug Sauerstoff für all die Leute sein konnte. Automatisch fiel ihr das Atmen schwerer. Nur Anne war es zu verdanken, dass sie überhaupt noch einen Sitzplatz ergatterten. Celina hätte die zwei freien Plätze in der Mitte sicher nicht gesehen, weil sie mittlerweile auf Tunnelblick umgestellt hatte. Aber Anne zog sie an der Hand mit sich und ließ mit absoluter Selbstverständlichkeit erst einmal zehn ihrer Kommilitonen aufstehen, um sich an ihnen vorbei zu drängeln.

       Sie hatten sich kaum hingesetzt und ihre Sachen aus den Taschen gekramt, als auch schon Professor Thomson den Raum betrat.

       Dieser Mann war einfach absolut faszinierend. Kein anderer Professor an ihrer Uni strahlte gleichzeitig so viel Autorität aus und hatte dabei ein so freundliches und einnehmendes Wesen, wie dieser nette, ältere Herr.

       Sobald er zu sprechen begann wurde es sofort mucksmäuschenstill:

      «Ich begrüße Sie recht herzlich zu einem neuen ereignisreichen Semester. Es erfreut mein altes Herz, dass Sie mich, trotz des schönen Wetters, so zahlreich mit Ihrer Anwesenheit beehren.»

       Ein Lachen ging