Dr. Wolfgang Mehringer

neukunst oder der Maulwurf


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bin mir nur darüber im Klaren, dass solche sogenannten Kunstwerke mir das gleiche bieten wie irgendwo ein Müllberg! Philip stand ihr bei und meinte dazu, sehr trocken: - wo dieses so genannte Kunstwerk ohne jeden Zweifel früher oder später auch hingelangen wird.

      Jean blieb gefasst. Er sprach fast wie ein Heiliger: Auf dieser Ebene erübrigt sich jegliches Gespräch. Wieder entstand eine Pause. Jean bedurfte augenscheinlich der weiteren Zufuhr - noch größerer Mengen - von Kaffee und Torte und Philip war dankbar, dass er in Ruhe Torte und Tee genießen konnte. Er hoffte dabei, dass „nun auch schon ein ´gutes` Ende dieser unseligen Debatte“ erreicht wäre. Es zeigte sich jedoch, dass Jean nicht nur bei der Bearbeitung seiner Geige ungeheure Ausdauer besaß. Nach der Beseitigung der letzten Tortenkrümel sprang er auf und schleuderte weiterhin, übermächtig dröhnend, seine Doktrin in das Kellergewölbe (Marina fand dieses „Schauspiel“, wie sie es später nannte, allerdings zunehmend „absurd“, und musste sich gelegentlich zwingen, nicht in „wildes Lachen“ auszubrechen): Schocken muss man sie - die Spießer! Dass sie sich verkriechen in ihren Mauselöchern oder sie mit Wut aufladen - bis hin zum Schlaganfall! Philip verkniff sich die Bemerkung, dass diesen sogenannten Spießern vielleicht die von Jean gemalte „Idylle“ besonders gefallen könnte, und wo er denn dann seine Schockwirkung ansiedeln wollte. Stattdessen wollte er Jean lieber auf eine Ebene hin bugsieren, die vielleicht im Sinne von Glatteis zu einer bedächtigeren Vorgehensweise führen könnte. Er fragte also: Jean, Du würdest beispielsweise eine leere Wand, die irgendein Künstler dem Publikum zumutet, ganz genau so wie dieser als ein Kunstwerk bezeichnen? Wobei ich allerdings meine, dass mit solcherlei Eskapaden anstelle eines Schocks nur mehr ein müdes Lächeln provoziert wird und nicht einmal mehr die Empfehlung für eine psychiatrische Behandlung zur Diskussion ansteht. Jean runzelte die Stirn, er bemerkte die Falle, in die ihn Philip hineinlocken wollte. Aber er hatte die Sache im Griff. Seine Augen leuchteten, als er langsam und wohltönend- salbungsvoll erwiderte. Jaaaa - das ist Kunst. Denn damit - - ist die Freiheit!! - das allerwichtigste in der Kunst – zurück gewonnen!! Marina gab sich aufs äußerste erstaunt: Ist das denn Freiheit, wenn die Künstlergilde ihre Mitglieder dazu zwingt, nichts!! - mehr zu machen - vielleicht verstehst Du im Augenblick das „Symbolhafte“ in Philips Beispiel nicht ganz. Jean verzog (fast wie angeekelt) seine Mundwinkel nach unten, rollte dann mit den Augen in Richtung der Kellerdecke und fixierte schließlich Marina mit einem starren Blick (so etwa, meinte sie später, wie eine Python das vor ihr sitzende Kaninchen betrachtet). Seine Stimme glich nun eher so, wie beim Gespräch des Psychiaters mit einer schwerstens psychisch angeschlagenen Patientin: Damit - - - (seine Stimme erhob ein ganz klein wenig) stellt die Kunst das Geheimnis ihrer Seele in den Raum. - - -. Auch Philip hatte nun Mühe, nicht zu lachen. Jean merkte das und forcierte seinen Ernst: Nenne das - - - (er machte wieder eine große Pause, deutete mit dem sehr kräftig entwickelten Zeigefinger der rechten Hand zur Beleuchtung in einer Kellerecke und bewegte dazu heftig seine Augenlider) - - - Geist!! - diese Idee - des - Werks!! Er brach ab, wie erschöpft, setzte sich und richtete einen starren Blick auf den Kellerboden. Philip gönnte ihm wenig Zeit zur „Erholung“: Wenn ich Dich richtig verstehe, Jean, hast Du gerade jene Ideologie ins Spiel gebracht, mit der behauptet wird, der Kern eines jeden Kunstwerks sei die Idee, die dahinter steckt. Von da ist`s dann nur noch ein Schrittchen bis zu den Kunstideologen, die es den Neukünstlerinnen und Neukünstlern besonders bequem machen, indem sie sagen: Die Idee - - - die ist!! - - bereits das Kunstwerk. Malen wir also einfach einer Kopie der Mona Lisa von da Vinci einen Schnurrbart auf die Oberlippe - leider ist das wirklich äußerst schwierig beim Original zu realisieren, das bekanntlich in Paris in einer Panzerglasvitrine zur Ruhe gekommen ist und dabei noch streng bewacht wird – ja! – und fertig ist ein grandioses, mehr noch, ein revolutionäres Kunstwerk! Sowas hattest Du doch im Sinn, Jean, oder? Philip hatte keinerlei Zweifel, mit seinem Beispiel `diesen ganzen Schwachsinn` (oder sollte man es nicht eher Irrsinn oder gar Wahnsinn nennen?!) ein für allemal `entlarvt `zu haben.

      Mireille war eine ganze Weile schon sprachlos geblieben und lächelte nur gelegentlich „milde“ (wie es Marina nannte) zu Jean`s „Ausführungen“. Sie reagierte aber nun auf Philips Einwurf. Ist tatsächlich passiert, sagte sie. Dabei ist die „Idee“ in diesem Fall ja noch beinahe tiefsinnig, kein Zweifel, dass da manche Vertreter dieser Zunft - ich glaube, es waren primär eben gerade männliche - dafür wahnsinnig gerne die alles krönende Bezeichnung „revolutionär“ verwenden und auch immer wieder hören wollen. Ihr Ziel war, weg zu kommen von der Tradition. Was gibt es dafür besseres, als die alten Kunstwerke, mit dem „Geniestreich“ eines Schnurrbarts beispielsweise, mit einem Schlag „wertlos“ zu machen und dabei gleichzeitig das Neue den Wert des alten übernehmen zu lassen. Mit der Idee, das heißt eben nur `irgend etwas` zu machen, ist diese Kunst dann auch schon praktisch am Ziel. Irgendeine `Kunstfertigkeit` bei der konkreten handwerklichen Gestaltung? - vergiss es! Das ist für diese Ideologen vollkommen bedeutungslos. Bequemer geht’s nicht, Du hattest völlig Recht. Philip. Es ist fast nicht zu glauben, da gibt es tatsächlich jede Menge Idioten, renommierte Museen und Sammler dabei, die für irgendeine gerade neu erscheinende Idee einen irren Haufen Geld hinwerfen. Philip und Marina waren verblüfft - Mireille hatte bei ihren Worten tatsächlich einiges von ihrer sonstigen Sanftheit „vergessen“.

      Gleich darauf war es ausgerechnet Jean, der sie verblüffte. Denn sie glaubten Jean`s inhaltliche und `szenische Kapriolen`, die sie durchaus für einen Ausdruck seiner realen, reichlich `kruden` Meinung hielten, inzwischen zu kennen. Jean lachte laut: „Du sagests“. Sein Lachen klang auf einmal `völlig normal`. „War ich gut?“, fragte er, „ein guter Advocatus Diaboli?!“ Marina kam ihm entgegen: Wirklich - alles nur gespielt?! Ein Unterton in ihrer Stimme hätte Jean warnen müssen. Entweder glaubte sie nicht, dass es nur Theater gewesen war, was er da „aufgeführt“ hatte - oder aber sie hatte bereits seit einiger Zeit bemerkt, dass es wirklich nur „Theater“ war, und somit auch kein besonders gutes. Für Jean allerdings schien diese Frage eine vollkommene Bestätigung seiner Leistung zu sein: „Du sagests“ kam nochmals von ihm, begleitet von einem sehr breiten Grinsen. Dabei holte er sich ein weiteres Stück von der dunklen Torte, blickte in seine Kaffeetasse und dann zu Mireille - die den Blick sofort verstand und nochmals den Tauchsieder einschaltete. Philips linker Mundwinkel hatte kurz gezuckt bei Jeans letzter Bemerkung. Weshalb schlüpfte er da quasi in die Rolle des biblischen Jesus? Für strenger gläubige Christen mochte das anmaßend klingen, sicherlich. Damit wäre Jean ja gerade auch in die Fußstapfen jener Provokateure getreten, die er zu karikieren suchte. Persönlich empfand Philip so ein `Getue einfach nur als lächerlich`. Dahinter, im Unterbewusstsein von Jean, mochte sich allerdings seine Attitüde als Künstler breit gemacht haben. Eine Attitude, die nichts weniger beanspruchte als „Göttlichkeit“ - womit dann natürlich auch der ganze Mystizismus, betreffend die „Unmöglichkeit“ einer Bewertung von Kunst mit rationalen Kriterien, zusammenhing.

      Marina war richtig aufgekratzt. Das ist dann ja doch noch total gemütlich geworden, meinte sie später, im Auto auf der Heimfahrt: Und spannend; sie hat ja wirklich schöne Bilder gemalt. Mireille hatte ihnen im weiteren Verlauf des Besuchs nicht nur ein Fotoalbum mit den „besten“ - wie sie meinte - ihrer Arbeiten vorgelegt, sondern auch (Jean war da nochmals voll im `Einsatz`) eine Menge Bilder aus ihrem `Berg` herausgezogen und an die einzige freie Wand gelehnt, wo man sie - den geeigneten Abstand zu finden war in der Enge des Kellers bzw. der darin gelagerten Dinge nicht ganz einfach - dann betrachten konnte. Mireille und Jean freuten sich wirklich sehr über das Interesse, das Marina und Philip den Arbeiten entgegenbrachten. Philip plagte dabei - alles in allem - eine gewisse Unruhe. Und, fragt er Mireille schließlich, was wirst Du letztendlich mit all den Bildern machen? Marina fand zwar `den Zeitpunkt, so was zu fragen, ziemlich unpassend`. Mireille hatte dabei aber offensichtlich überhaupt keine Probleme. Sie erklärte recht munter, so genau wüsste sie das noch nicht, hätte sich darüber auch noch wenig Gedanken gemacht. Wichtig sei ihr vorderhand nur das Arbeiten, das Malen, Zeichnen, Ausprobieren. Verkaufen - ja, auch daran wäre zu denken, vielleicht sogar übers Internet. Aber - es gäbe andererseits doch so viele Menschen - und auch immer mehr von ihnen! - die alle malten, die Ausstellungen machten und auch verkaufen wollten. Und – letzten Endes - ja, loswerden könnte man die Sachen immer noch. - - - „Und hoffentlich auch noch kurz vor unserem Einzug in die Pflegestation“. Jean fügte knurrend hinzu, er sei sich keineswegs sicher, ob nicht `all das Zeug letztendlich auf dem Sperrmüll landen` würde.