Dr. Wolfgang Mehringer

neukunst oder der Maulwurf


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Ihre Arbeiten diskutiert und können Ihnen leider keine Zusammenarbeit in Aussicht stellen. Vielleicht wenden Sie sich mit ihren Wünschen an eine der zahlreichen Galerien. Zudem liegen uns bereits eine Fülle von Anträgen aus dem regionalen Raum vor, die in erster Linie zu berücksichtigen sind“. Einiges davon ist natürlich auch einsichtig, meinte Marina. Jede und jeder zweite malt heute, stellt seine Werke aus, hofft auf Anerkennung und versucht auf allerlei Wegen sein Glück. Mal ganz abgesehen von der sich mehrenden Zunft der akademisch gebildeten Künstlerinnen und Künstler - die es nur in seltenen Fällen schaffen, sich einen renommierten, also finanziell gut gepolsterten Platz im Kunstmarktgeschehen zu ergattern.

      Das alles führt uns zu einem wichtigen, oder sagen wir besser, dem eigentlich zentralen Punkt von vielen Miseren, dachte Philip. Hier sehen wir ja kaum mehr als die Spitze eines Eisbergs. Es war nirgends auch nur andeutungsweise die Rede von irgendwelchen konkreten Bewertungskriterien. Sie „fehlen“ wohl nicht nur, sondern werden wahrscheinlich auch für mancherlei Zielsetzungen absolut nicht erwünscht sein. Er fragte dann aber, wie es beim Malen zu den Widerspiegelungen gewisser Umweltwahrnehmungen käme, von denen Mireille in ihrem Brief geschrieben hatte. Diese Frage fand Mireille „wirklich spannend“. Denn vieles davon entstünde eigentlich mehr im Unterbewusstsein. Ich hab auch gelernt, sagte sie, nicht unbedingt etwas allzu gezielt anzugehen, also die Kunstarbeit direkt in den Dienst irgendwelcher politischer Ziele oder Ideen zu stellen. Denn - (sie lacht) - da wird’s nix! Ich muss es einfach so laufen lassen, Ideen und Gefühle zwanglos - miteinander. Ich weiß, das ist schwer zu beschreiben. Philip fragte nach: Ist das immer so? - Meinst Du, dass diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die mittels ihrer Kunst direkt bestimmte politische Ziele verfolgen, auch irgendwie - sagen wir, was die Qualität ihrer Kunst betrifft, weniger überzeugend sind? Mireille überlegte. Da findet man natürlich auch sehr gute Leute - denk an die Plakate vom Staeck. Aber, auch wenn ich Dir keine klare Antwort geben kann, ich könnte mir schon vorstellen, dass man genügend Leute finden wird, denen die politische Botschaft ihrer Arbeit über alles geht - und die somit auch irgendwelche ästhetischen Ansprüche weitgehend hintanstellen. Sie möchten einen konkreten sozialen Sinn mit ihrer Arbeit verbinden, alles andere zählt im Grunde nichts. Eine hohe moralische Haltung hat aber eben mit ästhetischer Qualität nichts zu tun - leider, könnte man da sogar sagen! In meinen Augen sind solche Leute Sozialarbeiter, die man jedenfalls wegen ihres Engagements schätzen sollte.

      Jean war zu hören. Dies zwar ständig, aber aufgrund ihrer Konzentration im Gespräch, war er bei Marina und Philip doch sehr in den Hintergrund geraten. Im Augenblick aber lief es bei Jean um einiges schlechter. Er verspielte sich ständig, versuchte offensichtlich unter Einsatz zusätzlicher Kräfte, die bösartigen Hindernisse zu beseitigen, spielte lauter und schneller, mit noch geringerem Erfolg. Man hörte ihn zwischendurch schimpfen. Plötzlich Stille. Philip beschrieb diesen Moment später, er habe so ein Gefühl gehabt, als ei ein Gewitter abgezogen. (Unwillkürlich hatten wohl alle unfreiwilligen Zuhörer in diesem Augenblick ein gewisses Gefühl der Erleichterung). Es dauerte etwa eine halbe Minute, dann kam Jean mit gerötetem Kopf und Schweißtropfen auf der Stirn aus einem Verschlag. Sein “Hallooo!“ klang ausgesprochen freundlich. Dann wandte er sich an Mireille. Hast Du schon Kaffee für mich?! Die Basis für meinen Wiederaufbau ! - erklärte er lachend den beiden Besuchern. Mireille bejahte. Sie hatte bereits bei den von ihr wahrgenommenen Anzeichen seiner Ermattung den gefüllten Kaffeefilter mit kochendem Wasser übergossen. Bei der anschließenden nun doch sehr persönlichen Begrüßung flachste Philip, (er bedauerte später den ein wenig kritischen „Beigeschmack“), ihr Gespräch mit Mireille sei für sie ja um vieles bequemer gewesen als Jeans „Annäherung“ an Johann Sebastian. Jean lachte nur. Inder Musik, meinte er, weißt Du wenigstens einigermaßen, wo´s lang geht, anders als in der Scheißmalerei! Bei seinen letzten Worten war Jean im Tonfall ein wenig scharf geworden., was selbst Mireille zu überraschen schien. Jaaa - sagte sie, Jean plagt sich auch damit! Jean reagierte gereizt: „Was heißt da `plagt sich` !!“ Er zog ruckhaft eine Kaffeetasse zu sich hin. Philip hatte das Gefühl, es könnte jederzeit wieder ein „Gewitter“ (diesmal etwas ernsterer Art) losbrechen. „Sicherheitshalber“ - damit Marina nicht allzu eilig flüchten könnte - nahm er sich ein zweites Stück von der Schokoladentorte (auf das er nur in der Not verzichten wollte). Es wirkte nun auch beruhigend, dass Jean nach einem ebensolchen angelte, genauer gesagt nach dem erkennbar größten. Philip merkte, dass sein Gefühl ihn nicht im Stich gelassen hatte - mit der Vermutung, dass dieses „Gewitter“ wohl kaum Orkanstärke erreichen könnte - als Jean mit leicht blaffend-heiserer Stimme begann, in die soeben angesprochene „Reizwelle“ tiefer einzutauchen: „Es geht ja doch - um Landnahme, Pionierarbeit ist das . Pflöcke muss man da einrammen - für ein Land, was ein Volk ernährt - wie`s in der Bibel steht - oder Gott weiß wo. Mireille schaltete sich ein, sehr sanft: Ja, Jean will Glück verbreiten - - mit seinen Werken. Das ist möglich, natürlich - er malt stets das - gleiche Bild.- -. Jean hatte die Augen geschlossen, als Mireille sprach, öffnete sie dann und sprach leise und mit äußerster Konzentration: Der Witz! - das neuartige auf das es ja leider ankommt! - besteht hierbei darin, dass alle Elemente in diesem Bild sich von Bild zu Bild wandeln - obwohl es sich oberflächlich betrachtet um das gleiche Bild zu handeln scheint. Mireille ergänzte (es klang ein wenig matt): Jean malt einen Sonnenuntergang am Meer mit einer Palme - -. Jean explodierte geradezu: Genau das ist es, was die Leute wollen, wonach sie sich sehnen, so eine Art Paradies! Und ich verkauf drei Stück davon in der Woche! - ganz im Gegensatz zu Dir. (Jean Stimme klang recht mitleidsvoll, dabei aber auch plakativ). Das ist doch nur vorgeschoben, dass Du gar nicht verkaufen willst. Du kannst Deine Arbeiten nämlich nicht loswerden, weil Du die Gesetze des Marktes missachtest! - um es deutlich zu sagen: weil Du eben nicht das Neue findest! Nur das würde Dir eine Chance geben! Mireilles Mundwinkel, beinahe lächelnd, schienen minimal in Bewegung zu sein, bei Jean`s „grotesken und groben Unterstellungen“ (nach Marina`s Meinung). Mireille blieb auch weiterhin entspannt, als Jean zu noch mehr `Schlägen` ausholte: Wenn Du schon niemanden glücklich machen kannst – dann hast Du nur Erfolg, wenn Du die Leute spüren lässt, dass sie Spießer sind, Sklaven, Arschlöcher, Penner und Idioten! Du musst Ihnen zeigen, was in Dir steckt, dass Du ihre sklerotische Kopfnickerei verachtest! Sauf Blut, meinetwegen, mitten aus dem Bauch eines Schweines, das auf der Bühne geschlachtet wird.

      Die Empörung in Marinas Schrei war mehr als deutlich. Philip reagierte eher trocken: Sollte das dann auch eine irgendwie originelle oder gar sinnvolle Tat sein? Neuartig ? - auch nur beinahe. Und was wäre das Ziel? Sag mir wohin es führen soll - insbesondere bei den von Dir so harsch eingestuften Mitbürgerinnen und Mitbürgern? Jean wurde bei dieser Frage keineswegs verlegen, kam vielmehr sofort wieder in Fahrt: Es soll befreien! Es soll die Maskeraden zerstören! Philip widersprach sofort: Ich denke, die allermeisten Menschen sind von solchem Zeug lediglich angewidert und wenden sich ab. Jean warf sich nochmals in eine Attacke (mit der er wohl zu hoffen schien, letztendlich doch zu überzeugen): Dieser, dieser erste Schock ist dabei doch gerade das wesentliche! Philip bewegte sich keinen „Millimeter“ weg von seiner Haltung: Und was wären die Folgen eines solchen Schocks? Kunstverständnis etwa?! Moralische Besserung? Die Erweckung von Kreativität? Genau davon war aber bei all dem kruden Unfug, der in dieser Richtung abgespult wird, noch nie irgendeine Rede! Und nach meinem Empfinden kann Rohheit und Gewaltsamkeit auch niemals eine tragfähige Basis guter Kunst sein.

      Jean wendete sich hastig und wortlos seinem Kaffee zu und verschlang anschließend das restliche, ziemlich gro0e Eck seines Tortenstücks. Es schien, dass er nun ganz in Schweigsamkeit versinken würde. Doch auf einmal blickte er wieder sehr herausfordernd in die Runde und tönte stimmgewaltig: Das Neue!! - (er benötigte noch einen Moment um den ersten großen Bissen eines neuen Tortenstücks zu bewältigen) - das Neue - das braucht den Bruch!! Die Tradition, das Kleinklein, das kann man doch nicht ständig so weitermachen. Immer dasselbe - das ist doch stumpfsinnig! Dazu noch das Schauspiel irgendeiner komischen Welt in den Bildern, die es gar nicht gibt - bourgeoise Verbeugungen sind das. Die Kunst - die braucht den schnellen Zugriff! - das Schlagartige - den Gegensatz zur Engherzigkeit!

      In Marina kochte einiges an Wut. Wenn ich Dich recht verstehe, ist es dann so was wie ein Höhepunkt der Kunst, wenn ich einige mit Farbe gefüllte Eimer in einen Saal schütte und dazu noch mit einem Bagger den Bauschutt eines abgerissenen Hauses drauf kippe?! Jean blieb ruhig und verkündete ihr feierlich: Du – verstehst