Peter Sadowski

Der mündige Trinker


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wird, statt mit einem Wechsel der Strategie eine zielführendere Lösungsmöglichkeit auszuprobieren.

      Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) nennen den in der Therapie erwünschten alternativen Weg der Problemlösung (zur automatisierten Informationsverarbeitung) eine kontrollierte Informationsverarbeitung. Diese kontrollierte Informationsverarbeitung würde jedoch erheblich mehr Kapazität fordern. Außerdem würde sie in der Phase des Einübens, einer alternativen Vorgehensweise zur Problemlösung, unzulängliche Ergebnisse produzieren, die immer wieder nachjustiert werden müssten.

      Grawe (1998, 2004) dringt gewissermaßen in die Blackbox der Informationsverarbeitung ein, wenn er die Menge der Gedächtnisprozesse ordnet, die Prozesse der Informationsverarbeitung anstoßen und moderieren. Sehr stark vereinfacht unterscheidet er zwischen impliziten bzw. perzeptuellen Gedächtnisanteilen und expliziten bzw. konzeptuellen Anteilen. Behandlungsrelevant im Sinne einer Selbstmanagement-Therapie sind diese Überlegungen aus mehreren Gründen.

      Die konzeptuellen Gedächtnisanteile werden als besonders kontextsensitiv beschrieben. Zu den mitgespeicherten Kontexten gehören psychische Befindlichkeiten bzw. Gefühle ebenso, wie motivationale Zustände. Grawe spricht hier ausdrücklich vom „zustandsabhängigen Lernen“.8 Grawe belegt, dass die konzeptuellen Gedächtnisanteile einer konzeptgetriebenen Verarbeitung im Gespräch (top-down) zugänglich sind. Eine inhaltliche Thematisierung kann also dazu führen, dass diese Gedächtnisanteile grundsätzlich bearbeitbar sind. Eine einfache Form der Bearbeitung kann eine Neubewertung der Gedächtnisinhalte und der damit verbundenen Erlebnisse sein. Zu den impliziten oder perzeptuellen Gedächtnisanteilen sei wohl nur Zugang über eine prozessuale Aktivierung zu gewinnen; es muss also die Reizsituation wieder hergestellt werden, die diese Gedächtnisinhalte generiert hatte. Da unbestreitbar jede einzelne Lebenssituation unwiederholbar ist, wird man in der Therapie sich mit dem Herstellen einer möglichst ähnlichen Reizsituation bescheiden müssen. Eine datengetriebene Verarbeitung (bottom-up) kann grundsätzlich dazu führen, dass eine zuvor unbewusste Informationsverarbeitung innerhalb des therapeutischen Prozesses grundsätzlich bearbeitbar wird. Therapeutische Hausaufgaben, insbesondere für das wochenendliche „Realitätstraining“ (siehe Kapitel 6.6.7), zielen häufig darauf ab, dass der Patient sich mit erhöhter Aufmerksamkeit in Situationen begeben möge, die kritische Erregungsmuster auslösen können bzw. ausgelöst hatten.

      Für die therapeutische Praxis innerhalb einer stationären Kurzzeit-Entwöhnung sind weitere Vereinfachungen nötig: In der Behandlung wird besondere Aufmerksamkeit auf die intrapsychischen Bedingungen gelegt, die zwischen den situativen Aspekten und dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ vermitteln. Operationalisiert werden diese mit Gedanken und Gefühlen des Patienten. Einfluss auf automatisiert ablaufende Gedanken oder Gefühle (oder beides) wird gesucht und erprobt. Und zu dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ werden Alternativen gesucht und erprobt.

      In dem Beispiel oben (Vermeiden von Konflikten mit der Partnerin) wird der Patient keine bewusste Entscheidung auf dem Boden systematischer Beobachtungen getroffen haben, dass die Situation grundsätzlich konfliktträchtig sei, sodass in solchen Situationen ohne weiteres Nachdenken der Konflikt vermieden wurde und dass das Vermeiden durch den Konsum von Alkohol vollzogen wurde. Über das Erleben einer real konfliktträchtigen Situation mit der Partnerin, z.B. im Realitätstraining, hoffen Therapeut und Patient Zugang zu denjenigen Gefühlen zu finden (und den mit diesen Gefühlen assoziierten Gedanken), die handlungsleitend wurden und zu einem Vermeiden des Konfliktes führten.

      2.10 Fördern von Entscheidungen

      Das Durchlaufen des intendierten therapeutischen Prozesses wird als Kette von Lösungen komplexer Probleme gesehen. In bester Tradition der Selbstmanagement Therapie sieht sich hier der Therapeut als Helfer beim Lösen von Problemen (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2000).

      Die Rolle des Helfers beim Lösen von Problemen steht natürlich in engem Zusammenhang mit dem Behandlungsauftrag, nämlich der Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die aus dem intendierten therapeutischen Prozess folgenden Probleme sind danach vorrangig zu lösen. Die Praxis lehrt, dass es für Patienten in der stationären Rehabilitation eine Unmenge von sozialen und persönlichen Problemen gibt, die unbedingt einer Lösung zugeführt werden sollten. Dazu gehören Probleme in der Partnerschaft, aus dem Arbeitsleben, mit der Gesundheit oder der allgemeinen sozialen Einbindung. Die hohe Notwendigkeit zum Lösen dieser Probleme ergibt sich aus dem Wunsch des Patienten; häufig ist die Notwendigkeit einem mitfühlenden Mitmenschen auch durchaus einleuchtend.

      In der stationären Rehabilitation von Alkoholabhängigkeit wird der Therapeut strategische Entscheidungen treffen müssen, inwieweit die möglicherweise drängenden persönlichen und sozialen Probleme von Patienten mit den Therapiezielen in Übereinstimmung zu bringen sind. Häufig betreffen diese Probleme Bedingungen, die dem Streben um Abstinenz hinderlich entgegenstehen (kein Geld, keine Arbeit, keine Partnerschaft usw.). Dann wird aus psychotherapeutischer Sicht gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden sein, welche Ressourcen zu stärken wären, um ihn in die Lage zu versetzen, selbst eine Lösung seiner Probleme zu Stande zu bringen. Ein weiterer, möglicherweise ergänzender Weg könnte es sein, institutionalisierte Hilfe zu organisieren. Dabei wird in Absprache mit dem Patienten zu entscheiden sein, ob die Hilfeleistung die Qualität von aktiver Hilfe haben soll oder ob Hilfe zur Selbsthilfe ausreicht.

      2.11 Offene oder vorgegebene Wahlen

      Wie bereits weiter vorne in allgemeineren Zusammenhängen dargestellt wurde, sind Entscheidungen in offenen Problemfeldern wesentlich schwieriger zu treffen als zwischen gut definierten Wahlmöglichkeiten.

      Wenn der Therapeut im Rahmen seiner psychotherapeutischen Tätigkeit einem Patienten ein Teilproblem präsentiert, wird er abwägen, wie offen er die Problemdefinition halten kann. Grundsätzlich wird der Therapeut auch prüfen, inwieweit seine Sichtweise und die Implikationen seiner Sichtweise die des Patienten widerspiegeln. Dabei wird er sich von seiner Einschätzung des Leistungsvermögens des jeweiligen Patienten leiten lassen und von seiner Einschätzung, in welchem Maße der jeweilige Patient den intendierten therapeutischen Prozess verstanden hat. Außerdem wird zu bedenken sein, dass dem Patienten Erfolgserlebnisse zu vermitteln sind. Die therapeutische Intervention wird also so zu setzen sein, dass der Patient nach Möglichkeit weder über- noch unterfordert ist.

      Aus dieser Intervention sollen sich neue Arbeitspunkte ergeben. Es wird entweder Unterstützung zu organisieren sein über die Vernetzung mit der örtlich zuständigen Beratungsstelle oder der Schuldnerberatung oder ähnliches. Außerdem ist festzulegen, wann die Aufmerksamkeit vom sozialen Feld und dessen Belastungs- bzw. Unterstützungspotenzial wieder auf die intrapsychischen Variablen des Patienten gerichtet werden soll.

      Um die eigene Entscheidung des Patienten zu fördern, wäre aber auf jeden Fall eine Frist zu setzen, wann eine Entscheidung formuliert werden sollte; eine Entscheidung in der aktuellen Gesprächssituation wäre in der Regel in einer gemeinsam festgelegten Frist noch einmal zu überprüfen. Um den Entscheidungsprozess beim Patienten für diesen besser durchschaubar zu machen, kann man sich entschieden, als Hausaufgabe ein Besprechen des Problems mit Vertrauten zu vereinbaren. Aufgrund der Möglichkeit der (unbeabsichtigten) Manipulation des Patienten ist eine Problemreduktion mittels vorgegebener Wahl idealerweise im Behandlungsteam zu besprechen.

      Die Abhängigkeitsprobleme eines Patienten sind z.B. verbunden mit erheblichen sozialen Schwierigkeiten. Nach einer Trennung von Partnerin und Kind steht eine Scheidung bevor, der Entzug der Fahrerlaubnis hat zu einer Verschlechterung der Chancen auf Wiedereingliederung in das Erwerbsleben geführt, wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation muss das neu erworbene Eigenheim verkauft werden, die zukünftige Ex-Frau zahlt vertragswidrig ihre Beiträge zur Finanzierung nicht und fordert andererseits sofort hohe Unterhaltsleistungen. Zusätzlichist der Patient unsicher, ob er vordringlich ein Abhängigkeitsproblem hat oder ob er wegen der belastenden Situation in depressive Verstimmungen abgeglitten ist.

      Aus der Menge der Interventionsmöglichkeiten, die dem Therapeuten zur Verfügung stehen, sollen beispielhaft einige genannt